1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Droht Europa neuer Streit um Gaslieferungen?

Azad Safarov | Oleksandr Holubov | Markian Ostaptschuk
9. März 2018

Der Gasstreit zwischen Moskau und Kiew geht in eine neue Runde. Befürchtet wird sogar ein Stopp der Lieferungen durch die Ukraine. Welche Länder wären davon am stärksten betroffen?

Ukraine | Gasspeicher in Mryn
Bild: picture-alliance/dpa/epa/R. Pilipey

Neuer Streit ums Gas zwischen Russland und der Ukraine bereitet der EU Sorge. Aufgrund der Erfahrungen mit ähnlichen Konflikten in den Jahren 2006 und 2009, als kein Gas mehr durch die Ukraine floss, hat Brüssel angeboten, bei der Beilegung des Streits behilflich zu sein. Auch Berlin ist besorgt: "Es ist im Interesse der EU wie auch von Russland und der Ukraine, dass sich diese beiden Länder als verlässliche Partner bei der europäischen Gasversorgung erweisen und dass die Versorgungssicherheit ununterbrochen gewährleistet bleibt", so Regierungssprecher Steffen Seibert.

Ende Februar hatte das Schiedsgericht der Stockholmer Handelskammer in einem Rechtsstreit zwischen dem ukrainischen Energiekonzern Naftogaz und dem russischen Monopolisten Gazprom ein Urteil gesprochen. Demnach muss Gazprom an Naftogaz einen Ausgleich in Höhe von 2,56 Milliarden US-Dollar zahlen, weil Russland weniger Gas durch die ukrainische Pipeline geleitet habe als vereinbart. Die ukrainischen Behörden haben bereits damit begonnen, Vermögen von Gazprom in der Ukraine zu beschlagnahmen. Gazprom kündigte an, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Zuvor hatte der Konzern erklärt, die Kündigung aller Verträge mit Naftogaz einzuleiten. Von ukrainischer Seite hieß es daraufhin, Gazprom könne die Lieferung und den Transit von Gas nicht vor Vertragsablauf im Jahr 2019 kündigen.

Karikatur von Sergey Elkin zum Streit zwischen Gazprom und Naftogaz

Deutschland besorgt, aber nicht gefährdet

Auf das Urteil des Stockholmer Schiedsgerichts habe Russland sehr schnell mit der Drohung reagiert, Gaslieferungen zu stoppen, stellt die die deutsche Energieexpertin Claudia Kemfert im Gespräch mit der DW fest. "Hier gibt es ganz sicher auch politische Motive. Gas wird wieder einmal als politische Waffe genutzt. Das erleben wir seit vielen Jahren", so Kemfert.

Jörg Forbrig vom German Marshall Fund of the United States betont in diesem Zusammenhang, niemand sei an einem weiteren Konflikt zwischen der Ukraine und Russland interessiert. "Russlands Krieg gegen die Ukraine ist immer noch nicht beigelegt, trotz aller Bemühungen auch Deutschlands. Was Berlin jetzt am wenigsten braucht, ist, dass sich dieser Konflikt auf den Energiebereich ausweitet und Europa direkt davon betroffen wird", so Forbrig.

Ihm zufolge ist russisches Gas für Deutschland sehr wichtig. Doch das meiste komme nicht über ukrainische Pipelines. Die letzten Jahre hätten gezeigt, dass der größte Teil des in Deutschland verbrauchten Gases durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream und die Leitung Jamal-Europa durch Weißrussland und Polen geliefert wurde. "Die Leitung durch die Ukraine spielt zumindest für die deutschen Verbraucher und den deutschen Markt eine geringere Rolle", erläutert Forbrig. Im vergangenen Jahr habe Deutschland die Rekordmenge von 53 Milliarden Kubikmeter russischen Gases verbraucht. Das Gas habe einen Anteil von 40 Prozent der in Deutschland verbrauchten Menge. Einen erheblichen Teil seines Bedarfs, so Forbrig, decke Deutschland aber auch mit Lieferungen aus Norwegen und den Niederlanden.

Balkanländer von Ukraine-Pipeline abhängig

Dank der Diversifizierung der Gasversorgung und bestehender Speicheranlagen würde ein Stopp des Transits durch die Ukraine Deutschland nicht treffen. Frühere Gas-Konflikte zwischen der Ukraine und Russland hätten gezeigt, dass am meisten die Länder auf dem Balkan darunter leiden würden: Bulgarien, Rumänien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien. "Diese Länder werden fast vollständig mit russischem Gas versorgt, das über die Ukraine geliefert wird", sagt Forbrig. Im Unterschied zu Deutschland hätten diese Länder aber keine anderen Möglichkeiten, russisches Gas zu erhalten.

Auch die Slowakei sei von der ukrainischen Pipeline stark abhängig, so Forbrig. Doch in Mitteleuropa seien die Leitungen inzwischen gut miteinander vernetzt. "Die Slowakei und auch Österreich können russisches oder anderes Gas von woanders innerhalb der Region geliefert bekommen. Es gibt Wege, Gaslieferungen zu teilen", so Forbrig.

Experten sehen hohes Risiko für Gazprom

Ukrainische Experten sind überzeugt, dass ein neuer Gaskrieg zwischen Kiew und Moskau den Menschen in der EU keine Probleme bereiten würde. Nur etwa die Hälfte des russischen Gas-Transits verlaufe durch die Ukraine, betonte im Gespräch mit der DW Oleksandr Chartschenko vom ukrainischen Forschungszentrum für Energie. Er meint, andere Gas-Anbieter sowie verbundene Leitungen könnten den Ländern Ost- und Südosteuropas über einige Monate Unannehmlichkeiten ersparen. "Die jüngsten Schritte von Gazprom haben den Europäern gezeigt, dass ihre Bemühungen seit 2009, die Gaslieferungen in die EU zu diversifizieren, nicht vergeblich waren", sagt Chartschenko.

Mychajlo Hontschar vom Kiewer Zentrum für globale Studien "Strategie XXI" meint, dass Versuche, trotz Vertragsverpflichtungen den Transit durch die Ukraine zu stoppen, Gazprom nur schaden würden. Nach wie vor gebe es nicht genügend Kapazitäten, die ukrainische Pipeline zu umgehen. "Trotz des Wunsches, Naftogaz zu bestrafen, wird es keinen neuen Gaskrieg geben", unterstrich der Experte. Moskau wisse, dass dies die Glaubwürdigkeit von Gazprom als zuverlässigen Erdgas-Lieferanten in den Augen der europäischen Kunden untergraben würde. Dessen sei man sich auch im russischen Energieministerium bewusst, so Hontschar.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen