Euro-Zone: Ein langer Weg zu Reformen
15. Dezember 2017"Die Union ist ungeteilt und unteilbar." Dieser Satz stammt aus der Erklärung der Europäischen Union zu ihrem 60. Geburtstag im März dieses Jahres. Davon hat man sich nach Ansicht des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk gleich zweifach entfernt. Er sprach beim Gipfeltreffen der EU in Brüssel von einer Spaltung der Union in West und Ost in der Migrationspolitik und von einer Spaltung in Nord und Süd in der Wirtschafts- und Währungspolitik. Zwar haben ihm manche Staats- und Regierungschefs widersprochen, aber beim Abendessen am Donnerstag zeigte sich, dass Tusk zumindest bei der Einwanderungspolitik Recht hat. "Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns. Die Standpunkte haben sich nicht angenähert", ließ die geschäftsführende deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, zu nächtlicher Stunde wissen. Sie bezog sich auf die Weigerung nicht nur osteuropäischer Staaten, Asylbewerber aus den "Frontstaaten" Italien oder Griechenland im Krisenfall aufzunehmen. Wie Solidarität unter den Mitgliedsstaaten auszusehen hat, darüber herrscht keine Einigkeit. Der Streit wurde auf Wiedervorlage geschoben und soll bis zum Juni 2018 beigelegt werden.
Neu gründen und neue Posten
Wenigstens die zweite von Ratspräsident Donald Tusk attestierte Spaltung in der Finanz- und Währungspolitik wollte man an diesem zweiten Gipfeltag mit Kitt versehen. Der französische Präsident Emmanuel Macron will mit frischem Schwung die Europäische Union gleich ganz "neu gründen", wie er zwei Tage nach der Bundestagswahl im September in einer Rede an der Pariser Universität "Sorbonne" ankündigte. Die Wirtschafts- und Währungsunion, in der bislang 19 der noch 28 EU-Staaten vereint sind, soll vertieft und ausgebaut werden. Investitionen und der Aufbau von Arbeitsplätzen sollen in Italien, Griechenland, Spanien, Portugal und auch Frankreich angeschoben werden. "Mir fehlen deutlich aggressivere Ziele, auch beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit", sagte der scheidende sozialdemokratische Bundeskanzler von Österreich, Christian Kern. "Man muss viel mehr über die Ziele der Union sprechen, nicht so sehr über die Instrumente." Kern wies darauf hin, dass nach seiner Ansicht Deutschland zu wenig investiere.
Europäischer Finanzminister
Die EU-Kommission hat vergangene Woche Vorschläge zur Reform der Währungsunion vorgelegt, die einen Teil der ambitionierten Vorstellungen von Emmanuel Macron aufnehmen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will einen europäischen Finanzminister installieren, der gleichzeitig Chef der Euro-Finanzminister und Mitglied der EU-Kommission sein soll. Er soll nicht über ein eigenes Budget verfügen, aber doch Zugriff auf bestimmte Mittel im gemeinsamen EU-Haushalt haben, um Investitionen und Reformen in den Mitgliedsländern auslösen zu können. Die Kontrolle und Steuerung der Fiskal- und Wirtschaftspolitik der Euro-Zonen-Staaten sollen nach den Vorstellungen der EU-Kommission weiter verstärkt werden. Der heutige Rettungsschirm ESM, der von den Mitgliedsstaaten der Eurozone außerhalb der eigentlichen EU-Verträge betrieben wird, soll in einen Europäischen Währungsfonds überführt und der Kontrolle der EU-Kommission unterstellt werden.
