1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Europas Schlingerkurs zu Libyen

22. April 2019

Eigentlich bekennt sich die EU klar zur Regierung in Tripolis, aber ausgerechnet bei Frankreich kommen Zweifel auf. Demonstranten fordern ein Ende französischer Einmischung. Währenddessen rückt General Haftar weiter vor.

Auseinandersetzungen zwischen Haftars Streitkräften und der libyschen Regierung in Tripolis
Soldaten der Libyschen Nationalarmee von General Haftar verlagern einen PanzerBild: Reuters/E. Al-Fetori

Bei Außenpolitik kommt es auf jedes Wort an, und deshalb ist manchmal besonders interessant, welche Worte nicht fallen. Genau eine Woche, nachdem der libysche General Chalifa Haftar Kurs nahm auf den Sitz der international anerkannten Einheitsregierung, veröffentlichte die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini ihre erste Erklärung zu dem Vormarsch. Darin nannte sie die Attacken der "Libyschen Nationalen Armee" (LNA) des Generals eine Gefahr für die Menschen im Lande sowie für den von den Vereinten Nationen moderierten Friedensprozess. Mogherini rief alle Beteiligten zu einer Waffenruhe auf, den Namen Chalifa Haftar vermied sie aber. (Einige Tage später erwähnte Mogherini ihn in einer Rede vor dem Europaparlament.)

Sonderfall Frankreich

Zahlreiche Berichte lassen kaum Zweifel daran, warum Haftar nicht namentlich in dem Dokument auftaucht: Frankreich soll hinter den Kulissen seine Nennung verhindert haben. Der frühere Armeegeneral ist maßgeblich für die Spaltung Libyens seit dem Bürgerkrieg 2014 verantwortlich, weil er mit seiner in der östlichen Küstenstadt Tobruk angesiedelte LNA die Einheitsregierung in Tripolis nicht anerkennt. Die LNA und damit Haftar waren staatlich nicht legitimiert - allerdings verhalf 2017 der neue französische Präsident Emmanuel Macron dem Warlord zu einer diplomatischen Aufwertung: Im Bemühen, den Konflikt in Libyen zu lösen, lud Macron die beiden rivalisierenden Machthaber nach Paris ein und führte mit beiden auch vertrauliche Gespräche.

Der international anerkannte Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und General Chalifa Haftar im Juli 2017 bei ParisBild: picture-alliance/C. Liewig

Macron konnte damals einen für ihn wichtigen Erfolg vermelden: Al-Sarradsch und Haftar erklärten sich mit Neuwahlen in ganz Libyen einverstanden. Dazu ist es bislang jedoch nicht gekommen. Frankreich hat eine besondere Verantwortung, weil es die treibende Kraft hinter der Militärintervention von 2011 war. Das Bombardement der von Frankreich angeführten Koalition führte zum Sturz des libyschen Langzeitherrschers Muammar al-Gaddafi und letztlich auch zu dem heutigen Machtvakuum in dem nordafrikanischen Land.

Haftars mächtiges Blatt

Nach Macron traf Haftar auch andere ausländische Politiker. Mit der Zeit gelang es dem General, seine Machtbasis still und leise auszubauen, indem er eine Reihe kleinerer Bevölkerungsgruppen auf seine Seite brachte - mutmaßlich unter finanzieller Unterstützung Russlands und einiger Golfstaaten.

Haftar 2017 mit dem russischen Außenminister Sergej LawrowBild: picture-alliance/TASS/S. Savostyanov

Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass er inzwischen bedeutende Ölfelder im Süden des Landes kontrolliert. Für Frankreich ist nicht nur das Öl, sondern auch die Südgrenze selbst von geopolitischer Bedeutung, weil dahinter die ehemaligen französischen Kolonien Tschad und Niger liegen. Falls Frankreich nun davon ausginge, dass Haftar die besseren Karten habe, um Libyen zu stabilisieren, wäre dessen Unterstützung nur logisch.

Die offizielle französische Position ist anders. Am Karfreitag teilte der Elyséepalast unmissverständlich mit: "Frankreich unterstützt die legitime Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch und die Vermittlung der UN". Vielen fällt jedoch schwer, daran zu glauben - auch der Tripoliser Einheitsregierung selbst. Dem deutlichen französischen Statement vorausgegangen war der Vorwurf des libyschen Innenministers Fathi Bach Agha, Frankreich unterstütze "den Kriminellen Haftar". Die Einheitsregierung brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Paris ab, am Wochenende demonstrierten Hunderte Menschen in Tripolis gegen Frankreich und Haftar.

