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Weniger Dämme - mehr Wasserqualität

Leonard Proske
31. Juli 2018

30.000 Dämme sollen in der EU entfernt werden, das fordert eine NGO. Die Ökologie der Flüsse geht sonst kaputt, Tiere verlieren ihren Lebensraum. Nur noch ein Prozent der Gewässer in Europa fließt frei.

Kolumbien Hidrosogamoso Staudamm
Bild: Imago/Zumapress

60 Prozent der Oberflächengewässer in Europa sind in einem mangelhaften ökologischen Zustand. Das ist das Ergebnis des aktuellen Berichts der Europäischen Umweltagentur zur Wasserqualität in Europa. Grund für die unzureichende Qualität sind laut der Initiative Dam Removal Europe und der Organisation AMBER (Adaptive Management of Barrieres in European Rivers) Hindernisse in Flüssen. Diese Hindernisse sind Dämme und Wehre in jeglichen Größen - von 50 Zentimetern Höhe bis hin zu über 30 Metern ist alles dabei. 

Immer weniger Lachse sind in europäischen Gewässern zu findenBild: Imago/ZUMA Press/J. Mather

Der mangelhafte Zustand der Gewässer beruhe auf der massiven Zerstückelung von Flüssen, argumentieren die Aktivisten. Laut der Initiative, zu der etwa der World Wide Fund for Nature (WWF) oder die World Fish Migration Foundation gehören, fließen inzwischen weniger als ein Prozent der Flüsse in Europa frei.

Für Fische bedeutet das, alle paar Meter auf Hindernisse zu treffen. Sie können bestimmte Regionen nicht mehr erreichen und müssen neue Laichplätze finden. Das macht den Tieren das Leben schwer. Lachse und Störe sind aus ganzen Regionen verschwunden, klagt Pao Fernandez Garrido von der World Fish Migration Foundation. Bald könnten sie in freier Wildbahn europaweit zu den bedrohten Tierarten gehören. 

Auch der Boden leidet unter den Dämmen im Wasser. Sedimente und dadurch Nährstoffe bleiben an den Wehren hängen, die Folge: Es bilden sich weniger Flussdeltas, weil dafür notwendige Sedimentablagerungen fehlen. Außerdem braucht ein Fluss eine Menge Energie, um Sedimente von A nach B zu transportieren. Bleiben die Sedimente im Stauwehr hängen, führt die überflüssige Kraft des Wassers zu schnelleren Erosionen durch den Fluss. Salopp formuliert macht sich der Fluss breit. Er nimmt bei Seitenerosionen das Ufer für sich ein und bei Sohlenerosionen erschließt er neue Tiefen. Für den Menschen kann das bedeuten, dass Äcker unter Wasser stehen oder Straßen instabil werden. 

Bild: JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images

Die Natur leidet unter den Dämmen

Der Verlust von Biodiversität und natürlichen Habitaten machen den Mitgliedern der "Dam Removal Initiative" am meisten Sorgen. Fischarten sterben aus, weil ihnen der Lebensraum entzogen wird oder sich so sehr verändert, dass er nicht mehr von ihnen bewohnt werden kann.

Aber die Umweltschützer haben einen Plan: Sie fordern die europäischen Staaten auf, 30.000 Dämme aus den Flüssen zu entfernen. Die Natur soll wieder Raum für sich bekommen. Das Wiederbeleben der Flüsse ist ihr Ziel. 

Das ganze ist indes ein kompliziertes Unterfangen, denn "jeder einzelne Standort von Dämmen und Wehren [muss] naturräumlich, gesellschaftlich und auf Besitzverhältnisse geprüft werden ..., bevor er gebaut oder entfernt werden kann", sagt Andreas Roth vom Wasserkraftwerks-Anlagenbauer Hydro-Energie-Roth. Er baut Wasserkraftanlagen, bei denen er großen Wert darauf legt, dass Fische die Flüsse weiterhin passieren können, etwa über Fischtreppen oder - Lifte. 

Info: Wie Wasserkraft funktioniert und wie groß das Potential ist lesen sie hier

Die Dämme, welche die Dam Removal Initiative gerne zurückbauen lassen würde, gelten übrigens als nutzlos. Das heißt, sie erzeugen weder Energie, noch schaffen sie Wasserspeicher oder Trennen Flussgebieten sinnvoll ab. Trotzdem verursachen sie weiterhin Kosten, sie müssen inspiziert und gegebenenfalls repariert werden.

