EU-Migrationspolitik: Entwicklungshilfe als Druckmittel?
23. Juli 2025
Ein neuer Vorschlag der Europäischen Kommission hat es in sich: Demnach kann die Mittelvergabe nun davon abhängen, wie gut ein Land bei Rückführungen, Rückübernahmen und Grenzkontrollen kooperiert. Halten sich Länder nicht an Abschiebevereinbarungen, könnten Hilfen gekürzt werden.
Das geht aus Berichten der "Financial Times" und der Nachrichtenagentur Reuters hervor, die sich auf interne EU-Dokumente berufen.
Humanitäre Organisationen kritisieren derlei Pläne. Oxfam bezeichnete den Vorschlag als "Verzerrung der EU-Entwicklungsziele" und als "kurzfristige politische Lösung" für tiefere strukturelle Probleme.
Die Überlegungen hängen zusammen mit dem wachsenden Druck innerhalb Europas, die irreguläre Migration über die Mittelmeer- und Sahara-Route einzudämmen. Besonders groß ist der Druck in Ländern wie Deutschland, Italien und Griechenland, wo die Regierungen mit wachsendem Widerstand gegen Asylsuchende konfrontiert sind.
Eine schädliche Botschaft
Politikexperten und Wissenschaftler in ganz Afrika kritisieren den angedachten politischen Kurswechsel als neokolonialistisch. Der Ansatz der EU, so argumentieren sie, dürfte sowohl Souveränität als auch Vertrauen untergraben.
"Halten Sie Ihr Volk von der Migration ab, sonst verlieren Sie die Hilfe - das klingt für mich eher nach einer Botschaft des Zwangs als nach einer Botschaft der Zusammenarbeit", sagte Maria Ayuk zur DW. Sie ist Postdoktorandin für Frieden und Sicherheit an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Dadurch würden die afrikanischen Länder zu Grenzwächtern degradiert, statt als gleichberechtigten Entwicklungspartner behandelt. Die EU betreibe eine "Versicherheitlichung" und habe die Migration im Laufe der Jahre politisiert. "Die EU zwingt die Afrikaner, ihre Leute in Afrika zu behalten, weil sie Angst vor einer 'Afrikanisierung' Europas haben", glaubt Ayuk.
Die Ursachen der Migration ignorieren
Während europäische Politiker oft "Pull-Faktoren" wie Arbeitsplätze und Sicherheit betonen, meinen afrikanische Analysten, den Bedingungen, die Menschen überhaupt zur Migration bewegen, müsse größere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
"Die Menschen werden definitiv den Drang verspüren, wegzuziehen", sagte Fidel Amakye Owusu, ein in Ghana ansässiger Berater für Geopolitik und Sicherheit. Zu den Hauptursachen gehören "sozioökonomische Probleme, Entwicklungsunterschiede zwischen Land und Stadt, bittere Armut, Konflikte und Arbeitslosigkeit", sagte er der DW.
Paul Ejime, nigerianischer Medien- und Politikanalyst, stimmt zu: "Sie gehen, weil das Umfeld nicht förderlich ist." Ejime merkte auch an, dass "Armut, Not und Instabilität" die Afrikaner dazu zwingen, ihr Leben auf der Suche nach einem Lebensunterhalt zu riskieren. "Die Tür zu schließen oder Mauern zu bauen, ist keine Lösung."
Laut Ayuk sind Regierungsversagen ein Teil des Problems. "Wir haben mehrere autokratische Führer, die für immer an der Macht bleiben wollen. Das sind Kernprobleme, die wir angehen müssen", sagte sie der DW.
Die Experten sind sich einig, dass Europas Handelspraktiken und ausländische Interventionen direkt zur Instabilität und wirtschaftlichen Unterentwicklung in Afrika beigetragen haben. Diese Bedingungen, so argumentieren sie, würden die Migration zusätzlich vorantreiben.
Ejime gibt ein konkretes Beispiel: "Der Großteil des Gesundheitspersonals dieser Länder befindet sich in Europa und Amerika. Der Gesundheitssektor ist schlecht finanziert, unterbesetzt, und das vorhandene Personal verlässt das Land."
Das Problem werde durch die Doppelmoral Europas verschärft. "Sie können ihre Türen für Menschen aus der Ukraine öffnen. Aber wenn es um Afrikaner geht, verschärfen sie die Regeln", sagt Ejime.