Demonstranten in Tripolis wollen keine Einmischung Frankreichs hinnehmenBild: Getty Images/AFP/M. Turkia

Italiens rechtsextremer Innenminister Matteo Salvini, selbst nie um einen Streit mit Frankreich verlegen, bezichtigte Frankreich sogar offen der Kooperation mit Haftar. Italien bezeichnet sich selbst als nördlichen "Nachbarn" seiner ehemaligen Kolonie. Seitdem Libyen zu einer Drehscheibe für afrikanische Migranten auf dem Weg nach Europa geworden ist, zeigt Rom besonderes Interesse an geordneten Verhältnissen. 

Deutschland ist gefragt

Die Bundesregierung müsse "alles daran setzen, die Italiener und die Franzosen zu einer gemeinsamen Linie zu bringen", forderte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour, im Interview der DW. "Die Franzosen müssen verstehen, dass man innerhalb der Europäischen Union um einen Interessenausgleich bemüht sein muss", sagte Nouripour. "Wenn es darum geht, dass man eine gemeinsame Linie findet in Libyen, müssen die Franzosen und die Italiener zu einer Lösung kommen, die beide Interessen ein Stück weit berücksichtigt." Es sei der Job der Bundesregierung, das den französischen Freunden klarzumachen, sagte der Grünen-Politiker.

Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Omid NouripourBild: Imago/Jürgen Heinrich

Deutschland kommt als turnusmäßigem Vorsitzenden des UN-Sicherheitsrats in diesem Monat eine besondere Rolle bei der Bewältigung internationaler Konflikte zu. Frankreich hatte im März den Vorsitz inne - als Symbol der innigen Verbundenheit teilen beide Länder den Chefsessel über beide Monate miteinander. In der Libyenfrage scheinen sie jedoch nicht an einem Strang zu ziehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte gegenüber Al-Sarradsch den Vormarsch Haftars verurteilt. Deutschland müsse jedoch auch darauf dringen, dass Frankreich seinen Einfluss auf Haftar geltend mache, damit dieser die Situation nicht weiter verschlimmere, sagte Nouripour: "Die große Freundschaft zu Frankreich muss ermöglichen, dass es genug Spielraum gibt."

Im Sicherheitsrat scheitert es an Anderen

Als Vorsitzender wirkte Deutschland darauf hin, dass sich der UN-Sicherheitsrat mit der Lage in Libyen beschäftigt. Eine Dringlichkeitssitzung am Gründonnerstag endete ohne gemeinsamen Beschluss. Hier lag es offenbar nicht an Frankreich, sondern an den Vetos von Russland und den USA. Die Nachrichtenagentur Reuters erfuhr von Diplomaten, dass Russland eine Benennung Haftars als Verantwortlichen nicht hinnehmen wollte, die USA hätten keine Gründe genannt.

"Wir fordern die UN auf, fremde Einmischung zu stoppen", steht auf diesem Plakat bei einer Demo in TripolisBild: Reuters/A. Jadallah

Allerdings ließ die US-Regierung verlauten, Präsident Donald Trump habe bereits einige Tage zuvor mit Haftar telefoniert. Trump habe Haftars Rolle im Kampf gegen den Terror und bei der Absicherung libyscher Ölreserven gewürdigt. In dem Gespräch ging es laut Weißem Haus auch um eine"gemeinsame Vision" für Libyens Übergang zu einer stabilen Demokratie. Seit Trumps Amtsantritt 2017 lässt der Bündnisgeist der USA gegenüber den Vereinten Nationen und Europa spürbar nach.

Der Angriff geht weiter

Während die Weltgemeinschaft noch keinen Weg gefunden hat, auf die Entwicklungen in Libyen zu reagieren, schafft Chalifa Haftar weiter militärische Fakten. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt mittlerweile 254 Tote und mehr als 1200 Verletzte seit Beginn der Offensive. Nach Luftangriffen in der Nacht zum Sonntag berichteten Anwohner in Tripolis, sie hätten währenddessen ein Summen gehört wie von Drohnen. Bislang flog Haftars Miliz ihre Angriffe mit älteren Jets, hauptsächlich aus Beständen der früheren Sowjetunion. Sollte er nun Drohnen besitzen, wäre das ein weiteres Indiz für starke ausländische Unterstützung.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen