Ungarn unter europäischer Kritik
27. Januar 2012Seit Wochen sind die neuen Gesetze der rechts-konservativen ungarischen Regierung von Viktor Orban in aller Munde und unter kritischem Beschuss: Die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbank sei in Gefahr, so die Kritik aus Brüssel. Des Weiteren sei durch die Entlassung von 300 älteren Richtern und die Einflussnahme auf die Datenschutzbehörde auch die Unabhängigkeit dieser für einen Rechtsstaat elementaren Institutionen gefährdet, monieren EU-Politiker.
Doch auch die Unabhängigkeit von Medien und Verfassungsgericht werden von neuen Gesetzen eingeschränkt. Die Beschneidung der Rechte des Verfassungsgerichts ist nach Ansicht von Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin die schwerwiegendste Maßnahme Orbans.
Verstoß gegen Religionsfreiheit
Doch damit nicht genug: Nach einer im Januar 2012 in Kraft getretenen Vorschrift können mehr als 100 Religionsgemeinschaften ihren Status als Kirche und die damit verbundenen Rechte verlieren. Denn sie erfüllen die neuen, strengeren Zulassungsvoraussetzungen nicht und müssten zudem von einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Parlaments als Kirche bestätigt werden.
Das sei ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit, monierte der Menschenrechtskommissar des Europarats Thomas Hammarberg. Wie jetzt bekannt wurde, bat er bereits Mitte Dezember 2012 den ungarischen Außenminister Janos Martonyi, die ungarische Regierung möge doch das neue Gesetz im Lichte der entsprechenden Standards überdenken. Er freue sich auf Antwort und die Fortsetzung des konstruktiven Dialogs. Die Antwort des ungarischen Außenministers war kurz: Er hoffe ernsthaft, dass Informationen über die aktuellen Entwicklungen zu einer Klärung führen würden, hieß es in dem vom Europarat veröffentlichten Schreiben.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg spürt die ersten Auswirkungen der umstrittenen ungarischen Gesetze. Rund 8000 Individualbeschwerden ungarischer Bürger gingen seit Mitte Dezember bei Gericht ein: Justizbedienstete im Vorruhestand wehren sich gegen eine nachträglich eingeführte Besteuerung ihrer bislang steuerfreien Pension.
Beschwerdeflut vor dem EGMR
Der EGMR jedenfalls kann dieser Beschwerdeflut nicht Herr werden, erklärt Gerichtspräsident Sir Nicolas Bratza. Man habe daher die ungarischen Gewerkschaften aufgefordert, Gruppenbeschwerden mit Listen der Namen und weiterer Details einzuleiten. Nur so könnte das Gericht die Fälle effizient bearbeiten.
Der Fall der Pensionsgesetze illustriere aber, so Bratza weiter, wie ein einzelnes Ereignis eine riesige Zahl von Beschwerden auslösen kann, die man niemals erwartet hätte.
Die Frage der Unabhängigkeit von Zentralbank, Justiz und Datenschutzbeauftragtem könne jedoch nicht ohne weiteres als Menschenrechtsverletzung betrachten werden: Dazu bräuchte es wohl erst einmal Einzelfälle, in denen diese umstrittenen Gesetze zu einer Verletzung von Menschenrechten geführt haben könnten.
Doch gegen diese Vorschriften der rechtskonservativen Regierung von Viktor Orban geht die Europäische Union vor: Mitte Januar 2012 leitete sie ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Nach Ansicht von Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist Orban aber Realpolitiker: "Er ist intelligent und pragmatisch genug, um keine Front zwischen Brüssel und Budapest zu eröffnen." Schließlich stünden auch die Finanzzusagen auf dem Spiel, so Lang, die Ungarn dringend von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) benötigt.
Autorin: Daphne Grathwohl
Redaktion: Tamas Szabo/tko