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Europarat lässt Fall Chodorkowskij untersuchen

1. Juni 2004

- Berichterstatterin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schließt Gespräche in Moskau ab

Bonn, 28.5.2004, DW-RADIO, Britta Kleymann, aus Moskau

Jede Person hat das Recht auf ein faires Strafverfahren - so steht es in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Viele Untersuchungshäftlinge in aller Welt können jedoch von einem fairen Prozess nur träumen. Einer der bekanntesten Häftlinge in Russland ist der frühere Chef des Ölkonzerns Jukos, Michail Chodorkowskij. Außerhalb Russlands gilt der Prozess gegen ihn und andere Führungsmitglieder des Unternehmens als willkürlich und politisch motiviert. Mit diesen Vorwürfen beschäftigt sich inzwischen auch der Europarat. Er hat die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger damit beauftragt, mögliche Rechtsverstöße vor Ort zu untersuchen. Leutheusser-Schnarrenberger hat am Donnerstag (27.5.) mehrtägige Gespräche in Moskau beendet. Von der abschließenden Pressekonferenz berichtet Britta Kleymann.

Sie hat unzählige Gespräche geführt, Vertreter des Justizministeriums getroffen und mit Anwälten diskutiert. Drei Tage lang war Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in Moskau unterwegs, um festzustellen, ob bei der Verhaftung und Strafverfolgung ehemaliger Jukos-Führungskräfte alles mit rechten Dingen zuging. Über den Ausgang ihrer Untersuchung konnte sie allerdings noch nicht viel sagen:

"Ich kann Ihnen heute kein Ergebnis und keine Bewertung meiner Gespräche in Moskau geben. Wenn ich zurück bin in Berlin, werde ich die Fakten genau analysieren und dann einen Bericht für den Rechtsausschuss des Europarats entwerfen."

Als an diesem Freitag (28.5.) vor dem Moskauer Meschtschanskij-Gericht der Prozess gegen Michail Chodorkowskij begann, war Frau Leutheusser-Schnarrenberger wieder zurück in Deutschland. Denn ihr Mandat umfasst nicht die Prozessbeobachtung, sondern ausschließlich die "Umstände der Verhaftung und Strafverfolgung ehemaliger Jukos-Führungskräfte", so auch der Titel ihres geplanten Berichts.

Ein wesentlicher Punkt wird darin jedoch fehlen. Denn Frau Leutheusser-Schnarrenberger konnte in Moskau mit keinem der Inhaftierten persönlich sprechen. Im Gefängnis sitzen nicht nur der ehemalige Konzernchef Michail Chodorkowskij, sondern auch Jukos-Großaktionär Platon Lebedew und Ex-Sicherheitschef Aleksej Pitschugin - zu keinem von ihnen wurde sie vorgelassen:

Leutheusser-Schnarrenberger:

"Die zuständige Richterin des Meschtschanskij-Gerichtes hat mir mitteilen lassen, dass sie eine Genehmigung für einen Besuch in den Gefängnissen nicht geben kann, weil die geltende Bestimmung des russischen Rechts das im Moment nicht zuließe."

Nationales Recht auf der einen, das Mandat des Europarats auf der anderen Seite - mit diesem Konflikt haben viele Berichterstatter zu kämpfen, ob sie nun das Schicksal von Tschetschenien-Flüchtlingen untersuchen wollen oder PKK-Prozesse in der Türkei beobachten. Frau Leutheusser-Schnarrenberger betonte, dass es Untersuchungen eventueller Menschenrechtsverletzungen in vielen Mitgliedsstaaten des Europarates gebe, so in der Vergangenheit auch in Frankreich oder Großbritannien - nicht allein in Russland. Dennoch reiche die Zahl der Untersuchungen noch immer nicht aus:

Leutheusser-Schnarrenberger

: "Es ist ganz wichtig, dass da, wo behauptet wird, es lägen Menschenrechtsverletzungen vor, der Europarat dem auch nachgeht. Und es wäre gut, wenn in allen Fällen, wo solche Behauptungen da sind, es entsprechend möglich wäre, und auch die Kapazität da ist, wirklich konsequent und auch mit der nötigen Power dem nachzugehen."

Von Konsequenz und Power kann allerdings keine Rede sein - zu schwerfällig sind die bürokratischen Vorschriften, zu zahlreich die Menschenrechtsverletzungen in den 45 Mitgliedsstaaten des Europarats. Bis ein Bericht an die Öffentlichkeit kommt, vergehen Monate - und Konsequenzen hat ein betroffenes Land kaum zu befürchten: Der Europarat kann höchstens "Empfehlungen" aussprechen. Dennoch verteidigte Frau Leutheusser-Schnarrenberger in Moskau ihre Aufgabe, und im Hinblick auf den prominenten Häftling Michail Chodorkowskij betonte sie:

Leutheusser-Schnarrenberger

: "Es ist vollkommen egal, ob jemand reich oder arm ist für die Aufgabe des Europarates, Menschenrechtsverletzungen nachzugehen. Vor dem Gesetz ist jeder gleich, ob mit oder ohne Geld." (lr)