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Politik

Griechenland: Hilfsmilliarden scheibchenweise

10. Oktober 2016

Athen hat alle Bedingungen erfüllt, sagt die EU-Kommission. Deutschland bestreitet das. Die Lösung ist ein Kompromiss im griechischen Rettungsdrama. Bernd Riegert berichtet aus Luxemburg.

Symbolbild Hilfe für Griechenland
Bild: picture-alliance/dpa/Ohlenschläger

Ein Auszahlungsdatum für weitere 2,8 Milliarden vom Europäischen Rettungsfonds (ESM) an Griechenland rückt in greifbare Nähe. Aber man ist immer noch nicht ganz da. Die Finanzminister der Eurogruppe bestätigten bei ihrer Tagung in Luxemburg, dass die griechische Regierung inzwischen alle 15 Reformen auf den Weg gebracht habe, die an die Auszahlung der nächsten Tranche gekoppelt waren. Allerdings gebe es immer noch Unstimmigkeiten bei der Abrechnung der letzten Auszahlung vom Juni in Höhe von 7,5 Milliarden Euro. Das Geld sollte die griechische Regierung teilweise benutzen, um ihre Schulden und unbezahlte Rechnungen bei griechischen Firmen zu begleichen. Ob das geschehen ist, muss Athen nun noch nachweisen. Deshalb werden zunächst nur 1,1 Milliarden Euro ausgezahlt. Die restlichen 1,7 Milliarden werden zurückgehalten. Erst wenn aktualisierte Zahlen aus Athen über die Bezahlung offener Rechnungen vorliegen, soll der formelle Beschluss über die Auszahlung der restlichen Mittel fallen. Das könnte dann im schriftlichen Umlaufverfahren erfolgen, ohne dass die Finanzminister der 19 Euro-Staaten extra zu einer Sondersitzung zusammenkommen müssten.

Skeptisch: Bundesfinanzminister Schäuble (li.), Optimistisch: EU-Kommissar Moscovici (Archiv)Bild: Getty Images/AFP/V. Simicek

Regierung muss Bezahlung von offenen Rechnungen nachweisen

Um die allerletzte Hürde zu nehmen, hat die griechische Regierung theoretisch bis Ende Oktober Zeit. Dann endet das Mandat des deutschen Bundestages für Bundesfinanzminister Wolfgangs Schäuble, sich an der Auszahlung zu beteiligen. Nach dieser Frist müsste Schäuble ein neues Mandat erbitten und den Bundestagsabgeordneten erklären, warum Griechenland, anders als versprochen, nicht geliefert hat. Im Verzug sind die Griechen ohnehin bereits. Die 15 Bedingungen, die heute nachgewiesen wurden, hätten nach dem ursprünglichen Zeitplan schon Mitte September erfüllt sein sollen. "Man ist das ja von den Griechen gewohnt, dass alles nur auf den letzten Drücker funktioniert", meinte dazu ein hoher EU-Beamter achselzuckend. "Man muss flexibel sein bei den Griechen". Der deutsche Finanzminister ist offenbar auch flexibel. Am Freitag noch hieß es aus anonymen Quellen in Brüssel, "nur die Hälfte der 15 Bedingungen ist erfüllt." Über das Wochenende hat sich dieser Widerspruch auf wunderbare Weise aufgelöst. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble äußerte sich dazu nicht öffentlich, aber von Sitzungsteilnehmern war zu hören, dass sein Widerstand erheblich gewesen sei. Die Aufteilung der Tranche sei eine Art Kompromiss gewesen.

