Mit dem Kulturmarken-Award, 2006 vom Kulturmanager Hans-Conrad Walter ins Leben gerufen, werden Projekte geehrt, die sich in der Kulturlandschaft Europas durch innovative Strategien und Marketingideen besonders hervorgetan haben.
Trotz der herausfordernden Pandemie-Situation hatten sich 110 Kulturanbieter aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Belgien, Belarus, Frankreich, Israel, Litauen, Russland, Serbien und den Niederlanden um den Preis beworben. Der renommierte Kulturpreis wird von einer 40-köpfigen Expertenjury in acht Wettbewerbskategorien vergeben.
Beethoven-Jubiläumsjahr: eine erfolgreiche "Mission Impossible"
"Das war eine 'Mission Impossible' - ein nationales Beethovenjubiläum zu koordinieren in einer Zeit, wo Musikfestivals verboten waren", gab Malte Boecker, künstlerischer Geschäftsführer von BTHVN 2020, im DW-Gespräch zu. Eine Mission, die dank des Durchhaltevermögens und der Flexibilität aller Beteiligten gelang: Tausende Projekte mit mehr als 200 Partnern fanden ab Dezember 2019 in dem bis Ende September 2021 verlängerten Beethovenjahr statt. "Das war uns ein großes Anliegen, eine ganz große Vielfalt von Formaten und Projekten anzuschieben: Kinoverfilmung, Auseinandersetzung mit Beethoven im Rock- und Pop-Bereich, in der bildenden Kunst, im Theaterbereich", so Boecker.
Die Musik wurde "nicht nur in den Konzertsälen gespielt, sondern auch in den Wohnzimmern, in der Natur. Ich glaube, es ist eines der besonders farbigen Festivals geworden." Die Jury bezeichnete BTHVN2020 in ihrer Begründung als "größten musikalischen Impulsgeber der letzten beiden Jahre". Darüber hinaus habe das Projekt durch eine konsequente Markenführung mit einer lebendigen Markenidentität überzeugt.
Auch Rolf Rische, Leiter der Hauptabteilung "Kultur und Leben" der DW und Mitglied der Jury, würdigte die Meisterleistung der Macher: "Aus einem Konzert wurde ein Live-Stream, aus einer Saal-Veranstaltung wurde ein Open-Air-Event. Das Jubiläumsprogramm wurde also trotz allem Wirklichkeit. Und dabei ist es gelungen, mit konsequenter und nachhaltiger Markenführung nationale und internationale Strahlkraft zu entfalten." BTHVN 2020 stand und steht, so Rische, "wie der unsterbliche Komponist selbst für Kreativität, Qualität, Nachhaltigkeit, Freiheit, Vision und Innovation. Ein hoher Anspruch unter einer erfolgreichen Marke!"
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Europas kulturelles Potenzial sichtbar machen
Neben BTHVN 2020 bewarben sich zwei weitere Projekte in der Königsdisziplin "Kulturmarke des Jahres": die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg wurden nicht nur für das Bewahren historischen Erbes nominiert, sondern auch für die ständige Weiterentwicklung einer modernen Präsentation der Denkmäler. Und das Europäische Hansemuseum in Lübeck sei, so die Jury, "eine hochmoderne innovative Museumsanlage als Attraktion im Hier und Jetzt".
Neben der Auszeichnung "Kulturmarke des Jahres" wird der Preis in sieben weiteren Kategorien verliehen. Man habe versucht, sagt Koordinator Hans-Conrad Walter, "die Kultur und Kulturvermittlung sichtbar zu machen und die Besten der Besten auszuzeichnen".
So geht der Preis "Europäische Trendmarke des Jahres 2021" an die serbische Stadt Novi Sad. Die Jury überzeugte "die Programmatik und der Gesamtauftritt der zukünftigen Kulturhauptstadt, die sich mit mehreren kleinen Projekten beworben hatte."
Europas Kulturhauptstädte: Endlich geht es wieder los
Novi Sad, Esch und Kaunas tragen 2022 den Titel Europäische Kulturhauptstadt. Eine "betrunkene Uhr", eine 5000-jährige Stadtgeschichte und der Geburtsort einer ganz besonderen Frau - die Städte haben viel zu bieten.
Bild: Nikoleta Vukovic/Panthermedia/imago images
Novi Sad - das serbische Athen
Novi Sad ist bunt, laut und vielfältig. In der zweitgrößten Stadt Serbiens leben Serben, Ungarn, Slowaken, Kroaten, Rumänen, Montenegriner, Roma und andere Ethnien. Das kulturelle Leben pulsiert. Im 19. Jahrhundert war Novi Sad das Zentrum der serbischen Kultur und wichtiges Handels- und Produktionszentrum. Deswegen erhielt es den Spitznamen "Serbisches Athen".
