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Europas überlaufene Reiseziele: Neuanfang nach Corona?

Felix Schlagwein
28. Mai 2021

Städte wie Venedig, Amsterdam oder Barcelona drohten am Massentourismus zu ersticken. Die Corona-Pandemie war eine Atempause. Nun sollen neue Konzepte den Overtourism in Zukunft verhindern. Kann das gelingen?

Bareclona La Sagrada Familia Kirche
Herausragende Sehenswürdigkeit - die Basilika Sagrada Família in BarcelonaBild: Imago/robertharding

In Venedig kann man mit eigenen Augen sehen, wie sich die Stadt unter Corona-Pandemie erholt. Nun, da nicht Zehntausende Touristen täglich durch die historische Altstadt laufen, keine Kreuzfahrtschiffe vorbeifahren und auch die Touristenboote stillstehen, ist das Wasser auf einmal so klar wie seit 60 Jahren nicht mehr. Selbst Delfine wollen einige in der Lagune um die Stadt gesehen haben. Und auch die Venezianer konnten sich seit Jahren wieder frei in ihrer Stadt bewegen, ohne sich durch die Besuchermassen quetschen zu müssen.

Gleichzeitig wurde ihnen klar, wie abhängig sie vom Tourismus sind. Schließlich gaben die rund 20 Millionen Besucher hier rund 3 Milliarden Euro pro Jahr aus - und das in einer Stadt, in deren historischem Zentrum gerade einmal 50.000 Menschen leben.

Nachdem Italien seine Einreisebestimmungen gelockert hat und Reisende aus EU-Ländern mit negativem Test einreisen können, kommen die ersten Touristen langsam wieder in die Stadt. Doch damit der Massenandrang in Zukunft ausbleibt - oder zumindest erträglicher wird - hat Venedig vorgesorgt.

Venedigs Zukunft nach der Pandemie

03:19

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Mit Überwachungskameras und der Erfassung von Handydaten will es die Touristenströme besser lenken. Nach mehrfacher Verzögerung soll ab 2022 außerdem die geplante Steuer für Tagestouristen eingeführt werden. Die Höhe der Abgabe soll sich danach richten, wie stark die Stadt besucht ist. Wer in Venedig übernachtet, ist von der Abgabe befreit. Die Stadtverwaltung will damit Gäste länger in der Stadt halten und so einen nachhaltigeren Tourismus aufbauen.

Venedig vs. Kreuzfahrtschiffe und Airbnb

Eines der Hauptärgernisse für die Venezianer waren die Kreuzfahrtschiffe, die nur wenige Meter an der historischen Altstadt vorbeifuhren und anlegten. Für viele sind sie zum Symbol eines kranken Tourismus geworden, in dem es darum geht, so viel wie möglich in kurzer Zeit zu sehen und dann wieder zu verschwinden. Damit soll in Zukunft Schluss sein.

Anfang April beschloss die italienische Regierung, Kreuzfahrschiffe aus der Lagune zu verbannen. Sie sollen nun rund 10 Kilometer entfernt im Industriehafen von Marghera anlegen. Der Bau eines neuen Kreuzfahrtterminals ist bereits in Planung. Kritikern geht das jedoch nicht weit genug. Sie fordern eine Begrenzung der Anzahl der Schiffe, die pro Tag in Venedig anlegen dürfen, ähnlich wie sie die kroatische Küstenstadt Dubrovnik bereits 2019 eingeführt hat.

Solche Bilder soll es in Venedig zukünftig nicht mehr geben. Kreuzfahrtschiffe werden endgültig aus der Lagune verbanntBild: AFP/M. Medina

Auch das Problem der Kurzzeitvermietungen über Plattformen wie Airbnb will Venedig stärker angehen als zuvor. Gemeinsam mit Florenz, das in der Vergangenheit ebenfalls vom Massentourismus überrollt wurde, hat die Stadtverwaltung eine Liste von Forderungen für einen Tourismus der Zukunft an die italienische Regierung übergeben. 90 Tage pro Jahr sollen Vermieter ihr Objekt maximal anbieten dürfen, fordert das Manifest.

Damit soll nicht nur der Massentourismus eingedämmt werden, sondern auch die Mieten wieder für Einheimische erschwinglich werden. Die waren durch die Vermietung an Touristen in den vergangenen Jahren explodiert, sodass Einheimische aus der Stadt verdrängt wurden. Eine weitere Forderung ist ein Verbot von neuen Touristenshops und Souvenirläden. Vielmehr sollen Geschäfte mit lokalen und traditionellen Produkten die Straßen zurückerobern.

Damit folgen Florenz und Venedig anderen europäischen Metropolen, die vor der Corona-Pandemie mit Overtourism zu kämpfen hatten. Viele von ihnen haben die Zeit genutzt, um Begrenzungen für Kurzzeitvermietungen erlassen, so zum Beispiel Prag, Budapest und zuletzt auch Wien. Viele Städte sehen darin einen der wichtigsten Schritte, um dem Massentourismus in Zukunft etwas entgegen zu setzen. Amsterdam und Barcelona haben solche Regulierungen schon lange beschlossen. Sie gelten als Vorreiter im Kampf gegen den Massentourismus, den Billigflüge und günstige Unterkünfte in den Jahren vor der Pandemie so beliebt gemacht haben.

Amsterdam handelt - aber die Maßnahmen sind umstritten

Amsterdam hat unter dem Ansturm besonders gelitten. Im Jahr vor der Pandemie kamen knapp 22 Millionen Touristen - mehr als fünfundzwanzig Mal so viele Menschen wie in der niederländischen Hauptstadt leben. 2030 könnten bis zu 32 Millionen Besucher pro Jahr kommen, schätzt das niederländische Tourismusbüro. Ein Großteil von ihnen tummelt sich, ähnlich wie in Venedig oder Prag, in einem kleinen, besonders ikonischen Teil der Stadt.