Besonders scharfe Kritik entzündet sich an den Erwägungen der EU, Entwicklungshilfe an die Kooperation bei ihren Migrationszielen zu knüpfen. Die Magdeburger Postdoktorandin Maria Ayuk sagte im DW-Gespräch: "Ja, ich glaube, die EU verknüpft Entwicklungshilfe mit der Migrationskontrolle", sagte Ayuk. "Sie macht sie zu einer Waffe und verlagert die Hilfe von der Solidarität ins Eigeninteresse." Das untergrabe Vertrauen und gegenseitigen Respekt zwischen Europa und Afrika.
Afrikanische Führung auf dem Prüfstand
Zugleich sind die von der DW angefragten Experten weitgehend einig darüber, dass die afrikanischen Regierungen eine erhebliche Verantwortung für die Krise und die harte Einwanderungspolitik gegenüber ihren Bürgern tragen. "Afrika ist das Problem, weil ihm die internationale Handlungsfähigkeit fehlt", sagte Ayuk. "Diejenigen, die Afrika vertreten sollen, vertreten nicht die kollektiven Interessen Afrikas, sondern die individuellen Interessen der Eliten."
Trotz ihrer Kritik sind die Analysten überzeugt, dass Afrika nicht machtlos ist. Sie sind überzeugt, dass der Kontinent nur dann stark werden kann, wenn er den nötigen politischen Willen mobilisiert.
"Afrika hat das Potenzial und die nötigen Einflussmöglichkeiten", sagte Ayuk und verwies auf die Ressourcen und regionalen Blöcke des Kontinents. "Aber Afrika braucht eine einheitliche Führung und den Wandel von der Abhängigkeit hin zu einer selbst bestimmten Entwicklung."
Der Ghanaer Owusu sieht die Notwendigkeit, Technologien zu nutzen. "Vielen afrikanischen Ländern fehlt die Technologie, um alle Grenzen zu überwachen. Es ist sehr schwierig, solche Grenzen zu verwalten und die Personenströme zu kontrollieren."
Er warnte jedoch, dass der Ansatz der EU für Länder, die ernsthafte Anstrengungen unternehmen, kontraproduktiv sein könnte. Da Europa in seiner Migrationspolitik immer isolierter werde, könnten einige afrikanische Länder das zum Anlass nehmen, alternative globale Partnerschaften zu vertiefen, beispielsweise mit den BRICS-Staaten oder anderen Initiativen des Globalen Südens, betont Owusu.
Afrika könnte seine Beziehungen zu aufstrebenden Mächten wie China, Indien, Brasilien und Russland vertiefen, wenn Europa weiterhin Entwicklungshilfe als Druckmittel einsetze. "Je stärker der Westen nach innen schaut, desto konfrontativer wird seine Politik und desto stärker bewegt sich Afrika nach Osten", sagte er.
Ejime schlug jedoch einen anderen Ansatz vor: „Afrika muss strategisch vorgehen, seine eigenen Interessen wahren und aus einer Position der Stärke heraus verhandeln." Er fügte hinzu: "Wenn Fachkräfte ins Ausland gehen, sollte es vielleicht eine Art Abkommen oder Vertrag geben, der Geld in den Ausbau des Gesundheits- und Bildungssystems zurückleitet."
Risiko langfristiger Schäden
Das anvisierte EU-Modell, das Entwicklungshilfe an Migrationskontrolle knüpft, könnte die langfristigen Beziehungen zu Afrika gefährden und die eigentlichen Ursachen nicht angehen, sagen die Experten übereinstimmend. Maria Ayuk findet: "Migration sollte zwar gesteuert, aber nicht politisiert werden. Wir brauchen gegenseitige Beziehungen, die auf Respekt, Gleichheit und Gerechtigkeit basieren."
Fidel Amakye Owusu betont: "Europa muss aufhören, Afrika als Problem zu sehen, und anfangen, es als Partner zu behandeln."
Paul Ejime richtet das Augenmerk auf die innenpolitischen Herausforderungen in vielen afrikanischen Staaten. "In Afrika gibt es keine Armut. Es wird schlecht geführt. Und es ist durch schlechte Führung verarmt", meint Ejime.
Aus dem Englischen adaptiert von Martina Schwikowski.