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"Europa braucht Antwort auf Seidenstraße"

Nicolas Martin
23. August 2018

Über die neue Seidenstraße gewinnt China auch zunehmend in Europa an Einfluss. Auch deshalb bräuchten die Europäer eine eigenen Investitionsstrategie, sagt China-Experte Moritz Rudolf im DW-Interview.

China historische Seidenstraße
Bild: Imago/Xinhua/Jiang Wenyao

Deutsche Welle: China baut seit fünf Jahren an der neuen Seidenstraße, der sogenannten "Belt and Road Initiative" (BRI). Nach eigener Aussage soll insgesamt rund eine Billion Dollar weltweit in Infrastruktur investiert werden, um Handelsstraßen auszubauen und so in China die Wirtschaft weiter anzukurbeln. Ein Ende der Seidenstraße liegt derzeit in Europa. Auch in Ländern wie Ungarn, Griechenland und an der Peripherie der EU in Montenegro oder Serbien investiert die Volksrepublik. Hält die EU dem irgendetwas entgegen? 

Moritz Rudolf: Ich glaube, dass die EU sehr lange geschlafen hat und nun langsam aufwacht. Man dachte, man könne sich auf bewährte Mittel verlassen. Davon ist man nun abgerückt und arbeitet an einer konkreten Antwort auf die Seidenstraßen-Initiative, die auch auf Infrastruktur-Investitionen aufgebaut ist.

Aber was spricht aus europäischer Initiative gegen das Seidenstraßen-Projekt?

Ich denke, wenn es jetzt nur um Infrastrukturausbau geht, dann ist es objektiv etwas Gutes. Das ist aber nur ein Teilaspekt der Initiative. Es geht auch darum - und das steht in einigen offiziellen BRI-Dokumenten - dass China "globale Standards setzen möchte, an denen sich die Welt orientieren kann." In diesem Punkt kann man sagen, dass auf Europa zumindest eine große Herausforderung zukommt.

Wie setzt China denn eigene Standards?

Bei den meisten Infrastrukturprojekten, die China mit den unterschiedlichen Ländern realisiert, ist auch eine Klausel eingebaut: Sollte es zu Streitigkeiten kommen, dann findet das chinesische Recht Anwendung. Bei der Seidenstraßen-Initiative habe ich am Ende Wirtschaftsprojekte, die komplett zu chinesischen Bedingungen, meist mit chinesischen Unternehmen, chinesischen Arbeitern nach chinesischem Recht und im Streitfall auch vor einem chinesischen Schiedsgericht stattfinden. Und das alles vor unserer Haustür. Der Ausbau von chinesischen Schiedsgerichten ist gegenwärtig der Schwerpunkt der Initiative. Ganz ungewöhnlich ist dieser Schritt aber nicht. Das machen Länder, wenn sie mächtiger werden und China macht das nun eben auch mit großem Selbstbewusstsein.

Versucht China über die Seidenstraßen-Initiative die Welt auch mit neuen Werten zu besetzen?

Ethische Standards schwingen ganz massiv bei der Seidenstraßen-Initiative mit. Und die stehen teilweise im Widerspruch zu den liberalen Werten und Vorstellungen im Westen. Die Volksrepublik ist eben ein autoritärer Staat und hat dementsprechend einen anderen Blick auf die Welt. Da ist beispielsweise das Verhältnis zwischen individuellen Menschenrechten und kollektivistischen Menschenrechten. Was ist denn das Ziel? Soll der individuelle Bürger eine zentrale Rolle spielen? Oder geht es um das "Recht auf Entwicklung" als oberstes Ziel? Und die chinesische Antwort ist einfach: Entwicklung soll im Zentrum der chinesischen Globalisierungsvision stehen - individuelle Menschenrechte spielen eine untergeordnete Rolle und werden in den offiziellen Dokumenten und von der chinesischen Regierung nicht angesprochen. Das steht im Gegensatz zum europäischen Modell. Zudem spricht die chinesische Regierung seit kurzem sogar davon, dass sie "Chinesische Weisheiten" und Erfahrungen in die Welt heraustragen möchte.

Wie wichtig ist Europa für dieses "Jahrhundertprojekt", wie die chinesische Regierung die Seidenstraßen-Initiative nennt?

Man kann die "Made in China 2025"-Strategie der Regierung unter die Seidenstraßen-Initiative subsumieren. Der Begriff benennt unter anderen das Ziel, dass China die Wertschöpfung im Hochtechnologie-Bereich ins eigene Land holen möchte, um mittelfristig die technologischen Standards auch in die Welt zu exportieren und globale Standards zu setzen. Die Seidenstraße ist da ein Katalysator, um das voranzutreiben. Nun gibt es interne chinesische Dokumente, die belegen, dass man nun die Begrifflichkeit "Made in China 2025" nicht mehr nutzen möchte, weil man weiß, dass es in Europa zu Verstimmungen geführt hat. Was ich damit sagen will: Die Chinesen wissen, dass sie die Europäer brauchen. Sie haben aber immer noch massive Probleme, viele europäische Staaten und vor allem die Europäische Union von der Initiative zu überzeugen.

