1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Europa-Erklärstunde mit der Kanzlerin

14. August 2018

Sprechen wir über Europa: Mit diesem Versprechen reiste Angela Merkel nach Jena. Doch beim EU-Bürgerdialog blieb die Konfrontation mit Kritikern aus. Das lag auch am Format der Veranstaltung. Richard Fuchs berichtet.

Deutschland Bundeskanzlerin Merkel stellt sich Fragen der Bürger in Jena
Bild: Reuters/F. Bensch

90 Minuten stand Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag im Rampenlicht. Der Ort: ein schmuckes Backsteingebäude am Ortsrand von Jena. Einst Umspannwerk, heute ein Experimentier-Museum, das zur Erweiterung der Vorstellungskraft dienen soll – und deshalb wohl den Namen Imaginata trägt. Ein Fingerzeig der Organisatoren, um die oft festgefahrene EU-Debatte in Deutschland in Schwung zu bringen?

Merkel ohne große Visionen

Die Kanzlerin griff den Ball auf, forderte die rund 70 handverlesenen Bürger zu Kreativität in Sachen Europa auf. "Jetzt will ich von Ihnen hören, was ihre Wünsche an unsere Arbeit sind". Der Strauß an Fragen und Anregungen, die Merkel zu beantworten suchte, war entsprechend vielfältig. Mal ging es um eine bessere Pflege, mal um die große Herausforderung der Integration von Flüchtlingen. Es ging um den Brexit, ebenso wie um die Zukunft der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik.

Und auch wenn der Dialog im alten Tranformatoren-Raum in entspannter Atmosphäre und mit einer gelöst agierenden Kanzlerin ablief: Rund ums Gebäude hatte die Bundespolizei einen Hochsicherheitstrakt eingerichtet. Mit Polizeihundestaffeln, Sonderkommandos und Security.

Angela Merkel mit geladenen Gästen in JenaBild: Reuters/F. Bensch

Kaum verwunderlich, dass die Themen Sicherheit, Außengrenzen und Migration auch im Saal einen Schwerpunkt bildeten. "Warum finden wir keine Möglichkeit, die Menschen in den Ländern zu halten, wo sie herkommen, statt mit massiven Mitteln hier Integration zu betreiben?", fragt ein junger Mann. Die Kanzlerin argumentiert, dass es nicht um ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch gehe. Sie verweist auf deutlich gesteigerte Entwicklungshilfe-Etats und auf eine Vielzahl von Integrationsmaßnahmen, die langsam ineinandergreifen würden. Was eine einheitliche Asylpolitik der EU anbelangt, da antwortet Merkel kurz und knapp. "Da macht jeder noch seine Herangehensweise".

"Ein zerstrittener Klub von Fürstentümern"

Und genau dieser Eindruck, dass es den bald nur noch 27 Ländern in der EU an Gemeinsamkeiten fehlt, bringen auch einige Bürger zum Ausdruck. "Europa ist in meinen Augen ein zerstrittener, machthungriger Klub von Fürstentümern", ließ eine ältere Frau aufhorchen. Und sie schob, mit nachdenklichem Ton, hinterher: "Aber funktioniert das wirklich, wenn jeder nur sein eigenes Ding macht, ohne Rücksicht auf die anderen?" Die Kanzlerin verneint, und lobt den in Verruf geratenen Kompromiss als zentrale Errungenschaft der europäischen Politik. "Lasst uns den Kompromiss nicht schlecht machen, weil Europa kann nicht nur das machen, was Deutschland nützt", sagt Merkel.

René Treunert wollte Angela Merkel zu den Schulden der Europäischen Union befragen. Leider blieb es beim Wunsch. Bild: DW/R. Fuchs

Und dass, eher zum Missfallen des früheren Polizeipräsidenten Jenas, der sich ebenfalls unter die Gäste gemischt hatte. René Treunert, mittlerweile stellvertretender Leiter der Bereitschaftspolizei in Erfurt, wollte von der Kanzlerin eigentlich Auskunft zu Haftungsfragen bei den Euroschulden haben. Treunert verwies auf die EU-Bankenaufsicht, die eine Rekordsumme von 813 Milliarden Euro an faulen Krediten in den Büchern der Europäischen Zentralbank ausgemacht haben will. "Ich will nicht, dass das zum Schluss wieder zu Lasten des kleinen Manns geht", sagt Treunert. Im direkten Dialog geht dieser Fragewunsch unter, ebenso wie so manche weitere Frage.

Eine Wohlfühldebatte unter Europafreunden?

Die Moderatorin des Workshops unterdessen lobt das Gesprächsangebot der Politik. "Wir haben hier in Deutschland schon eine tolle Dialogkultur mit den Bürgern etabliert", findet sie. Bei einer anfänglichen Probeabstimmung der Bürger mit roten und grünen Kärtchen wird deutlich, dass nur wenige Teilnehmer an diesem Tag der EU grundsätzlich kritisch gegenüberstehen. Kaum verwunderlich, denn die Teilnehmer wurden handverlesen, ohne dass klar ist, wie genau. Das wirft Fragen auf: Wie gut bildet dieser Dialog ab, was ein repräsentativer Querschnitt der Bürger in Jena denken und fühlen? Pro-europäische Verbände wie die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) hatten im Vorfeld scharfe Kritik an dem Format des Bürgerdialogs geäußert. Denn eine wohl gemeinte Werbeshow, die echte Bürgerbeteiligung nur vortäusche, könne eben dem Ansehen der EU nur mehr schaden als nützen, hieß es von den pro-europäischen Vertretern weiter.

Merkel hört von dieser grundsätzlichen Kritik an diesem Tag in Jena nichts – und lächelt bescheiden, aber zufrieden, in die Kameras. "Der Applaus gehört ihnen", ruft sie dem Publikum zu. Und kurz danach drängen sich die Teilnehmer um sie zum Abschluss-Selfie. Es war ein Heimspiel für die Kanzlerin, die bei diesem Mal auf viel Verständnis unter den Bürgern getroffen ist. Und genau das macht deutlich, dass der eigentliche Bürgerdialog erst noch bevorsteht. Nämlich mit all jenen, die sich nicht aus Eigenantrieb auf eine solche Veranstaltung anmelden würden.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen