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Politik

Wie weiter, Frau Merkel?

Kay-Alexander Scholz
22. Februar 2018

Der Bundestag - nur noch ein Abnick-Parlament? Von wegen! Die Debatte vor dem EU-Gipfel zeigte ein diskussionsfreudiges Parlament im Ringen um die Leitlinien einer Europa-Politik. Auch Syrien war Thema.

Deutschland Regierungserklärung Merkel
Bild: Reuters/A. Schmidt

Es ist parlamentarische Tradition in Deutschland, dass die Bundeskanzlerin vor Gipfeln der Europäischen Union (EU) eine Regierungserklärung im Bundestag abgibt. So auch an diesem Donnerstag vor dem informellen EU-Gipfel, der am Freitag in Brüssel stattfindet. Einer 20-minütigen Rede von Angela Merkel folgte eine anderthalbstündige Debatte, die es in sich hatte. Hauptthema: Welchen Stellenwert hat die EU für die Bundesregierung und für die Parteien im Bundestag? Welche Kritik gibt es am bisherigen Kurs?

Die Kanzlerin verwies auf den Koalitionsvertrag, den ihre Partei, die Christdemokratische Union (CDU), mit den Christsozialen (CSU), der Schwesterpartei aus Bayern, und den Sozialdemokraten (SPD) geschlossen hat. Die SPD-Mitglieder müssen dem Vertrag noch zustimmen. Europa füllt darin das erste Kapitel. "Prominenter stand Europa in keinem Koalitionsvertrag zuvor", betonte Merkel. Das sei ein "klares Bekenntnis zum europäischen Arbeitsprogramm".

Dieses aktuelle Arbeitsprogramm umfasse drei Bereiche: Migration, Wirtschaft und gemeinsame Außenpolitik. Vor allem der erste Punkt ist kritisch, weil sich einige Mitgliedsstaaten gegen eine Verteilung von Flüchtlingen sperren. Merkel kündigte nun an, bis zum Juni wesentliche Schritte in diesem "unbefriedigendsten Kapitel der europäischen Flüchtlingspolitik" erreichen zu wollen. Beim anderen Thema, der Bekämpfung von Fluchtursachen, kündigte Merkel einen Mini-Gipfel mit anderen EU-Staaten und Institutionen zur Situation in der Sahelzone an. Das Treffen soll vor dem Gipfel am Freitag stattfinden. Zu den anderen beiden Punkten verwies Merkel auf den kommenden regulären EU-Gipfel im März. Dann werde es auch um eine Banken-Union und Projekte der gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik gehen.

Merkel fordert Ende des "Massakers" in Syrien

Die Bundeskanzlerin äußerte sich auch zur Situation in Syrien. Die Europäer müssten sich bemühen, mehr gegen das dortige "Massaker" zu tun. Die Regierung von Präsident Baschar al-Assad führe einen "Krieg nicht gegen Terroristen, sondern gegen das eigene Volk".

In der folgenden Debatte kritisierte der Fraktionschef der Linkspartei, Dietmar Bartsch, Merkel dafür, dass sie kein Wort zu "Aggression der Türkei in Nordsyrien" gesagt habe. Das sei ein "völkerrechtswidriger Krieg", so Bartsch. Dem schloss sich die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckhardt, später an: Merkel hätte auch die Situation in Afrin erwähnen sollen.

Viel Kritik von der Opposition

Über eine Leerstelle in einem anderen Punkt beschwerte sich der Chef der Liberalen, Christian Lindner. Merkel, derzeit Kanzlerin einer nur geschäftsführenden Regierung, habe nichts zu den Europa-Vorschlägen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gesagt. Zum Beispiel zum Vorschlag, dass es 15 statt bisher 27 EU-Kommissare geben sollte. Frankreich und nicht Deutschland sei zum Taktgeber in der EU geworden. Auch müsse dringend darüber gesprochen werden, so Lindner, dass Freihandelsabkommen ausschließlich auf EU-Ebene geregelt werden sollten. Damit wären sie nicht wie derzeit von der Zustimmung nationaler Parlamente abhängig. Allerdings hatte sich Merkel zuvor offen gezeigt für Bürgerkonvente in Europa. Eine Idee, die so von Macron stammt. Auf nationaler Ebene hatte Merkel in den Vorjahren damit schon eigene Erfahrungen gesammelt und "Bürgerforen" organisiert. 

