Europa rüstet auf - Wer führt, wer folgt, wer zahlt?
16. Mai 2025
Donald Trump kann sich bestätigt fühlen: Fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), so fordert es Deutschlands neuer Außenminister Johann Wadephul, solle die neue Bundesregierung künftig in ihre Verteidigung investieren. Dies vermeldete er beim Treffen der NATO-Außenminister im türkischen Antalya. Deutschland unterstütze den Vorschlag von NATO-Generalsekretär Mark Rutte, 3,5 Prozent für militärische Zwecke und zusätzlich 1,5 Prozent für verteidigungsnahe Infrastruktur bereitzustellen, so der Minister. Endgültige Klarheit über die Investitionen aller Nato-Staaten wird es aber wohl erst beim entscheidenden Nato-Gipfel Ende Juni in Den Haag geben.
Bereits am Vortag hatte Bundeskanzler Friedrich Merz in seiner Regierungserklärung angekündigt, die Bundeswehr zur "konventionell stärksten Armee Europas" ausbauen zu wollen.
Doch auch andere europäische Staaten formulieren ehrgeizige Ziele:
Polen: Bollwerk an der Ostflanke
Polen investiert seit Jahren massiv in seine Streitkräfte - mit dem Ziel, zur stärksten Landmacht Europas zu werden. Im vergangenen Jahr flossen 4,12 Prozent der Wirtschaftskraft in den Verteidigungsetat. Das erklärte Ziel des größten Staates an der Nato-Ostflanke: die wirksame Abschreckung Russlands.
Aktuell zählt das polnische Militär rund 150.000 Soldaten in Berufsarmee und Territorialverteidigung. Bis 2035 soll die Zahl auf 300.000 steigen. Parallel dazu erfolgt die Ausstattung mit modernem Gerät: Über 600 Kampfpanzer - bestellt unter anderem in Südkorea und den USA - sowie HIMARS-Raketen, Drohnen und künftig auch F-35-Kampfjets sollen das polnische Heer und die Luftverteidigung stärken. Die polnische Marine hingegen gilt als eher schwach.
Deutschland: Vom Zauderer zur Führungsrolle?
Mit der angekündigten Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts würde Deutschland eine sicherheitspolitische Kehrtwende historischen Ausmaßes vollziehen. Seit dem Ende des Kalten Krieges hatte sich die Bundesrepublik auf internationale Kooperation, Diplomatie und eine "Kultur der militärischen Zurückhaltung" gestützt. Den Wendepunkt markierte die sogenannte "Zeitenwende"-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022, drei Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine.
Bereits im Anschluss an diese Rede stellte die Bundesregierung ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereit. 2024 beliefen sich die regulären Verteidigungsausgaben auf etwa 90 Milliarden Euro, rund 2,1 Prozent des BIP. Ein Anstieg auf fünf Prozent würde künftig einen Verteidigungshaushalt von über 160 Milliarden Euro jährlich erfordern. Diese Verdopplung hätte enorme haushaltspolitische Auswirkungen und ist bislang nicht gegenfinanziert.
Aktuell umfasst die Bundeswehr etwa 182.000 aktive Soldatinnen und Soldaten. Das Verteidigungsministerium strebt bis 2031 eine Personalstärke von mindestens 203.000 an, wobei vereinzelt sogar eine Zielmarke von 240.000 diskutiert wird. Die laufende Modernisierung betrifft alle Teilstreitkräfte: veraltete Panzer, Flugzeuge und Schiffe sollen ersetzt, Digitalisierung und Führungsfähigkeit ausgebaut werden. Als industrielle Schlüsselakteure gelten in Deutschland Rheinmetall, Airbus Defence and Space sowie die Diehl-Gruppe, die gemeinsam mit ausländischen Partnern zunehmend exportorientiert agieren.
Frankreich: Nuklearmacht mit globalem Anspruch
Frankreich ist die einzige Atommacht in der EU und verfolgt eine Strategie der globalen Präsenz und militärischen Eigenständigkeit. Rund 203.000 Soldaten dienen in der Armee, hinzu kommen 175.000 Angehörige von Paramilitärischen Einheiten wie der Gendarmerie sowie gut 26.000 Reservisten.
