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Politik

Europa, wir kommen!

Vera Kern
28. Oktober 2016

Die EU will Europäern zum 18. Geburtstag Interrail-Tickets schenken. Ist die Idee mehr als eine Europa-Werbekampagne? Die DW hat mit drei jungen Menschen gesprochen, die bereits mit dem Zug durch Europa gereist sind.

Brittische Bloggerin Annalise Mason auf Interrail-Tour
Die Britin Annalise Mason (Mitte) mit Reisegefährtinnen auf Interrail-Stop in AmsterdamBild: A. Mason

Geht es nach dem Europaparlament, könnte tatsächlich bald jeder junge Mensch in Europa zu seinem 18.Geburtstag ein Gratis-Interrail-Ticket erhalten. Die Parlamentarier fordern die EU-Kommission in einem Beschluss dazu auf, diese Idee in die Tat umzusetzen. Das nötige Geld soll von der EU kommen: Schätzungsweise immerhin eine Milliarde Euro. Auch der Rat muss noch sein Okay dafür geben. Es geht darum, dass junge Europäer die Chance bekommen, sich gegenseitig kennen zu lernen und dadurch ein besseres Verhältnis zur EU entwickeln. Gut gemeinte, aber nutzlose Charme-Offensive oder nachhaltige Investition in die Zukunft Europas? Gemeinsam mit anderen durch Europa reisen - im DW-Gespräch halten das zumindest alle drei jungen Europäer für eine tolle Idee.

Annalise Mason, 23, aus England: "Jetzt fühle ich mich als Europäerin"

Die 23-jährige Engländerin Annalise Mason jobbt zur Zeit, um Geld für die nächste große Reise zu sparen. Sie reiste gemeinsam mit Freundinnen per Interrail durch Europas Metropolen: von Paris über Prag bis nach Pisa.Bild: A. Mason

Deutsche Welle: Was macht für Sie den Reiz von Interrail aus?

Annalise Mason: Mit Interrail kann ich selbstständig die Welt entdecken, ohne all zu weit weg von Zuhause zu sein. Es ist toll, wie einfach es ist, zwischen den Ländern hin und her zu reisen, die Kultur, Geschichte und lokalen Spezialitäten kennen zu lernen. Da Interrail schon so viele Menschen vor mir genutzt haben, gibt es auch viele Informationen, zum Beispiel zu Unterkünften. Während der Reise habe ich in einem Blog aufgeschrieben, was mir besonders gut gefallen hat, und was ich gelernt habe.

Was war Ihr "Europa-Moment" auf der Interrail-Reise?

In Paris, unserer ersten Station, zeigte uns ein Einheimischer die Stadt und erzählte uns viel über ihre Geschichte. Mir war nicht klar, dass Paris im Zweiten Weltkrieg so zerstört worden war! An manchen Gebäuden sieht man sogar noch Einschusslöcher. In fast jeder Stadt, die wir bereisten, haben wir Orte gesehen, an denen der Zweite Weltkrieg immer noch sichtbar ist. In der Architektur, an Mahnmalen oder den ehemaligen Jüdischen Ghettos. Das war für mich wirklich eine interessante Erkenntnis: Ganz Europa war vom Krieg betroffen - und nicht nur die Hauptländer, wie ich es in der Schule gelernt hatte.

Hätten mehr junge Leute Lust auf einen Europa-Trip, wenn das Interrail-Ticket kostenlos wäre?

Ich denke, es ist eine großartige Idee, jungen Leuten die Möglichkeit zu geben, durch Europa zu reisen. Vor meinem Interrail-Trip habe ich mich einfach nur als eine britische Staatsbürgerin gefühlt. Seit ich Europa selbst und nicht nur als Anhängsel meiner Eltern erkundet habe, fühle ich mich viel mehr als Europäerin - und das gefällt mir sehr!

Maximilian Lüderwaldt, 23, aus Deutschland: "Interrail ist Europa zum Anfassen"

Maximilian Lüderwaldt, 23, Jurastudent aus Deutschland, verbringt zur Zeit ein Auslandssemester in Cambridge. Mit 18 Jahren reiste er mit Interrail in 22 Tagen durch 11 Länder. Auch Skandinavien erkundete er per Interrail.Bild: M. Lüderwaldt

Die EU will jedem Europäer zum 18. Geburtstag ein Interrail-Ticket schenken - Schnapsidee oder sinnvolle Sache?

