Europäische Truppen in der Ukraine: Was könnte das bedeuten?
24. August 2025
Es war ein bemerkenswertes Zeichen europäischer Geschlossenheit: Eine Delegation führender europäischer Politiker begleitete den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am 18. August nach Washington und machte US-Präsident Donald Trump deutlich, wie dringend die Ukraine Sicherheitsgarantien vom Westen braucht.
Doch der Weg dorthin wird schwierig. Die Details der europäischen Unterstützung - darunter mögliche Truppenentsendungen - sind noch offen. "Sie sind bereit, Truppen zu entsenden", sagte Trump am Dienstag dem US-Sender Fox News nach dem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, NATO-Generalsekretär Mark Rutte, Bundeskanzler Friedrich Merz und weiteren europäischen Staats- und Regierungschefs.
Seit dem Besuch in den USA häufen sich die Treffen der sogenannten "Koalition der Willigen", einem Zusammenschluss von mehr als 30 Staaten, darunter Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich. Einige von ihnen haben bereits ihre Bereitschaft signalisiert, Soldaten zu entsenden. Doch wie könnte eine europäische Truppenpräsenz in der Ukraine konkret aussehen? Und was würde sie für die Ukraine und Europa bedeuten?
Friedensmission oder militärisches Engagement?
Traditionell werden Friedensmissionen aus neutralen Staaten entsendet und agieren als nicht kämpfende Verbände. "Eine Friedensmission wäre das, was dem UN-Modell am nächsten kommt - Beobachter, die nach einem Waffenstillstand zwischen Konfliktparteien vermitteln", erklärt Rafael Loss vom European Council on Foreign Relations (ECFR). Doch: "Konzeptionell passt das nicht zu dem, was die Ukrainer wollen - und auch nicht zu dem Selbstverständnis Europas. Europa ist in diesem Konflikt nicht neutral und will klar an der Seite der Ukraine stehen."
Im Kontext des Ukraine-Kriegs würde eine solche Mission auf eine Beobachterrolle mit mehreren Tausend leicht bewaffneten Kräften hinauslaufen, erklärt Loss. Diese könnten dann entlang der Kontaktlinie die Einhaltung eines möglichen Waffenstillstands zwischen Russland und der Ukraine dokumentieren, aber nicht aktiv in etwaige Kampfhandlungen eingreifen. Der Einsatz von Gewalt bei Friedensmissionen sei streng reglementiert, so Loss, und für gewöhnlich auf Selbstverteidigung oder den Schutz von Zivilisten beschränkt.
Ausbildung statt Kampf?
Viele europäische Länder würden laut mehreren Experten lieber eine drei- bis vierstellige Zahl Ausbilder entsenden, um ukrainische Soldaten zu schulen - taktisch und im Umgang mit Spezialwaffen und westlicher Ausrüstung allgemein. "Sie könnten helfen, die ukrainischen Streitkräfte zu modernisieren und sie mit NATO-Standards vertraut machen", sagt Loss.
Fachleute erwarten, dass dies nicht nur die Effizienz der ukrainischen Verteidigung erhöhen, sondern auch die militärische Kultur verändern könnte: weg vom sowjetisch geprägten Kommandomodell hin zu NATO-Strukturen, erläutert Loss: "Ein kultureller Wandel wäre etwa ein neuer Führungsstil - weg von Hierarchie, hin zu mehr Eigenverantwortung."
Abschreckung durch Präsenz?
Allerdings glaubt niemand, dass Friedensmissionen oder Ausbilder Russland wirksam abschrecken könnten. Diskutiert wird daher auch die Entsendung einer kampfbereiten europäischen Truppe - nicht mit dem Ziel, Russland direkt zu bekämpfen, sondern um durch Präsenz abzuschrecken. "Eine signifikante Truppenstärke vor Ort wirkt allein schon abschreckend", sagt Guntram Wolff vom Brüsseler Thinktank Bruegel.
Auch Forscher der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) betonen in einem Arbeitspapier, dass es dabei nicht um die Verteidigung der Ukraine im Angriffsfall gehe, sondern um die Abschreckung durch eine ausreichend große europäische Militärpräsenz. Dafür seien allerdings bis zu 150.000 Soldaten nötig.
Laut dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) verfügen europäische NATO- und EU-Staaten derzeit über rund 1,5 Millionen aktive Soldaten. Doch viele Länder zögern, Kräfte aus nationalen Einsätzen oder NATO-Verbänden abzuziehen: "Die NATO-Verteidigungspläne müssten bei einer derartigen Kräfteverschiebung überarbeitet werden, was die Alliierten derzeit ablehnen. Zudem birgt die Verschiebung von Kräften in die Ukraine das Risiko, dass so die Verteidigung von NATO-Territorium geschwächt wird", heißt es in der SWP-Analyse.
Genügt Europas Streitmacht?
Bedenken betreffen auch die Einsatzfähigkeit: Europäische Soldaten sind weit weniger kampferprobt als ihre russischen Gegenüber. Eine Bruegel-Studie vom Februar kritisiert zudem die mangelnde Koordination - da jede Armee national geführt wird, fehle eine einheitliche Kommandostruktur. Loss vom ECFR hält eine so große Truppenentsendung zudem politisch für kaum vermittelbar.
Auch deshalb wohl herrschen, große Meinungsunterschiede zwischen den europäischen Ländern, wie André Hartel, Leiter des SWP-Büros in Brüssel, anmerkt: "Deutschland sieht eine solche Entsendung nicht als Teil von Sicherheitsgarantien." Auch Italien hat eine Beteiligung ausgeschlossen.
Eine alternative Idee ist das sogenannte "Tripwire-Szenario": Eine kleinere Truppe von 5.000 bis 10.000 Soldaten wird als "Stolperdraht" entsandt. Sollte sie ernsthaft angegriffen werden, würde das eine gesamteuropäische Reaktion auslösen. Dies soll Russland von einem Angriff abhalten.
Wird Europa zur Kriegspartei?
Unabhängig vom genauen Einsatz wären europäische Soldaten der Gefahr ausgesetzt, durch russische Angriffe, etwa mit Drohnen, verletzt oder getötet zu werden. Allein ihre Präsenz hingegen würde die NATO nicht automatisch zur Kriegspartei machen.
US-Präsident Trump hat bereits klargestellt, dass ein solcher Einsatz außerhalb der NATO-Strukturen erfolgen sollte. Dann wäre das Bündnis nicht automatisch im Krieg, selbst wenn europäische Soldaten unter russisches Feuer gerieten.
"Es ist unwahrscheinlich, dass die NATO als Allianz reagieren würde, aber es würde Konsultationen geben", sagt Loss. "Eine rechtliche Verpflichtung zu handeln, gibt es per se nicht. Der NATO-Vertrag lässt viel Spielraum."
Experte Wolff gehen davon aus, dass betroffene Länder eher zurückhaltend und abhängig von der jeweiligen Situation reagieren würden. "Ein Unfall wäre das eine. Ein gezielter Großangriff auf europäische Truppen wäre etwas anderes."
Europäische Regierungen simulieren derzeit verschiedene Szenarien - doch sie stehen vor einem Dilemma: Jede Truppenentsendung birgt Risiken und könnte sie in einen Krieg hineinziehen, den sie eigentlich beenden wollten.
Adaption aus dem Englischen: Jan D. Walter