In Amsterdam ist es das Rotlichtviertel. Der Partytourismus hatte das Leben für viele Anwohner hier unerträglich gemacht. Nachts konnten viele von ihnen wegen des Lärms auf den Straßen nicht schlafen. Morgens mussten sie dann Slalom um die Urinpfützen und Müllberge laufen. Zahlreiche Initiativen, die ein Bewusstsein schaffen sollten, und erhöhte Bußgelder etwa für Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit haben nur wenig gebracht.

Die Stadtregierung hat deshalb während der Pandemie weitere Maßnahmen ergriffen, um das Rotlichtviertel weniger attraktiv für Touristen und ansprechender für Einheimische zu machen. Im Juni vergangenen Jahres erließ sie ein Verbot für Vermietung von Ferienimmobilien, inklusive Airbnb und Co., in drei Innenstadtbezirken. Mitte März wurde es allerdings von einem Gericht gekippt. Die Stadt will dennoch einen Weg finden, das Verbot in der Innenstadt aufrecht zu erhalten.

Das Rotlichtviertel in Amsterdam: Bald ohne Prostituierte und Coffeeshops wegen zu vieler Touristen?Bild: Imago Images/Pro Shots

Außerdem will die Stadtregierung die berühmten Fenster des Rotlichtviertels, in denen Prostituierte für potentielle Freier posieren, nach und nach schließen. In Zukunft soll ein Erotikzentrum außerhalb der Innenstadt die Prostituierten beherbergen. Die nicht weniger berühmten Coffeeshops sollen zudem nur noch an Einheimische Cannabis verkaufen dürfen, um die sogenannten "Kiffertouristen" fernzuhalten.

Doch viele Amsterdamer kritisieren die neuen Maßnahmen. Sie würden der Stadt ihren weltoffenen Charakter nehmen, fürchten sie. Ein Großteil der Prostituierten sorgt sich zudem um mangelnde Kundschaft, sollten sie aus der Innenstadt vertrieben werden. Eine Bürgerinitiative fordert einen anderen Ansatz. Die Zahl der Touristenübernachtungen soll auf 12 Millionen jährlich reduziert werden. Nur so könne laut Petition "der Tourismus in Zukunft mit der Lebensqualität der Stadt Hand in Hand gehen". Über 30.000 Amsterdamer haben sie bereits unterschrieben. Jetzt muss sich die Stadtregierung mit den Vorschlägen befassen.

Barcelona: Wie nie zuvor?

In Barcelona ist eine solche Begrenzung nicht geplant. Im Gegenteil: Die katalanische Hauptstadt wirbt aktuell wieder für Touristen - mit dem Motto "Barcelona wie nie zuvor". Von nun an wolle man sich noch stärker als nachhaltige Kulturdestination verstehen und damit "Qualitätstourismus" in die Stadt holen, schreibt das Tourismusmarketing der Stadt. "Barcelona möchte sich von den Menschenmassen entfernen und seine Besucher zum Flanieren durch offene, grüne und zugängliche Räume einladen", so die Vision. Wie genau das den Massentourismus in Zukunft eindämmen soll, sagt sie nicht.

Doch auch Barcelona war nicht untätig und hat konkrete Maßnahmen erlassen. Schon vor der Pandemie hatte die Stadt eine der schärfsten Regeln für Touristenunterkünfte. Hotels und Pensionen bekommen keine Lizenzen mehr in der Innenstadt. Und auch Kurzzeitvermietungen sind streng reguliert. Im Februar hat die Stadtregierung die Regelungen nochmals verschärft. Vermieter dürfen nur Zimmer in ihrer eigenen Wohnung vermieten, wenn der Gast mindestens 30 Tage bleibt. Da das die wenigsten Touristen tun, kommt die Maßnahme einem Verbot von Kurzzeitvermietungen gleich.

Im Sommer 2018 waren die Ramblas voller Touristen. Nach Corona will Barcelona weg vom MassentourismusBild: Getty Images/D. Ramos

Außerdem sollen Reisebusse mit Tagestouristen etwa von der Costa Brava zukünftig außerhalb der Innenstadt ankommen. Reisende werden zudem mehr Informationen über Sehenswürdigkeiten abseits der "Must-Sees" erhalten. Dabei sollen auch Projekte wie die neue App "Check Barcelona" helfen. Ähnlich wie Venedig will Barcelona bei der Besucherlenkung noch stärker auf Digitalisierung setzen. Die neue App zeigt Nutzern beispielsweise, wo es gerade zu voll ist und schlägt einen weniger stark besuchten Ort vor. Außerdem können Tickets direkt in der App gebucht werden, womit Wartezeiten an den berühmten Sehenswürdigkeiten verringert werden könnten. 

Ob all das für eine echte Zeitenwende reicht, bleibt fraglich. Schon bald werden die Einwohner Barcelonas einen Teil ihrer Stadt an die Touristen zurückgeben müssen. Dann könnte das entspannte Flanieren auf den Ramblas wieder zum Hindernislauf werden. Und auch an der Sagrada Família dürften sie dann wohl wieder Schlange stehen. Während der Pandemiemonate hatten sie Antoni Gaudís unvollendete Kathedrale ganz für sich. Nicht einmal Eintritt mussten sie bezahlen. Am Samstag (29.05.2021) öffnet die Sagrada Família wieder für Touristen.

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