Die Oppositionsparteien zeigten sich generell wenig zufrieden mit Merkels Europa-Politik. Sie vermisse "Ideen und Leidenschaft", sagte Göring-Eckhardt. Stattdessen nur bürokratisches Klein-Klein. Das habe letztlich den Spaltern in Europa, gemeint waren die Populisten, "Oberwasser" gegeben.

Die Politik der letzten Jahre sei der "Nährboden für den Kulturkampf von rechts" gewesen, sagte der Linken-Politiker Bartsch. Europa sei jetzt in einem desolateren Zustand als im Jahr 2005, dem ersten Jahr der Kanzlerschaft von Merkel. Europa sei heute nicht solidarisch, was auch an der Politik nach der Finanzkrise gelegen habe. Damals seien "Banken wichtiger als Menschen gewesen". Die dramatische Lage in Griechenland sei deshalb auch Ergebnis deutscher Politik. Im Koalitionsvertrag gebe es zwar viel "Lyrik" zu Europa, zu einer "sozialen Wende" aber fehle ein Bekenntnis.

Auch von den Sozialdemokraten, möglicher Regierungspartner Merkels, gab es Kritik an der sozialen Situation in Europa. Man müsse die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten angehen, forderte die SPD-Fraktionsvorsitzende und designierte Parteivorsitzende, Andrea Nahles. "Ich glaube, dass es diese Ungleichheiten sind, die den Zusammenhalt in Europa immer wieder neu gefährden", so Nahles.

Wie weiter mit den EU-Finanzen?

Merkel kündigte an, dass auf dem Gipfel nun auch zum ersten Mal über die Vorschläge der EU-Kommission zum Finanzrahmen ab 2021 gesprochen werde. Hier waren in den letzten Tagen sehr unterschiedliche Positionen bekannt geworden. Knackpunkt ist, ob und wie nach dem Brexit das dann aus London nicht mehr eintreffende Geld ausgeglichen werden soll. Die Niederlanden und Österreich zum Beispiel wollen keine eigenen höheren Beiträge zahlen, sondern Einsparungen erreichen. Schon seit geraumer Zeit deutet sich an, dass die Bundesregierung bereit ist, auch mehr zu zahlen. Aber nur, wenn es auch Einsparungen gebe, wie es heißt.

Angela Merkel vor dem deutschen BundestagBild: Reuters/A. Schmidt

Merkel sprach nun von einer "Chance", die EU-Finanzen auf einen Prüfstand zu stellen und "schärfen" zu wollen. Welche Bereiche stellten einen europäischen Mehrwert dar? Der Grenzschutz zähle wohl dazu, so Merkel weiter. Der Finanzrahmen müsse "Teil der Antwort sei, was für ein Europa wir haben wollen". Priorität müsse ein "moderner Haushalt" haben.

Erneut sprach sich Merkel für einen Spitzenkandidaten bei der 2019 anstehenden Wahl des EU-Kommissionspräsidenten und damit gegen transnationale Listen aus - was unter anderem die SPD kritisierte.

AfD befürchtet deutschen Souveränitätsverlust

Die deutschen Rechtspopulisten von der "Alternative für Deutschland" (AfD) fokussierten sich einerseits auf die Brexit-Verhandlungen. An Großbritannien solle ein "Exempel statuiert werden", um mögliche "Nachahmer" abzuschrecken, sagte die AfD-Fraktionsvorsitzende, Alice Weidel.

Merkels Europa-Politik bedeute zudem für den deutschen Steuerzahler, so Weidel, deutlich mehr Geldausgabe für ein "Projekt, das nicht die Interessen der Bürger vertrete". Außerdem ginge es nur darum, weiter nationale Souveränitätsrechte an die EU abzugeben. Weidel forderte, stattdessen den EU-Haushalt zu kürzen.

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