Bild: Cezary Wojtkowski/picture alliance
Die betrunkene Uhr
Vor dieser Uhr steht man etwas länger, bis man weiß, wie spät es ist: Denn der kleine Zeiger zeigt die Minuten und der große die Stunden - also umgekehrt, weswegen sie auch die "Betrunkene Uhr" genannt wird. Als Geschenk der Erzherzogin und Königin von Österreich Maria Theresia verwirrt sie seit Mitte des 18. Jahrhunderts (um 1750) die Besucher der Hügelfestung Petrovaradin.
Bild: Danita Delimont/imago images
Petrovaradin
Die Festung Petrovaradin thront auf dem Hügel über der Donau und zählt zu den wichtigsten historischen Kulturstätten Serbiens. Sie gehört zu den größten und am besten erhaltenen Festungen Europas. Einzigartig sind die unterirdischen Gänge mit einer Länge von 16 Kilometern. Seit dem Jahr 2001 findet in der Festung jedes Jahr im Juli eines der größten Musikfestivals Südosteuropas, das EXIT, statt.
Bild: Werner Otto/imago images
Berühmte Tochter der Stadt Novi Sad: Mileva Marić
Eine der berühmtesten Töchter der Stadt ist Mileva Marić. Sie war die erste Serbin und eine der ersten Frauen weltweit, die ein Mathematik- und Physikstudium absolvierte. 1903 heiratete sie ihren Studienkommilitonen Albert Einstein - gegen den Willen seiner Mutter. Elf Jahre später zerbrach die Ehe. Um ihren Anteil an der Ausarbeitung der Relativitätstheorie ranken sich bis heute viele Mythen.
Bild: Cinema Publishers Collection/imago images
Esch - Industrie trifft Landidyll ...
Und das schon seit vielen Jahrzehnten. Esch ist die zweitgrößte Stadt des Großherzogtums Luxemburg. Sie teilt sich den Titel mit 18 weiteren Gemeinden, darunter acht französischen. Das kleine Luxemburg liegt zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland und ist von großer europäischer Bedeutung: Hier wurde 1985 das Schengener Abkommen beschlossen, dass Grenzkontrollen in Teilen Europas aufhob.
Bild: Arkivi/imago images
... und Geschichte trifft Moderne
Am 12. April 1128 wurde Esch erstmals unter dem Namen "Asch" in einer Schrift von Papst Honorius II. erwähnt. Im 19. Jahrhundert erlebte die Freie Stadt einen ungeheuren Aufschwung, dank der Gewinnung von Eisenerz. Nach der Stilllegung der Hochöfen musste sich die Stadt neu erfinden. Heute befindet sich die Universität auf dem ehemaligen Industriegelände.
Bild: Harald Tittel/dpa/picture alliance
Industriearchitektur in der Universität
Der Campus Belval der 2003 gegründeten Universität von Luxemburg bezieht die industrielle Architektur der Stadt Esch mit ein - wie hier in der Universitätsbibliothek. Rund 6700 Studierende werden in vier Sprachen unterrichtet: Englisch, Deutsch, Französisch und Luxemburgisch. Heute leben in Esch Menschen mit über 120 verschiedenen Nationalitäten - und das bei nur 36.000 Einwohnern
Bild: Harald Tittel/dpa/picture alliance
Kaunas: Malerisches Kulturjahr an der Memel
Kaunas, die zweitgrößte Stadt Litauens, startet am 22. Januar ins Kulturjahr: mit rund 40 Festivals, über 60 Ausstellungen und über 250 Events, darunter auch "The International Day of Happiness" im März. Die Stadt wird dabei zur Bühne vieler internationaler Stars wie Marina Abramovic, Philip Miller, William Kentridge, Yoko Ono, Jenny Kagan und Robert Wilson.
Bild: Andrius Aleksandravičius/Organisation Kaunas 2022/dpa/picture alliance
Die jüdische Geschichte der Stadt wird aufgearbeitet
Kuratorin Daiva Citvarienė gibt als Teil des Kulturjahres das Buch "The Jews of Kaunas" heraus (deutsch: "Die Juden von Kaunas"). Auch öffentliche Wandgemälde machen die jüdischen Einwohner und Einwohnerinnen der Stadt sichtbar, die im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen im örtlichen Ghetto, das später zum Konzentrationslager ausgebaut wurde, ermordet wurden.