Bei den größeren Dämmen überwachen darüber hinaus dauerhaft Sensoren ihre Stabilität. In Deutschland müssen Staudämme nach den Regeln des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mindestens einmal im Jahr begangen und ihr Zustand dokumentiert werden. 

Welche der großen Staudämme in Europa noch in Benutzung sind, muss AMBER noch herausfindenBild: DW/M. Sekulic

Ungenutzte Dämme machen Miese

Das Vorhaben der Initiative ist also nicht nur gut für die Umwelt, sondern soll auch für den Geldbeutel sein. Denn die wirtschaftlichen Einbußen, die dadurch entstehen, dass Fischer in den Zonen vieler Dämme nicht fischen können sind oft noch größer als die Wartungskosten der Dämme selbst. 

Der Wasserkraftwerks-Spezialist Andreas Roth ist dafür, Fließgewässer durch Umbau wieder in einen naturnahen Zustand zu versetzen. Er mahnt jedoch, dass viele sich oft die Natur zurückwünschen, dabei aber gar nicht wissen, wie diese vor den verbauten Wehren und Dämmen aussah. In Zentraleuropa, beispielsweise, gibt es eine so hohe Bevölkerungsdichte, dass Hindernisse nicht einfach ohne Folgen entnommen werden können. Das bedarf einer gründlichen Planung.

Allein in Deutschland gibt es 300 Staudämme die höher sind als 15 Meter. Hinzu kommen unzählige kleinere, die eine drei-Meter-Marke nicht überschreiten. Letztere wurden in bisherigen Zählungen nicht berücksichtigt. Deshalb gibt es keine vollständige Karte von Staudämmen und Wehren in Europa. Weder die Bundesregierung noch die EU haben eigene Zahlen darüber, wo wie viele Dämme stehen. Deswegen hat AMBER nun begonnen, eigene Karten zu erstellen. 

Sind Staudämme sicher? 

In die Jahre gekommene Staudämme sind weltweit ein Problem. Immer wieder gibt es Geschichten von einbrechenden Dämmen oder welchen, die kurz davor stehen. Mossul im Irak lebt dauerhaft mit dieser Gefahr. Dort wurde auf Kalkstein gebaut, der jetzt instabil wird.

Was bei einem Dammbruch passieren kann zeigte sich im zentralchinesischen Banqiao 1975. Nach einem Taifun kam es zu dem wohl größten Staudamm-Unglück der Menschheitsgeschichte. Durch Überschwemmungen und folgende Epidemien und Hungersnöte kamen nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen über 100.000 und 300.000 Menschen ums Leben.  

Vor ein paar Tagen ist in Laos ein Staudamm eingebrochen und hat dabei etliche Menschen in den Tod gerissen. Der Damm war jedoch noch im Bau.

Die Folgen des Dammbruchs in LaosBild: picture alliance/XinHua/Chanthathonglith

"Das Risiko eines Dammbruchs in Deutschland wird als sehr gering eingeschätzt", berichtet dagegen der leitende Regierungsdirektor Wolfram Geier vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Hinzu kommt, dass "gerade die älteren deutschen Talsperren und Dämme mit dem Paradigma gebaut worden sind: Lieber noch eine Sicherheitsschippe drauf". Das ist bei den meisten Dämmen in Europa so. 

Das Programm der Dam Removal Initiative zielt darauf ab, der Natur wieder ein Stück Freiheit zu geben, sich so zu entwickeln wie nur sie das kann. Das ist auch dem Kraftwerksbauer Roth ein Anliegen: "Jede Energienutzung, auch die Hydroenergie, wird irgendwo einen negativen Effekt haben", sagt er. Ihm ist es wichtig, die negativen Effekte von Staudämmen klein zu halten und dort Dämme und Wehre zu entfernen wo sie keinen Nutzen mehr erfüllen. Die Initiative AMBER, an der er nicht beteiligt ist, habe dafür den Grundstein gelegt, in dem sie Informationen zu den "Hindernissen" sammle und publik mache. 

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