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Politik

Europa blickt mit Sorgenfalten auf Italien

22. Mai 2018

Die sich abzeichnende Übernahme der römischen Regierung durch europaskeptische Populisten unter Führung eines politisch unerfahrenen Ministerpräsidenten lässt in der Europäischen Union die Alarmglocken schrillen.

Italien - Rom - Stadtansicht
Bild: picture alliance/Arco Images/B. Bönsch

EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis hat Italien zu einer "verantwortungsvollen Haushaltspolitik" ermahnt. Die Kommission lege "Wert darauf, dass die neue italienische Regierung auf Kurs bleibt und eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik betreibt", sagte der Lette dem "Handelsblatt". Die Regierung müsse das Wachstum "mit Strukturreformen fördern und das Haushaltsdefizit unter Kontrolle behalten". EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström sagte in Brüssel mit Blick auf Italien: "Es herrscht etwas Beunruhigung, ja."

In Sorge: der stellvertretende EU-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis Bild: DW/A. Sawitzki

Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok warnte in der "Saarbrücker Zeitung" drastisch vor den Folgen des geplanten Regierungsprogramms: "Deshalb wird die Wirtschaft dort einbrechen. Die italienischen Banken werden einbrechen. Viele Italiener werden dann versuchen, ihre Ersparnisse ins Ausland zu bringen, um sie vor dem Chaos zu retten." Italien habe im Falle eines abrupten Kurswechsels keinen Anspruch auf europäische Solidarität, betonte der EU-Parlamentarier: "Die Zeichen stehen auf Sturm."

Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag blickt mit Sorge auf die mögliche EU-kritische Regierung in Italien. Die Unsicherheit bezüglich der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen nehme wieder deutlich zu, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. In Italien zeichne sich eine "teure Regierungsbildung" ab. Die beiden Parteien wollten die Bürger mit Grundeinkommen und Steuersenkungen entlasten. Dercks: "Fiskaldisziplin und Sparmaßnahmen zum Abbau des hohen Schuldenbergs fehlen hingegen."

Auch massive zusätzliche Sozialausgaben geplant 

Ähnlich äußerte sich der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Die prekäre politische Lage in Italien erhöhe die Unsicherheit über die Zukunft Europas so Fratzscher. Er rief die Bundesregierung auf, den Fliehkräften in Europa entgegenzuwirken und zusammen mit Frankreich einen konkreten Reformplan für Europa anzubieten. "Deutschland wird sich der Lage in Italien nicht entziehen können und sollte besser jetzt handeln, als auf eine erneute Schieflage reagieren zu müssen."

Die Regierungsvorhaben der beiden systemkritischen Parteien - der populistische Fünf-Sterne-Bewegung und der fremdenfeindliche Lega - könnten zu massiven Konflikten mit Brüssel führen. Die Lega und die Fünf Sterne wollen die Sparpolitik im hoch verschuldeten Italien beenden. Sie planen Steuersenkungen und massive zusätzliche Sozialausgaben.

In der Pflicht: Italiens Staatspräsident Sergio MattarellaBild: Imago/IPA/M. Trex

Die Entscheidung über die Einsetzung der Regierung liegt nun bei Italiens Präsident Sergio Mattarella. Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega hatten Mattarella am Montag ihren Vorschlag für das Amt des Ministerpräsidenten vorgelegt. Es handelt sich um den weithinunbekannten Jura-Professor Guiseppe Conte, der bislang keine Erfahrung in politischen Ämtern hat. Mattarella beriet inzwischen mit den Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern. Eine Entscheidung darüber, ob er Conte mit der Regierungsbildung beauftragt, wollte Mattarella nach Angaben eines Sprechers an diesem Dienstag aber noch nicht treffen. Lehnt er Conte ab, könnte es Neuwahlen geben. Italienische Medien berichteten, Mattarella habe Zweifel, inwieweit Conte als Politik-Neuling das Regierungsamt ausfüllen könne. Zudem fordere der Präsident Garantien, dass die neue Regierung Italiens europäische Verpflichtungen und internationalen Bündnisse respektiert.

"Mit welcher Autorität könnte er Merkel oder Macron gegenübertreten?"

Die Koalitionspartner in spe bemühten sich in Rom um Beschwichtigung. Lega-Chef Matteo Salvini sagte, die neue Regierung wolle Italien "wachsen lassen und neu aufstellen und dabei die Regeln und Verpflichtungen einhalten". Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio mahnte die Kritiker zur Geduld: "Lasst uns erst einmal anfangen, dann dürft Ihr uns auch kritisieren."

In der Kritik: der mögliche neue Ministerpräsident Giuseppe ConteBild: picture-alliance/dpa/S. Lore

Für Kritik sorgten auch die Umstände der Nominierung Contes als Ministerpräsident. Di Maio und Salvini hatten lange über die Besetzung des Ministerpräsidentenamts gestritten. Keiner der Parteichefs wollte das Amt dem anderen überlassen, schließlich präsentierten sie Conte als Kompromisskandidat. Fraglich ist, inwieweit die Parteichefs dem Neuling Conte, der über keine politische Hausmacht verfügt, tatsächlichen Handlungsspielraum lassen würden. Die Tageszeitung "La Repubblica" schrieb in einem harschen Kommentar, Conte wäre "ein Ministerpräsident, der nichts zählt". Sie warf die Frage auf: "Mit welcher Autorität könnte er Angela Merkel oder Emmanuel Macron gegenübertreten?"

Conte geriet inzwischen aber noch wegen eines anderen Sachverhalts in die Kritik. Der 53-Jährige sieht sich nämlich Vorwürfen über Ungereimtheiten in seinem Lebenslauf ausgesetzt. Er hatte darin renommierte Universitäten auf der ganzen Welt aufgelistet, darunter auch die New York University (NYU). Eine NYU-Sprecherin sagte der "New York Times" allerdings, ein Giuseppe Conte sei dort weder Student noch Angehöriger einer Fakultät gewesen. Die Fünf Sterne stellten daraufhin klar: Conte habe an keiner Stelle geschrieben, Kurse oder Master an der Universität absolviert zu haben. Er habe lediglich sein Studium der Rechtswissenschaften "perfektioniert und aufgefrischt".

Deutschland-Kritiker als neuer Wirtschafts- und Finanzminister?

Als problematisch gilt ferner die Besetzung des Wirtschafts- und Finanzministeriums - ein Schlüsselposten. Denn als möglicher Kandidat wird der Euro- und Deutschland-Kritiker Paolo Savona gehandelt. Der Wirtschaftswissenschaftler soll der Wunschkandidat der Lega sein. Savona hält den Euro für ein "deutsches Gefängnis". Die Zeitung "La Stampa" zitierte weiter aus seiner Autobiografie: "Deutschland hat seine Vision für seine Rolle in Europa nach dem Nationalsozialismus nicht geändert, obwohl es sich von der Vorstellung verabschiedet hat, dies mit Waffengewalt durchzusetzen". Es gilt aber als unwahrscheinlich, dass der Staatspräsident einen Kandidaten wie Savona für das zentrale Ministerium durchgehen lässt.

Wirtschaft und Finanzmärkte reagierten nervös auf die Entwicklung in Italien. Die Börse in Mailand schloss am Montag mit einem Minus von 1,52 Prozent, die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen steigen seit Tagen. Der Stiefelstaat hat einen Schuldenberg von 2,3 Billionen Euro angehäuft. Das entspricht 132 Prozent der Wirtschaftsleistung - die zweithöchste Schuldenquote in der EU nach Griechenland.

sti/stu (afp, dpa)

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