Merkel will "Festigung" der Währungsunion
Diese Vorschläge waren in der Frühstücksrunde der Euro-Zonen-Mitglieder in Brüssel umstritten, bedeuten sie doch mehr Souveränität an den künftigen Euro-Finanzminister und möglicherweise auch die EU-Kommission zu delegieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nach wie vor versucht, nach den Bundestagswahlen eine neue Regierungskoalition zu bilden, hält sich bislang bedeckt. "Wir sind uns einig, dass wir die Wirtschafts - und Währungsunion noch stärken müssen", sagte sie vor den Beratungen lediglich. "Hier gibt es noch eine Vielzahl von offenen Fragen." Im Saal sprach Merkel dann hauptsächlich über die notwendige Kohärenz, also Annäherung, der Volkswirtschaften in der Eurozone. "Hier möchte ich nicht nur über Geld sprechen, sondern auch über Wettbewerbsfähigkeit und gute Regierungsführung." Schon weit vor der Bundestagwahl hatte Merkel nach Gesprächen mit dem französischen Präsidenten Macron eingeräumt: "Man kann über einen europäischen Finanzminister durchaus nachdenken."
Ihr ehemaliger Finanzminister Wolfgang Schäuble war da bei seiner letzten Sitzung im Finanzministerrat deutlicher geworden. "Erst einmal muss man ja wissen, was dieser Finanzminister denn machen soll." Eine Unterordnung des Rettungsschirms ESM unter die Kommission lehnte Schäuble noch ab. Überhaupt sah er den Reformeifer des neuen, jugendlichen französischen Präsidenten eher skeptisch. Erst einmal solle man doch die Reformen umsetzen, die man angefangen habe und die noch gar nicht voll wirkten, wie etwa die gemeinsame Banken-Union. Die Diskussion heute in Brüssel war denn auch eher einer Abtasten der Positionen.
"Gute Zeiten nutzen"
Die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite sagte, vieles sei noch sehr unkonkret. "Wir hören viel über neue Posten, aber wir müssen über Veranwortlichkeiten und Aufgaben sprechen." Die derzeit wirtschaftlich guten Zeiten sollte man nutzen, um vor der nächsten Krise voran zu kommen, so Grybauskaite. "Im Moment ist es ganz friedlich." Außerdem sei noch offen, welche Reformen durchgeführt werden könnten, ohne dass die EU-Verträge in jahrelangen Verfahren geändert werden müssten.
Osteuropäer bleiben skeptisch
Viele osteuropäische Staaten, wie Polen, die den Euro nicht als Währung haben und in absehbarer Zeit auch nicht haben wollen, sehen die Operation skeptisch. Für sie riecht das ganze nach dem "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten." Das ist in der erwähnten Erklärung von Rom zum 60. Geburtstag zwar ausdrücklich erwähnt, aber die Visegrad-Staaten machen keinen Hehl daraus, dass sie nicht abgehängt werden wollen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will deshalb die Euro-Zone so schnell wie möglich erweitern. Auch die nationalistischen Regierungen in Polen, Ungarn und anderen Staaten sind nach den EU-Verträgen verpflichtet, den Euro als Gemeinschaftswährung einzuführen. Irgendwann. Nur Dänemark ist ausdrücklich ausgenommen. Bei den Reformen in der Euro-Zone drückt der EU-Ratspräsident aufs Gaspedal. Er hat eine Reihe von Sondergipfel-Treffen angekündigt, damit ein Beschluss im Juni 2018 gefasst werden kann. Nur dann kann man nach Tusks Fahrplan mit einer runderneuerten Euro-Zone in die Wahlen zum Europaparlament im Mai 2019 gehen, um sich dem Votum der Wählerinnen und Wähler in der EU zu stellen.
Beispiel Verteidigung?
In einem Bereich haben die EU-Staats- und Regierungschefs bereits Einigkeit bewiesen. Sie verabschiedeten die gemeinsame Verteidigung- und Rüstungspolitik, die 25 der 28 Mitgliedsstaaten umfasst. Für Emmanuel Macron, den französischen Präsidenten, ist das die Vorstufe zu einer europäischen Armee und einem wirklichen EU-Grenzschutz, die er ebenfalls ins seiner programmatischen Rede an der Sorbonne gefordert hat. Macron wartet jetzt auf Merkel, heißt es von EU-Diplomaten in Brüssel. Sollte sich die Regierungsbildung in Berlin hinziehen, könnten die ambitionierten Zeitpläne der EU ins Wanken geraten. Der nächste Euro-Zonen-Gipfel findet bereits Mitte Februar statt.