Griechenlands größter Hafen in Piräus gehört mittlerweile dem chinesischen Reederei-Konzern COSCOBild: picture-alliance/Xinhua

Dennoch ist es doch ganz offensichtlich, dass durch die Seidenstraße-Initiative eine massive Konkurrenz für europäische Unternehmen ausgeht?

Die chinesischen Konkurrenten für deutsche und europäische Unternehmen haben natürlich einen immensen Rückhalt vom Staat. Die Interessen des chinesischen Staates und der chinesischen Unternehmen -  und das sind ja oft Staatsunternehmen - sind ähnlich und werden gemeinsam vorangetrieben. Dieses Zusammenspiel gibt es in Europa nicht so stark ausgeprägt und das macht es natürlich für die europäischen Unternehmen umso schwieriger, dagegen anzukommen. Zudem kritisiert man in Europa, dass die öffentlichen Ausschreibungsregeln bei Seidenstraßen-Projekten in Drittstaaten, europäische Unternehmen benachteiligen und nicht europäischen Transparenzstandards entsprechen.

In einem Dokument, von dem das "Handelsblatt" im April berichtete, haben 27 EU-Länder China mit relativ deutlichen Worten kritisiert. Die Seidenstraßen-Initiative laufe "der EU-Agenda für die Liberalisierung des Handels entgegen und verschiebt das Kräfteverhältnis zugunsten subventionierter chinesischer Unternehmen". Was ist von dieser Kritik angekommen?

Man ist sich in China bewusst, dass es sehr schwierig ist, die europäischen Staaten von dieser Initiative zu überzeugen. Eigentlich wäre es für die Chinesen ein Jackpot, wenn man Europa mit dabei hätte. Aber die europäischen Anforderungen im Bereich der Transparenz und Nachhaltigkeit möchte die chinesische Seite nicht mitgehen. Momentan schafft man es nicht, sich auf eine gemeinsame Grundlage zu besinnen mit dem sowohl die europäische Seite als auch die chinesische Seite in Drittstaaten zusammenarbeiten könnte.

Könnten die Chinesen nicht sagen, "gut, dann pfeifen wir einfach auf die Europäer bei unserem Seidenstraßen-Projekt"?

Das sagen sie mittlerweile immer häufiger und selbstbewusster, aber ich glaube, das können sie noch nicht und eigentlich weiß die Regierung das auch. Dafür sind die chinesische Soft Power und die chinesischen Standards einfach noch nicht weit genug. Ich glaube, es ist noch zu früh. Von der chinesischen Seite aus betrachtet, wäre es jetzt besser, die Europäer mit an Bord zu haben. In ein paar Jahren könnte man dann den Weg auch alleine gehen.

Sehen sie denn die Gefahr, dass über Investitionen versucht wird, politischen Einfluss in der EU zu bekommen?

In Montenegro ist das Abhängigkeitsverhältnis zu China schon sehr groß. Auch Ungarn ist ein Land, das die Seidenstraßen-Initiative geschickt ausnutzt und die EU und China gegeneinander ausspielt. Griechenland hat im letzten Jahr im UN-Menschenrechtsrat  - anders als alle anderen EU Staaten - die chinesischen Menschenrechtsstandards nicht kritisiert. Man weiß, wie groß die chinesischen Investitionen im Hafen von Piräus sind. Europäische Staaten müssen da zwischen EU-Werten und Chinas Investitionen abwägen und das führt häufig dazu, dass man sich genau überlegt wie man sich öffentlich zu China äußert.

Chinakenner Moritz RudolfBild: Mercator Institute for China Studies

Im Rahmen des 16+1 Mechanismus verhandelt China auch mit den Ländern Zentral- und Osteuropas über Investitionen. Könnte China so versuchen, Europa zu spalten?

Ich glaube nicht, dass die Chinesen gezielt versuchen, die EU zu spalten, damit die EU schwach ist. Das machen die EU-Mitgliedsstaaten schon selbst. Peking nutzt die Schwäche Europas natürlich aus, um die Initiative voranzutreiben. Aber meiner Ansicht nach wäre es für die chinesische Führung ein größerer Gewinn, einen Kompromiss mit Brüssel zu erlagen. Da bin ich aber gegenwärtig sehr skeptisch. Europa braucht aber eine koordinierte europäische Antwort auf die Seidenstraße, um der Initiative auf Augenhöhe zu begegnen. Nach fünf Jahren Seidenstraßeninitiative ist dies auch bitter nötig.

Das Interview führte Nicolas Martin.

Moritz Rudolf hat Jura und VWL in Deutschland und China studiert. Nach mehreren Jahren am Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin gründete er die Beratungsfirma Eurasia Bridges. Damit will er als neutraler Wissensvermittler zwischen China und Europa auftreten und berät unter anderem. Unternehmen in China und Europa, damit diese von der Seidenstraßeninitiative in Europa, China und Drittstaaten profitieren können.

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