Bild: Martynas Plepys/Organisation Kaunas 2022/dpa/picture alliance
Ehrgeiziges Programm: eine neue Geschichte erfinden
In Kaunas möchte man durch das Kulturjahr wieder zu seiner multikulturellen, multiethnischen Vergangenheit zurückfinden, so die Veranstalter, statt als "litauischste aller litauischen Städte" bekannt zu bleiben. Dafür erschaffen Bürger und Institutionen in Kaunas ein neues Fabelwesen, wie Nessi in Schottland: Das "Biest von Kaunas" soll ein gemeinsamer Mythos werden, der die Stadt vereint.
Bild: Darius Petreikis
Ausblick auf 2023: Timișoara - "Klein-Wien"
Auch auf 2023 darf man sich freuen: Da werden das rumänische Timișoara, das ungarische Veszprém und das griechische Elefsina Kulturhauptstadt. Während Novi Sad sich mit dem Spitznamen "Serbisches Athen" schmückt, ist Timișoara als "Klein-Wien" bekannt. Die Stadt im Westen Rumäniens war Teil der K.u.K.-Monarchie, die zahlreichen frisch renovierten Altbauten erinnern noch an jene historische Epoche.
Bild: Zoonar/picture alliance
1989: Ein Ort der Erinnerung
Die Revolution gegen das kommunistische Regime Ende der 1980er hatte ihren Ursprung in eben dieser Stadt. In Timișoara wurden zahlreiche Demonstrationen organisiert, die oft blutig endeten. Auf dem Platz der Oper wurden mehrere Demonstranten erschossen, darunter Kinder und Jugendliche. Kurzerhand breiteten sich die Proteste aus - und führten zum Niedergang des kommunistischen Regimes in Rumänien.
Bild: robertharding/imago images
Kathedrale der Heiligen drei Hierarchen
Eines der Wahrzeichen der Stadt ist die Kathedrale der Heiligen drei Hierarchen. Für eine orthodoxe Kirche wurde sie etwas untypisch gebaut - mit Türmen statt der typischen Kuppeln. Doch nicht nur das war ungewöhnlich - für den Bau mussten 1000 Betonpfeiler in die sumpfige Erde gerammt werden. Seit 1940 steht sie da und lockt viele Touristen an.
Bild: robertharding/picture alliance /
Timișoara - großer Innovationsgeist
Am 12. November 1884 kam Licht in die dunklen Straßen der Stadt. Timișoara gehörte damit zu den ersten Städten Europas mit elektrischer Straßenbeleuchtung. In vielerlei Hinsicht sticht die Stadt im Vergleich zum Rest Rumäniens heraus - die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit ist geringer als im Rest des Landes, viele internationale Unternehmen haben sich hier niedergelassen, vor allem deutsche.
Bild: picture-alliance/imageBROKER/P. Svarc
Elefsina - Mythen und Rituale
Die dritte Stadt, die 2021 den Titel europäische Kulturhauptstadt tragen sollte, ist das griechische Elefsina. Benannt wurde sie nach den Mysterien von Eleusis für die Gottheiten Demeter und Persephone. Die Mysterien waren spezielle Riten, an denen nur ausgewählte Personen teilnehmen durften. Damit war Eleusis, das heutige Elefsina, eine der bedeutendsten religiösen Stätten der Antike.
Bild: Samuel Magal/Heritage Images/picture alliance
Industriehafen ohne Industrie
Der alte Industriehafen ist eine der Besonderheiten der Stadt. Seit vielen Jahren wird er jedoch nicht mehr für Industriezwecke, sondern als Schiffsfriedhof genutzt. Etwa 30 Schiffe und Boote rosten seit Jahrzehnten hier vor sich hin. Im vergangenen Jahr hat die Stadt damit begonnen, die Wracks zu bergen und zu entsorgen - als Vorbereitung auf das wichtige Kulturjahr.
Bild: ANE Edition/imago images
Zwischen antiker Atmosphäre und tristem Industrieflair
Elefsina wurde hart von der Finanz-und Wirtschaftskrise in Griechenland getroffen, Fabriken mussten schließen, die Arbeitslosenquote ist hoch, doch nun soll die Stadt im neuen Glanz erstrahlen. Gartenanlagen werden gepflegt, Gebäude renoviert - die Stadt möchte sich zum Auftakt des Kulturjahres hip und modern präsentieren. Elefsina wird 2023 Kulturhauptstadt.
