Europäische Anwälte wollen Türkei vor Gericht sehen
1. März 2023Die dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag vorgelegte Anklageschrift beinhaltet Vorwürfe der Folter, des Verschwindenlassens sowie der unrechtmäßigen Inhaftierung und Verfolgung von etwa 200.000 Gegnern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Das teilte die 2021 in Genf gegründete Initiative "Türkei Tribunal" mit. Belgiens ehemaliger Vize-Regierungschef Johan Vande Lanotte, der an der Eingabe beteiligt war, zeigte sich zuversichtlich, dass das Gericht das Dossier annehmen werde. Wichtige Mitglieder der türkischen Regierung "können nicht bestreiten, dass sie verantwortlich sind, weil sie ihre Verantwortung stolz verkündet haben", sagte Lanotte.
"Türkei Tribunal" wird unterstützt von der Organisation Europäischer Richter und Ankläger. Nach Auffassung europäischer Juristen könnten Ermittlungen auch gegen "hohe Beamte eines NATO-Verbündeten" eingeleitet werden. Die Türkei ist Mitglied der Verteidigungsallianz.
Der Chefankläger des Weltstrafgerichtes, Karim Khan, muss nun entscheiden, ob ermittelt wird. Die türkische Regierung erkennt das Gericht nicht an. Die Initiatoren vertreten jedoch die Auffassung, dass die Anklage dennoch ermitteln könne. Denn zahlreiche Verbrechen hätte die Türkei auch auf dem Grundgebiet von 45 Vertragsstaaten des Gerichts begangen. Der Chefankläger sei zu Ermittlungen befugt, wenn systematische Verbrechen in einem Vertragsstaat begonnen hätten oder dort endeten.
Myanmar als Beispiel genannt
Die Initiatoren verweisen auf den Fall von Myanmar. Das Land ist kein Vertragsstaat des IStGH, doch leitete die Anklage Ermittlungen wegen der Verfolgung der muslimischen Minderheit der Rohingya ein. Das ist möglich, da viele der verfolgten Menschen nach Bangladesch geflohen waren - das Land ist ein Vertragsstaat des Gerichts.
Die in der Anklageschrift aufgelisteten 1300 Fälle beziehen sich alle auf Personen, welche die türkische Regierung mit dem im US-Exil lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen in Verbindung bringt. Ankara sieht in ihm den Drahtzieher eines gescheiterten Putsches gegen Staatschef Erdogan im Jahr 2016. Erwähnt werden unter anderem 17 mutmaßliche Entführungen aus Albanien, Bulgarien, Kambodscha, Gabun, Kenia, Moldau, der Mongolei und der Schweiz in die Türkei. Zudem sollen mehr als 200 Menschen willkürlich ihre Reisepässe entzogen worden sein.
se/as (dpa, afp)