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Politik

Das Darknet ist Kindermissbrauchsland

Richard A. Fuchs
6. Februar 2018

Der Europäische Polizeikongress debattiert über Kindesmissbrauch im Internet. Denn "das Netz entwickelt sich zum zentralen Tatort für sexuelle Gewalt", so der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Rörig.

Symbolbild Cyber Sicherheit
Bild: Getty Images/L. Neal

Der Kampf gegen sexuelle Gewalt im Netz: Er hat erst begonnen. "Das Darknet ist seit Jahren Schutzraum für perfide Täter", sagte der unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, auf dem 21. Europäischen Polizeikongress in Berlin. Dies zeige auch der Fall eines neunjährigen Jungen in Freiburg, der weit über Deutschlands Grenzen hinaus Empörung ausgelöst hat.

Die Mutter des Kindes und ihr Lebensgefährte hatten ihn über zwei Jahre lang sexuell missbraucht. Doch damit nicht genug: Im Internet bot das Paar den Jungen zur Vergewaltigung an. So entstand ein Pädophilen-Ring um das Kind, der erst im September 2017 zerschlagen werden konnte. Später war öffentlich geworden, dass das Jugendamt das Kind bereits Anfang 2017 aus der Familie befreien wollte, letztlich aber am Einspruch eines uneinsichtigen Richters scheiterte. Der Lebensgefährte der Frau war als vorbestrafter Sexualstraftäter polizeibekannt. "Der Fall dokumentiert ein kolossales Versagen einer Vielzahl von Verantwortlichen", so Rörigs Fazit vor gut 1500 Führungskräften von Polizei, Nachrichtendiensten und Behörden.  

BKP-Präsident Holger Münch spricht vor 1.500 Polizeikollegen aus ganz EuropaBild: picture-alliance/dpa/A. Hilse

"Der Schlüssel im Kampf gegen sexuelle Gewalt ist Vernetzung"

Der Missbrauchsbeauftragte rief die Polizeikräfte aus verschiedenen Ländern Europas dazu, sich intensiver denn je dem Kindesmissbrauch im Netz entgegenzustellen. "Das Netz entwickelt sich zum zentralen Tatort für sexuelle Gewalt." Straftäter würden dabei immer schamloser und leider auch immer professioneller vorgehen. So würden die Social-Media-Profile von Kindern systematisch nach Bildern abgesucht, mit denen die Kinder anschließend erpresst würden. Unter Androhung, die Bilder zu verbreiten, würden die Kinder dann zu einem Treffen mit dem Täter gezwungen.

Wie groß das Dunkelfeld ist, darauf verwies Professor Klaus Beier, Sexualwissenschaftler von der Charité in Berlin. Seine Zahlen schockieren: Neun Prozent aller Mädchen und drei Prozent aller Jungen in Deutschland wurden bereits Opfer sexueller Gewalt. Und Experten wie er schätzen, dass kaum zehn Prozent aller Fälle tatsächlich öffentlich werden. Wie eng virtueller und realer Missbrauch dabei miteinander verknüpft sind, darauf verwies Steven Wilson, Leiter des Cybercrime-Zentrums bei der Europäischen Polizeibehörde Europol. Studien legten nahe, dass weit über 80 Prozent der Online-Täter auch im richtigen Leben zuschlagen wollten, so Wilson.

Johannes-Wilhelm Rörig ist unabhängiger Missbrauchsbeauftragter der BundesregierungBild: picture-alliance/dpa

Der Missbrauchsbeauftragte Rörig erneuerte daher seine Forderung nach einem Gesetz zur Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder. "Kinder und Jugendschutz findet im Netz aktuell nicht statt." Zur Prävention brauche es eine Aufklärungskampagne - nach dem Vorbild der Anti-Aids-Kampagne. Der Schlüssel im Kampf gegen sexuelle Gewalt sei dabei "die Vernetzung" der Polizeikräfte auf den unterschiedlichen Ebenen, aber auch die Verzahnung der Arbeit mit Gerichten, Jugendämtern und sozialen Diensten. Bislang fehle es an Personal, an technischer Ausstattung und an den rechtlichen Grundlagen zur Zusammenarbeit.

Bundeskriminalamt fordert Aufweichung der Datenschutzregeln

Das sieht der oberste Ermittler in Deutschland, Holger Münch, ähnlich. Im Kampf gegen Kinderpornografie im Netz forderte der Präsident des Bundeskriminalamtes eine Ausweitung der Befugnisse für seine Behörde. Im abgelaufenen Jahr seien mutmaßliche Täter in 8400 Fällen entwischt, "weil die Daten dazu nicht mehr gespeichert waren". Der BKA-Präsident sprach sich deshalb dafür aus, die bislang vom Gesetzgeber stark eingeschränkte Vorratsdatenspeicherung auszuweiten. Wenn die IP-Adresse eines Computers nicht gespeichert werde, könnten die Ermittler mit einer Tatzeit nichts mehr anfangen. Wenn dies das einzige vorhandene Instrument sei, müsse der Fall dann eingestellt werden, sagte Münch vor seinen Polizeikollegen.

Cathrin Bauer-Bulst von der Europäischen Kommission in Brüssel ist ausgewiesene Spezialistin für Cyberkriminalität. Sie erinnerte daran, dass Europa bei Ermittlungen im Darknet bislang auf Hinweise von Behörden aus den USA, Kanada oder Australien angewiesen sei. Der Grund: "In diesem Bereich erzielt man als Ermittler nur Erfolge, wenn man selbst an dem kriminellen Geschehen mitmischt", erläuterte Bauer-Bulst. Weil in Europa bislang aber der Grundsatz gelte, dass Ermittler sich selbst nicht strafbar machen dürfen, komme man beim Kampf gegen die Netzkriminalität kaum voran. International sieht das anders aus.

"Kinder und Jugendschutz findet im Netz aktuell nicht statt", sagt der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung Bild: picture alliance/dpa

Die australische Polizei hat monatelang die Webseite "Child’s Play" betrieben, auf der tausende Mitglieder Bilder und Filme von sexuellen Übergriffen auf Kindern tauschten. Als genügend Beweise für Straftaten vorlagen, schlugen die Ermittler zu. "Das können wir in Kontinentaleuropa nicht", so Bauer-Bulst. Sie plädiert deshalb für eine Reform der im Jahr 2011 verabschiedeten EU-Richtlinie gegen sexuellen Kindesmissbrauch. Besonders klärungsbedürftig sei, welche Befugnisse Ermittler in Europa im Darknet haben sollten. Komme man hier nicht voran, so die Cybercrime-Expertin, dann sei der Fall von Freiburg kein Wendepunkt, sondern nur ein weiterer Tiefpunkt in einer langen Reihe.

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