Bild: imago stock&people
Veszprém: die "Stadt der Königinnen"
Das ungarische Städtchen Veszprém wird ebenfalls 2023 zur Europäischen Kulturhauptstadt. 75 Minuten von der Hauptstadt Budapest entfernt, liegt sie nördlich des Balaton-Sees. Jahrhundertelang krönte der Bischof von Veszprém die ungarischen Königinnen. Deshalb brüstet die Stadt sich noch immer mit dem Titel "Stadt der Königinnen".
Bild: Tibor Bognar/Avalon/picture alliance
Vorfreude auf ein musikalisches Kulturjahr 2023
2019 wurde Veszprém zur UNESCO-Stadt der Musik. Hier finden das Street Music Festival, das VeszprémFest und das Auer Violin Festival statt. Ziel im Kulturjahr sei es, so die Stadt, öffentliche Orte zu schaffen, an denen gemeinsam musiziert werden könne, sowie Bewohner und Gäste dazu zu ermutigen, selbst ein Instrument zu lernen. 2023 verspricht also jetzt schon, ein kulturreiches Jahr zu werden.
Bild: digoarpi/imago images
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"Europäische*r Kulturmanager*in des Jahres 2021" ist Jasmin Vogel, Vorständin des Kulturforums Witten. Gewürdigt wurden Vogels "Fähigkeiten in Strategieentwicklung", die sie zum "Shootingstar des Wettbewerbs" machte. Ebenfalls nominiert war Starpianist Igor Levit. Zu Beginn der Pandemie sorgte Levit mit seinen in den Sozialen Medien gestreamten Hauskonzerten für allabendliche Lichtblicke. Neben seiner Tätigkeit als Klaviervirtuose leitet er die Kammermusikakademie des Festivals "Heidelberger Frühling".
Über den Titel "Europäisch*e Kulturinvestor*in" kann sich die European Cultural Foundation aus Amsterdam freuen. Der Kultursolidaritäts-Fonds wurde als Reaktion auf die Coronavirus-Krise eingerichtet und unterstützt innovative kulturelle Initiativen, die "europäische Grenzen und künstlerische Disziplinen überschreiten, um gemeinschaftliche Lösungen für dringende sowie systemische Probleme im Zuge der Pandemie anzubieten."
"Europäisches Bildungsprogramm des Jahres 2021" ist der Eva Pitzner Leserattenservice. Das Projekt setzt sich zum Ziel, Kinder und Jugendliche mit ungewöhnlichen Formaten zum Lesen zu bringen. Tourismus NRW e.V. bekommt den Preis als "Europäische Kulturtourismusregion des Jahres 2021" für seine digitale Kampagne. Ein interdisziplinäres Netzwerk entwickelte die Radroute "Beuys & Bike": Damit konnten die Kulturtouristen auch während der Pandemie eine Region für sich entdecken.
Eliad Moreh-Rosenberg: eine Lebensleistung wird ausgezeichnet
Die israelische Kulturmanagerin Eliad Moreh-Rosenberg kam nach Dresden, um die Auszeichnung für ihr Lebenswerk entgegenzunehmen. Moreh-Rosenberg, in Paris geboren, ist Kuratorin und Direktorin des Museum of Holocaust Art in Yad Vashem in Jerusalem. Ihre Herangehensweise an die museale Präsentation der Geschichte des Holocausts gilt als bahnbrechend.
Eliad Moreh-Rosenberg kuratierte zahlreiche Ausstellungen und präsentierte diese in vielen Museen Europas, um das Gedenken an die Shoa aufrechtzuerhalten. "Menschlichkeit wird sich behaupten" ist dabei ihre zentrale Botschaft.
Kultur gegen Corona: Der Kampf geht weiter
Da die große Gala-Verleihung in Dresden pandemiebedingt abgesagt werden musste, werden die meisten Preisträgerinnen und Preisträger ihre Trophäen in individuellen Zeremonien entgegennehmen.
"Ich bedauere es sehr, dass wir in diesem Jahr die Preisträgerinnen und Preisträger nicht mit großer europäischer Beteiligung würdigen können", so Hans-Conrad Walter gegenüber der DW. "Aber allein die Tatsache, dass unsere internationalen Preisträgerinnen wie Eliad Moreh-Rosenberg oder die Vertreter von Novi Sad, nach Dresden angereist sind, ist ein Zeichen, dass Kultur Brücken bauen kann und keine Grenzen kennt." Und diese Brücken werden auch über das Ende der Pandemie hinaus bestehen bleiben.