Maximilian Lüderwaldt: So ein Interrail-Ticket ist etwas sehr Greifbares. Denn vieles, was die EU politisch macht, ist ja ziemlich abstrakt. Dass es Grenzen oder Zölle nicht mehr gibt, kriegt man zwar vielleicht im Politikunterricht oder über die Medien mit. Aber es ist etwas ganz anderes, das selbst zu erleben! Ich denke, dass ein kostenloses Interrail-Ticket die europäische Idee stärker machen kann. Man hat das ja beim Brexit-Votum gesehen: Die junge Generation wollte mehrheitlich gar keinen Brexit! Es gibt also Potenzial, junge Leute für Europa zu begeistern. Ich finde die Idee wirklich gut!

Gab es diesen einen Moment, in dem Sie dachten: Das ist jetzt Europa, live und in Farbe?

Maximilian Lüderwaldt (2. v. r.) auf Interrail-Tour mit Kumpels in VenedigBild: M. Lüderwaldt

Eigentlich an allen Grenzen: Es ist immer ein tolles Gefühl, dass man die Grenzen einfach passieren kann. Außerdem muss man nirgendwo Geld umtauschen, weil es überall den Euro gibt. Ein Moment, in dem ich die Reisefreiheit extrem gespürt habe, war am Bahnhof von Wien. Wir haben spontan vor der Anzeigentafel entschieden: Welchen Zug nehmen wir als nächstes? Das ist Europa: Wir können überall einsteigen, es gibt sowieso keine Grenzkontrollen.

Was haben Sie über Europa gelernt?

Ich habe gemerkt, wie gut sich Europäer untereinander verstehen. Da kann gerade noch so ein Riesenstreit auf dem EU-Gipfel im Gange sein - aber in der Jugendherberge ist der Konflikt weit weg. Ich denke, die Jugend Europas ist schon viel weiter als so manche politische Diskussion. Wer mit Interrail verreist, der erlebt: Europa, das sind nicht nur Festtagsreden, sondern das ist Reisefreiheit zum Anfassen in Form dieses Tickets.

Katerina Blizkovska, 19, aus Tschechien: "Interrail könnte allen die Augen öffnen"

Die 19-jährige Katerina Blizkovska kommt aus Tschechien, studiert jetzt aber in Berlin. Sie war gemeinsam mit Freunden letzten Sommer auf Interrail-Tour, unter anderem in Prag, Mailand und Paris.Bild: R. Rosová

Glauben Sie, dass durch ein kostenloses Ticket auch junge Leute auf Europa-Entdeckungstour gehen, die sonst kein Interesse daran gehabt hätten?

Katerina Blizkovska: Ja, ich glaube, das würden viele nutzen. Wenn man das Ticket kostenlos kriegt, gibt es keinen Grund, nicht auf Interrail-Tour zu gehen! Ich denke, die meisten (aber nicht alle) jungen Leute würden diese Gelegenheit nutzen.

Was kann Interrail, was kein Europapolitiker und kein EU-Gesetz kann?

Leider betrachten auch viele junge Leute Europa nicht als Gemeinschaft. Ich bin zwar fest davon überzeugt, dass die Nationalstaaten erhalten bleiben sollten. Aber das sollte uns nicht davon abhalten, die vielen verschiedenen Kulturen kennenzulernen, die es auf unserem kleinen Kontinent gibt. Ein kostenloses Interrail-Ticket könnte vielen die Augen öffnen und denen, die normalerweise nicht verreisen, ermöglichen, das multikulturelle Europas zu entdecken. Ich glaube allerdings nicht, dass es alle Probleme lösen würde.

Die Kritik: Für Jugendliche aus ärmeren EU-Staaten wäre die Reise trotz Gratis-Interrail-Ticket zu teuerBild: Imago/CTK/CandyBox

Kritiker fürchten, von den geschenkten Interrail-Tickets würden nur wohlhabende Nordeuropäer profitieren - weil Kosten für Unterkunft und Verpflegung zusätzlich bezahlt werden müssen. Ist da was dran?

Die Extra-Kosten sind schon groß auf einer Interrail-Reise. Selbst mit einem kostenlosen Ticket können also ärmere Jugendliche immer noch nicht einfach so auf Reisen gehen. Für die Reicheren würde es wohl keinen Unterschied machen. Aber am Ende sollten wir doch, ganz gemäß dem offiziellen Motto Europas, geeint in Vielfalt sein! Grundsätzlich glaube ich schon, dass ein Interrail-Ticket - ähnlich wie das Austauschprogramm Erasmus - ein Geschenk für alle sein kann, die Europa wirklich erleben wollen!

 

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