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Experten: Syrien-Rückkehrer werden auf Arbeitsmarkt fehlen

Nik Martin
17. Dezember 2024

Geflüchtete aus Syrien könnten nach dem Sturz von Assad zeitnah in ihr Heimatland zurückgeführt werden - in vielen EU-Staaten werden diese Forderungen lauter. Experten warnen dagegen gleich aus mehreren Gründen vor Eile.

Syrische Geflüchtete arbeiten in einer Restaurantküche in Berlin
In Deutschland leben 1,28 Millionen syrische Flüchtlinge, von denen etwa 118.000 die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten habenBild: Ebrahim Noroozi/AP Photo/picture alliance

Deutschland hat schon kurz nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad am 8. Dezember einen Stopp für die Bearbeitung von Asylanträgen syrischer Staatsbürger verkündet.

Nur 36 Stunden, nachdem syrische Rebellen die Hauptstadt Damaskus für befreit erklärt hatten, setzte die Bundesregierung Entscheidungen über mehr als 47.000 anhängige Asylanträge von Syrern aus. Innerhalb weniger Stunden folgten Frankreich, Großbritannien, Italien und einige andere.

Diese Entscheidungen sorgten für Nervosität unter den mehr als 1,5 Millionen Syrern, die sich seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 in Europa niedergelassen haben.

Für besonders viel Aufregung sorgten die Äußerungen des österreichischen Innenministers Gerhard Karner, der sein Ministerium anwies, ein Programm für die "geordnete Rückführung und Abschiebung nach Syrien" vorzubereiten. Ähnliche Forderungen gab es auch von deutschen Politikern.

Europas Regierungen scheinen den Sturz Assads als günstigen Moment nutzen zu wollen, um auf den wachsenden Unmut ihrer Bevölkerungen wegen der hohen Migrationszahlen zu reagieren.

Bevor der Bearbeitungs-Stopp angekündigt wurde, gab es bis Ende Oktober nach Angaben der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) mehr als 108.000 offene Asylanträge von Syrern in der EU.

Die raschen Entscheidungen stehen in krassem Gegensatz zur Willkommenskultur während des Höhepunkts der Migrationskrise 2015/16. Damals wurden syrische Flüchtlinge an Bahnhöfen von Teilen der deutschen Bevölkerung mit Trinkwasser-Flaschen und Lebensmitteln empfangen.

Keine schnelle Lösung für die Lage in Syrien

Die Ankündigungen sorgten für erhebliche Verunsicherung in einer Zeit, als die führende Rebellengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) dabei war, eine Übergangsregierung zur Stabilisierung des Landes zu bilden.

Ein früherer Grund für die Willkommenskultur scheint mittlerweile nicht mehr zu zählen. Nicht nur aus humanitären Gründen sollten die syrischen Geflüchteten aufgenommen werden, so argumentierte damals die Politik, sondern sie sollten dazu beitragen, den Arbeitskräftemangel in Europa zu mildern.

Anastasia Karatzas, Analystin bei der Brüsseler Denkfabrik European Policy Center (EPC), weist darauf hin, dass die EU in letzter Zeit ihre Bemühungen verstärkt hat, mehr Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurückzubringen. Das habe man trotz des Arbeitskräftemangels schon vor Assads Sturz beobachten können.

"Es besteht ein dringender Bedarf in der gesamten EU etwas gegen den Arbeitskräftemangel zu machen sowie die Ausbeutung von Arbeitskräften, insbesondere von irregulären Wanderarbeitern, zu bekämpfen. Wenn jetzt die Rückführung [von Flüchtlingen] so stark gefordert wird, drohen diese anderen Prioritäten davon überschattet zu werden", sagt Karatzas im DW-Gespräch.

2015 machte der Syrer Anas Modamani nach seiner Ankunft in Deutschland ein Selfie mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela MerkelBild: Ebrahim Noroozi/AP Photo/picture alliance

Integration der Syrer "besser als erwartet"

Eine so große Zahl von Flüchtlingen - im Falle Deutschlands 972.000 Syrer - in so kurzer Zeit zu integrieren, war natürlich eine Herausforderung. Philipp Jaschke, Arbeitsmarktforscher am Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), meint jedoch, dass die Bemühungen in Deutschland "viel besser funktioniert haben als erwartet".

"[Die Flüchtlinge] haben Syrien plötzlich verlassen. Viele von ihnen haben auf der Flucht traumatisches erlebt. Als sie ankamen, waren sie weitgehend unvorbereitet auf den deutschen Arbeitsmarkt und es gab viele institutionelle Barrieren", sagt Jaschke im DW-Gespräch.

Zu diesen Hürden gehörten lange Wartezeiten bei Asylentscheidungen, das Erlernen der deutschen Sprache und der Abschluss eines Studiums oder der Erwerb anerkannter Qualifikationen vor dem Eintritt in den Arbeitsmarkt, der sich über Jahre hinzieht. Mittlerweile beschränken sich die Berufsaussichten von Geflüchteten oft auf gering qualifizierte Stellen.