Die französische Marine verfügt mit dem atomgetriebenen Flugzeugträger Charles de Gaulle und strategischen U-Booten über eine schlagkräftige Komponente zur nuklearen Abschreckung. Rafale-Kampfjets sollen die Lufthoheit sichern und sind ebenfalls für den Einsatz von Atomwaffen ausgerüstet.
Präsident Emmanuel Macron hat seit seinem Amtsantritt 2017 für eine deutliche Erhöhung des Verteidigungsbudgets gesorgt. In einer dramatischen Fernsehansprache Anfang März informierte der Präsident die Bevölkerung ausführlich über die "russische Bedrohung", die über Europa schwebe. Der französische Verteidigungshaushalt solle daher fast verdoppelt werden.
In der Vergangenheit hat Frankreich ein mit Deutschland vergleichbares Militärbudget unterhalten, aber damit eine kampfkräftigere Armee aufgebaut - nicht zuletzt, weil der Staat die Rüstungsindustrie seit jeher strategisch fördert und an ihr beteiligt ist.
Großbritannien: Hochgerüstet, aber verletzlich
Mit einem Zielwert von knapp 2,4 Prozent des BIP will auch Großbritannien seine Verteidigungsausgaben steigern, mit Fokus auf Hightech: Drohnen, künstliche Intelligenz und Lasersysteme. Die Royal Navy mit zwei Flugzeugträgern, von denen aber in der Regel nur einer operativ einsatzbereit ist, und die Luftwaffe gelten als hochmodern. Rückgrat der Luftstreitkräfte sind F35B-Kampfjets aus den USA, von denen die Regierung insgesamt 138 Exemplare beschaffen möchte.
Allerdings sind die britischen Streitkräfte mit rund 140.000 aktiven Soldaten (darunter 4000 Gurkhas) relativ klein. Anders als in vielen EU-Staaten sind aktuell auch keine signifikanten Personalaufstockungen vorgesehen.
Premierminister Keir Starmer betont die Bündnistreue und globale Einsatzfähigkeit Großbritanniens. Stärker als viele EU-Staaten ist die militärische Ausrüstung Großbritanniens abhängig von US-Technologie. Das gilt nicht zuletzt für die auf U-Booten stationierten Atomwaffen.
Italien: Maritime Stärke, Landmacht mit Nachholbedarf
Italien liegt mit 1,49 Prozent des BIP laut NATO im Jahr 2024 noch deutlich unter dem bisherigen Zielwert von mindestens zwei Prozent. Dennoch zählt das Land mit 165.000 aktiven Soldaten, zwei Flugzeugträgern und einer leistungsfähigen Luftwaffe (Eurofighter, F-35) zu den militärischen Schwergewichten Europas.
Die Landstreitkräfte jedoch gelten als veraltet und reformbedürftig. Das soll sich ändern: Ministerpräsidentin Giorgia Meloni will Italien zur stärksten Panzermacht Europas machen. Dafür wurden bei Rheinmetall mehr als 1000 Kampf- und Mehrzweckpanzer bestellt. Strategisch fokussiert sich Italien auf den Mittelmeerraum und die Sicherung globaler Handelsrouten.
Globale Kräfteverhältnisse bleiben bestehen
Die milliardenschweren Aufrüstungsprogramme in Europa ändern an der weltweiten Rangordnung der Militärmächte mittelfristig wenig. Die USA führen das Ranking klar an, gefolgt von Russland, China und Indien. Erst auf Platz sechs folgt mit Großbritannien die erste europäische Macht. Frankreich belegt Rang neun, Deutschland liegt aktuell auf Platz elf.
Die Plattform Global Firepower wertet über 60 Indikatoren aus, von Panzerzahlen über Marinekapazitäten bis zur Größe der wehrfähigen Bevölkerung, um die globale militärische Stärke vergleichbar zu machen.