Leicht positive Zahlen aus Griechenland

Unterdessen zeigt die griechische Wirtschaft leichte Zeichen der Erholung. Die Steuereinnahmen wachsen dank der abgeschlossenen Tourismussaison gerade ein wenig an. Es könnte sein, dass der griechische Finanzminister in diesem Jahr sogar ganz leicht über den Zielen liegen wird, die ihm die Euro-Retter vorgegeben hatten. Der Haushaltsüberschuss abzüglich des Schuldendienstes könnte nach griechischen Angaben über den verlangten 0,5 Prozent liegen, was eine positive Nachricht wäre. Der Internationale Währungsfonds geht allerdings nur von 0,1 Prozent an primärem Überschuss aus, der in diesem Jahr erreicht werden kann. Diese Kennziffer ist wichtig, um die Schuldentragfähigkeit zu beurteilen. Nur mit einem kräftigen Überschuss kann es langfristig gelingen, aus den Schulden "herauszuwachsen", die Wirtschaft anzukurbeln und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigen zu lassen. Für 2018 gibt die EU-Kommission einen Haushaltsüberschuss von 3,5 Prozent vor. Der Internationale Währungsfonds glaubt nur an 1,5 Prozent.

Probleme bleiben

Problematisch sind aus Sicht der Eurogruppe aber immer noch die schleppende Privatisierung von Staatsvermögen, die zögerliche Liberalisierung des Energiemarktes und die hohen Steuerrückstände von Betrieben und Privatleuten gegenüber dem Staat. Außerdem sitzen die griechischen Banken nach wie vor auf sehr vielen faulen Krediten. Über 40 Prozent der Kredite werden nicht bedient. Die Abhängigkeit der Banken von Notfallkrediten der Europäischen Zentralbank konnte im Sommer etwas zurückgefahren werden, aber es sind immer noch Kapitalverkehrskontrollen in Kraft, um eine Flucht der Sparer und Anleger zu verhindern.

Euro-Gruppenchef Dijsselbloem: Griechenland auf gutem WegBild: DW/B. Riegert

Macht der Internationale Währungsfonds am Ende mit?

Eine der Schlüsselfragen der Griechenlandrettung ist weiter ungelöst: Wie und wann wird sich der Internationale Währungsfonds (IWF) an dem dritten Hilfsprogramm beteiligen? Der IWF beurteilt die wirtschaftlichen Aussichten Griechenlands wesentlich schlechter als die EU-Kommission. Der Währungsfonds glaubt nicht, dass die Griechen ihre Staatsschulden, die bei über 180 Prozent liegen, mittelfristig bedienen können. Um die Schuldentragfähigkeit zu erreichen, sei, so ein IWF-Gutachten vom September, ein Schuldenerlass oder eine Umschuldung zwingend erforderlich. Die Euro-Gruppe sieht das, angeführt von Deutschland, anders. Einen Schuldenschnitt lehnt sie ab, gewisse Erleichterungen beim Schuldendienst wären eventuell möglich. Der IWF will erst entscheiden, wenn die zweite Überprüfung der griechischen Kassen im laufenden Hilfsprogramm erfolgt ist. Im Moment ist noch nicht einmal die erste dieser Überprüfungen abgeschlossen. EU-Beamte rechnen deshalb damit, dass der IWF sich wahrscheinlich erst im ersten Quartal des nächsten Jahres entscheiden wird. Der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos fordert schon seit langem einen Erlass der Schulden für sein Land.

Der EU-Kommissar für die Gemeinschaftswährung, Pierre Moscovici, deutete an, dass sich der IWF möglicherweise nur mit gutem Rat, aber nicht mit eigenem Geld an dem 86 Milliarden-Paket für Griechenland beteiligen könnte. Das wiederum hatte aber der Deutsche Bundestag zur Bedingung für seine Zustimmung zum dritten Rettungsprogramm gemacht. Mit dem IWF hatten die Eurogruppen-Minister in den letzten Tagen in Washington gesprochen. "Wir haben alle noch einen Jet-Lag", sagte Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem in Luxemburg. "Deshalb hatte ich bei der Sitzung heute leichtes Spiel. Der Energiepegel war sehr niedrig", scherzte Dijsselbloem. EU-Kommissar Moscovici konterte grinsend: "Die Kommission hat niemals einen Jet-Lag." 

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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