Erhebungen des IAB deuten darauf hin, dass mehr als 90 Prozent der Syrer vor ihrer Flucht in Berufen arbeiteten, die in Deutschland eine Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss voraussetzen. In Deutschland angekommen, arbeitete rund ein Drittel zunächst in gering qualifizierten Berufen. Sechs Jahre später war ein Viertel von ihnen immer noch in diesen Beschäftigungsverhältnissen.

Hohe Arbeitslosenquote aus mehreren Gründen

Im September 2024 waren rund 287.000 Syrerinnen und Syrer in Deutschland beschäftigt, wie aus einem Mitte Dezember veröffentlichten Bericht des IAB hervorgeht. Ihre durchschnittliche Beschäftigungsquote ist gesunken, da viele von ihnen erst in jüngerer Zeit angekommen sind und sich noch in der Anfangsphase des Integrationsprozesses befinden.

Doch je länger Geflüchtete in Deutschland bleiben, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie einen Job finden. Das IAB stellte fest, dass rund 61 Prozent der syrischen Flüchtlinge sieben Jahre nach ihrer Ankunft eine Beschäftigung hatten.

Obwohl die offizielle Arbeitslosenquote der Syrer mit 37 Prozent weit über der deutschen Arbeitslosenquote von 5,9 Prozent (November 2024) liegt, spielen kulturelle und andere Faktoren eine wichtige Rolle. Mehr syrische Frauen als Männer sind nicht erwerbstätig. Viele Frauen waren vor ihrer Flucht aus Syrien Hausfrauen und konnten daher keine Berufserfahrung sammeln. Viele syrische Frauen haben kleine Kinder und kommen durch ihre traditionelle Familienrolle kaum mit der Berufswelt in Berührung.

Anastasia Karatzas vom European Policy Center sagt, dass Diskriminierung und "anhaltende Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Fähigkeiten und Qualifikationen" weitere Probleme seien, und bezieht sich dabei auf Europa als Ganzes.

Im ersten Halbjahr 2024 haben rund 71.000 Syrerinnen und Syrer Asyl in der EU beantragt. Bild: Maram Salim/DW

Syrer füllen wichtige Lücken auf dem Arbeitsmarkt

In Deutschland arbeiten fast 30 Prozent der geflüchteten Frauen im sozialen und kulturellen Dienstleistungssektor, einschließlich Bildung und Kinderbetreuung. Jede Zehnte arbeitet im Einzelhandel. Mehr als ein Fünftel der männlichen Geflüchteten arbeitet im Logistik- oder Produktionsbereich. Syrer sind auch im Gastgewerbe, im Gesundheitswesen und im Baugewerbe stark vertreten, so das IAB.

"In diesen Sektoren herrscht ein gravierender Arbeitskräftemangel", so Jaschke, wo es eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften und ein vergleichsweise geringes Angebot an Arbeitskräften gebe. "Deutschland würde also wirklich verlieren, wenn diese Leute weggingen."

Zu der Frage, wie viele nun zurückkehren möchten, ergab eine kürzlich vom IAB durchgeführte Umfrage, dass mehr als 90 Prozent der in Syrien geborenen Geflüchteten, die zwischen 2013 und 2019 nach Deutschland kamen, angaben, dauerhaft bleiben zu wollen. Doch das könnte sich durch die jüngsten Entwicklungen in Syrien ändern.

"Fast 40 Prozent leben hier seit 2015 oder länger. Sie verdienen hier ihren Lebensunterhalt, bauen soziale Netzwerke auf, viele haben ihre Familie mitgebracht, da ist es wahrscheinlich, dass viele bleiben werden", sagt Jaschke der DW.

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Zu früh, um über Rückführung zu sprechen?

Diejenigen, die sich nicht in Europa integriert haben oder innerhalb einer angemessenen Zeit keine Arbeit gefunden haben, könnten zur Rückkehr gedrängt werden oder zurückkehren wollen. Viele weitere könnten daran interessiert sein, die syrische Wirtschaft nach dem fast 14 Jahre andauernden Bürgerkrieg wieder aufzubauen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn sagte kürzlich dem Sender n-tv, dass ihnen staatliche Unterstützung für die Rückführung angeboten werden sollte, und sprach von einem Umzugsbonus von 1000 Euro pro Person und der Nutzung von staatlich gecharterten Flugzeugen.

Während die Auseinandersetzungen um das Thema weitergehen, warnt Frank Werneke vor einer groß angelegten Rückführungsaktion. Der Chef der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hofft, dass die Minister "mit kühlem Kopf an die Situation herangehen".

In einem Interview mit der deutschen Nachrichtenagentur DPA sagte Werneke, es sei wichtig, dass die syrische Übergangsregierung zunächst "möglichst demokratische Bedingungen" schaffe, die die Bedürfnisse der vielen ethnischen und religiösen Gruppen des Landes berücksichtigten.

Auf europäischer Ebene befürchtet Anastasia Karatzas, dass eine Anti-Migranten-Stimmung in vielen EU-Staaten zu einer reflexartigen Reaktion führen könnte und warnt vor übereilten Entscheidungen.

"Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die sicherstellen, dass die Rückführungen auf gut gesteuerte Weise erfolgen", sagt die Analystin. Als Basis sollten Befunde und Daten über die Rolle der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt dienen.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert