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Politik

Europäische Drogentrends

6. Juni 2017

Jeder vierte Europäer hat schon einmal zu Cannabis gegriffen, sagt der neue Europäische Drogenbericht. EU-Experten warnen darin auch vor Designerdrogen - und sorgen sich wegen der wachsenden Zahl von Drogentoten.

Israel Hanf-Plantage in Safed
Bild: picture-alliance/dpa/A. Sultan

93 Millionen Europäer haben in ihrem Leben schon einmal illegale Drogen konsumiert - mehr als ein Viertel aller 15-bis 64-Jährigen in der Europäischen Union. Das ist nur eine der Zahlen aus dem neuen European Drug Report. Eine andere: 2015 wurden 1,5 Millionen Drogenvergehen registriert, davon eine Million allein für den Besitz illegaler Drogen zum persönlichen Gebrauch. Gut die Hälfte der Vergehen waren Cannabis-Delikte. Cannabis - auch das weist der knapp 100 Seiten starke Report aus – bleibt die in Europa mit Abstand am weitesten verbreitete Droge: knapp 24 Millionen Europäer griffen im letzten Jahr zum Joint, zum Bong, zum Vaporisator.

Der Umgang der europäischen Gesellschaften mit Cannabis ist dabei sehr unterschiedlich: In einigen Staaten wie den Niederlanden, Spanien, Portugal oder der tschechischen Republik können Konsumenten wegen der vergleichsweise liberalen Drogenpolitik relativ unbehelligt zu Cannabis greifen. In anderen Staaten wie Litauen, der Slowakei oder Griechenland wiederum drohen bei Besitz größerer Mengen empfindliche Strafen – bis zu zehn Jahren Haft für ein Kilogramm Cannabis.

620 Neue Psychoaktive Substanzen

Zusammengestellt mit Daten aus allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und gespickt mit einer Fülle anschaulicher Grafiken  wurde der jährlich erscheinende Bericht vom European Monitoring Center for Drugs and Drug Addiction, EMCDDA,  im portugiesischen Lissabon. Was den EMCDDA-Experten besondere Sorge bereitet, ist die weiterhin hohe Verfügbarkeit von sogenannten Neuen Psychoaktiven Substanzen, kurz NPS. Diese Designerdrogen sind chemische Variationen bekannter Drogen, mit denen sich lange Zeit Verbote umgehen ließen. Als "Legal Highs" wurden diese  Substanzen über das Internet oder auch in speziellen Shops vertrieben.

Rund  620 davon sind in der EU bekannt - und eine  der positiven Nachrichten des Berichts ist: Die Zahl neuer NPS nimmt nicht mehr so schnell zu wie in der Vergangenheit. Registrierten die Experten des Europäischen Frühwarnsystems 2015 noch 98 neue Substanzen, waren es 2016 "nur noch" 66. Andrew Cunningham vom EMCDDA führt das vor allem auf verschärfte gesetzliche Bestimmungen zurück. "In einigen Staaten wie Polen, Irland oder Großbritannien wurden diese Substanzen komplett verboten und sind nicht mehr legal erhältlich, sondern nur noch auf dem Schwarzmarkt", führt Cunningham aus.

Andere Staaten wie auch Deutschland hätten bestimmte Stoffklassen verboten, fährt Cunningham im DW-Gespräch fort: Etwa synthetische Cannabinoide, deren Wirkung der von Cannabis ähnelt oder Cathinone, die wie Kokain oder Amphetamine stimulierend wirken. Nicht nur für Händler, auch für Hersteller wurde es eng, speziell in China: In dortigen Chemiefabriken waren viele dieser Drogen in industriellem Maßstab gekocht worden. Im Oktober 2015 aber wurden in China über 100 dieser NPS verboten. Trotzdem: Angesichts einer von 2010 bis 2015 auf 80.000 vervierfachten Zahl von Beschlagnahmungen bleibt das Fazit des EMCDDA-Experten nüchtern: "Die Verfügbarkeit von Neuen Psychoaktiven Substanzen erscheint weiter hoch, auch wenn weniger neue Substanzen gemeldet werden."

Natürliches Cannabis weniger gefährlich

Synthetische Cannabinoide sind deutlich gefährlicher als das natürliche Produkt, erläutert Andrew Cunningham. Er verweist auf eine Risiko-Abschätzung zu einem synthetischen Cannabinoid von 2016: "EU-Mitgliedsstaaten haben uns rund 30 Todesfälle davon gemeldet. Mit natürlichem Cannabis passiert so etwas nicht". Cunningham bestätigt, dass es etwa in den Niederlanden mit ihrer liberalen Politik gegenüber natürlichem Cannabis kaum einen Markt für die gefährlichen synthetischen Varianten gebe.

Auch die synthetischen Opiate seien hochgefährlich, sagt Cunningham:  Diese Substanzen ahmen die Wirkung von Heroin nach, sind aber um ein vielfaches stärker. Medizinisch werden sie zur Schmerzbehandlung in kleinster Dosierung als Pflaster verabreicht. Cunningham führt eine Reihe von Todesfällen auf Überdosierungen mit diesen Mitteln zurück.

Wachsende Zahl von Drogentoten

Insgesamt – auch das geht aus dem European Drug Report hervor – sind in Europa 2015 über 8.400 Menschen durch eine Überdosis Heroin oder eines anderen synthetischen oder natürlichen Opiats gestorben. Das sind sechs Prozent mehr als im Jahr zuvor. Für Julian Vincente, beim EMCDDA verantwortlich für öffentliche Gesundheit ist das eine der besorgniserregenderen Entwicklungen. Vor allem, weil nach einem Höhepunkt bei den Drogentoten in Europa 2008 die Zahlen zunächst mehrere Jahre gesunken waren.  Auch in Deutschland steigt nach Jahren des Rückgangs die Zahl der Drogentoten seit 2013 wieder an. Das EMCDDA befürwortet in dem Zusammenhang die Verteilung des Gegengiftes Naloxon an Drogensüchtige und deren Angehörige: Im Fall einer Überdosierung lassen sich damit Leben retten.

Was die Drogen-Experten aus Lissabon auch beobachten: Seit sechs Jahren verlagert sich der Drogenhandel ins Internet – speziell in das nur über spezielle Suchmaschinen zugängliche Darknet. Noch sieht EMCDDA-Fachfrau Teodora Groshkova den Drogenhandel im Darknet als ein auf eine relativ kleine Gruppe beschränktes Phänomen. Aber Groshkova erwartet hier ein deutliches Wachstum. Das Darknet mache Drogen größeren Gruppen von Usern zugänglich. Noch sei die Datenbasis zum Thema Darknet dürftig, schränkt Groshkova ein, aber: Es werde geforscht. Ende Oktober wird die EMCDDA gemeinsam mit Europol eine umfassende Studie zum Drogenhandel im Darknet veröffentlichen.

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