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PolitikEuropa

Europaparlament ratlos gegenüber Russland

Barbara Wesel
10. Juni 2021

Das Europaparlament verabschiedete erneut eine Resolution, in der Russland wegen des Verbots von NGOs gerügt wird. Moskau hatte Ende Mai drei deutsche Organisationen verboten. Konkrete Maßnahmen gibt es jedoch nicht.

BdTD Russland Sankt Petersburg | Graffito mit Nawalny übermalt
Bild: Anton Vaganov/REUTERS

Ende Mai hatte Moskau drei deutsche NGOs verboten und als "unerwünscht" bezeichnet, von denen sich zwei dem deutsch-russischen Austausch im Rahmen des Petersburger Dialogs gewidmet hatten. Außenminister Heiko Maas sprach von einem "herben Rückschlag" für die Bemühungen, das Verhältnis zu Moskau zu verbessern. Damit steigt die Zahl verbotener ausländischer Gruppen auf 34. Am Donnerstag verabschiedete das Europaparlament eine weitere Resolution, in der die russische Regierung wegen Unterdrückung der Meinungsfreiheit und der Zivilgesellschaft kritisiert wird.

Repressive Phase in Russland

Der litauische Abgeordnete Andris Kubilius wies von vorn herein auf die Machtlosigkeit der Abgeordneten angesichts des Regimes in Moskau hin. Nachdem am Mittwoch auch die Organisationen von Oppositionsführer Andrej Nawalny in einem geschlossenen Verfahren für illegal erklärt wurden - ebenso wie zuvor Michail Chodorkowskis "Open Russia", werde der Kampf gegen Korruption in Russland inzwischen mit Terrorismus und Extremismus gleichgesetzt.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow beim deutsch-russischen Forum "Petersberger Dialog" Bild: Getty Images/AFP/I. Fassbender

"Das ist die fünfte Resolution, die wir zu den Entwicklungen in Russland verabschieden. Daraus können wir klar den Schluss ziehen, dass die Menschenrechtslage in Russland rapide schlechter wird. Wir müssen keine Illusionen haben, dass die Lage sich unter Putins Herrschaft verbessert", sagte Kubilius.

Er zieht zwei Schlüsse aus den jüngsten Maßnahmen des russischen Präsidenten: Zum einen wolle Putin eine Mauer zwischen den reformwilligen Russen und der demokratischen Welt bauen, und zum anderen werde es keine Gegenkandidaten bei den kommenden Duma-Wahlen geben. Als Bürger eines Nachbarlandes sei er frustriert wegen seines Gefühl der Machtlosigkeit, fügte Andris Kubilius hinzu.

Nawalny-Anhänger wurden bei Protesten verhaftet - jetzt können seine Kandidaten nicht mehr bei den Wahlen antreten Bild: Dmitri Lovetsky/AP/picture alliance

"Wir können die Aggressionen des Kreml nicht stoppen, den Krieg gegen die eigenen Leute". Außerdem fürchte er, dass man sich in Europa an das neue Verhalten Moskaus und dessen Verbrechen gewöhnen könne, so der litauische Abgeordnete.

Putin will Disziplinierung der NGOs

Die europäischen Grünen wollten einen offenen Dialog der Bürger auf beiden Seiten und eine Annäherung ihrer zivilgesellschaftlichen Organisationen, erklärte der EP-Abgeordnete Sergej Lagodinsky, "aber die russische Regierung schickt uns eine andere Botschaft". Nach der Disziplinierung der russischen NGOs seien die ausländischen Gruppen an der Reihe. Alles, was mit Politik oder Gesellschaftskritik zu tun habe, sei unerwünscht, stellt der stellvertretende Vorsitzende des EP-Rechtsausschusses fest: "Russland befindet sich in einer repressiven Phase, die nicht mehr autoritär, sondern inzwischen totalitär ist".

Inzwischen würden von dieser Politik auch Menschenleben zerstört, denn alle Mitarbeiter von Organisationen mit russischer Staatsbürgerschaft seien von Haftstrafen bis zu sechs Jahren bedroht. Und viele, die sich in Europa aufhalten, könnten nicht mehr zurück. Polnische Abgeordnete erinnern in diesem Zusammenhang an den Fall des Kremlkritikers Andrej Piwowarow, der Anfang Juni auf der Startbahn des Flughafens St. Petersburg von Bord eines polnischen Flugzeuges geholt worden war.

Russisches Pipeline-Verlegeschiff im Fährhafen von RügenBild: picture-alliance/J. Koehler

Die EU-Kommission fordert seine Freilassung und ein Sprecher kritisiert den "schrumpfenden Raum für die Opposition und kritische Stimmen" durch das Gesetz gegen "unerwünschte Organisationen" in Russland. Aus osteuropäischen Ländern folgt an dem Punkt, so auch wieder bei der Debatte im Europaparlament, seit Monaten die regelmäßige Aufforderung, den Kreml dadurch zu bestrafen, dass die Zusammenarbeit bei der Pipeline Nord Stream 2 beendet wird.

Nord Stream-Stopp als Signal

Bisher hat die Bundesregierung solche Stimmen ignoriert. Sie wurden vielfach als politische Nadelstiche gedeutet, die sich vor allem gegen Berlin richten. Ralf Fücks allerdings, langjähriger Vorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung und Gründer des Thinktanks "Liberale Moderne" ist anderer Auffassung. Auch sein Zentrum wurde  Ende Mai durch die russische Regierung zur "unerwünschten Organisation" erklärt.

Nord Stream 2 ist für ihn das Symbol für den deutsch-russischen Sonderweg. Deutschland sehe sich als "europäischste aller Nationen und macht dabei seine Geschäfte mit Moskau". Deswegen appellierte er jetzt erneut für ein Moratorium beim Pipeline-Bau. Man müsse Präsident Putin "ein starkes Signal" senden, denn durch die bisherigen "lauwarmen und zögerlichen Reaktionen" fühle sich der Kremlherr ermutigt. Am Ende drohe das Modell Belarus und die Errichtung einer reinen Diktatur. 

Auch plädiert der Russlandkenner dafür, stärker reziproke Politik zu machen. Das heißt, wenn Moskau Radio Free Europe und andere aus Russland verbanne, sollte Europa keine Lizenzen mehr an Russia Today vergeben. Man müsse endlich ein klares Signal an die russischen Machteliten schicken, dass der Westen "das doppelte Spiel nicht mehr mitspielt, in dem Moskau alle Grundlagen ziviler Zusammenarbeit zertrümmert" und manche europäischen Länder mit "business as usual" auf alle Provokationen des Kreml antworteten.

Die Lage der russischen Zivilgesellschaft allerdings sieht Ralf Fücks derzeit ziemlich verzweifelt. "Sie stehen mit dem Rücken an der Wand, werden in die Illegalität gedrückt durch die neuen Gesetze, ins Ausland getrieben oder zurück in die Wohnküchen wie zu Zeiten der Sowjetunion". Dennoch sollten sich westliche Gruppen durch die jüngsten Verbote nicht entmutigen lassen. Im Gegenteil müsse man alles versuchen, die Kanäle zur Zivilgesellschaft offen zu halten, zu den Menschenrechtsinitiativen und den verbleibenden Internetmedien. Sie bräuchten dringend den moralischen und politischen Rückhalt und die Zusammenarbeit mit dem Westen.