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Politik

Europas große Erwartungen an Joe Biden

Barbara Wesel
20. Januar 2021

Vieles wird besser unter dem neuen US-Präsidenten, aber nicht alles wird anders - darin sind sich viele Beobachter des transatlantischen Verhältnisses einig. Und klar ist auch: Europa muss ein aktiverer Partner werden.

Joe Biden bei Donald Tusk
Bild: Reuters/F. Lenoir

Die Erwartungen an den neuen US-Präsidenten sind enorm: Die Spitzen der Europäischen Union hoffen auf nicht weniger als einen Neustart der transatlantischen Beziehungen. Ratspräsident Charles Michel schlug Biden einen "Gründungspakt" für eine bessere Welt vor. Und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte die Hoffnung, "dass die USA in den Kreis gleichgesinnter Staaten" zurückkehrten.

Dabei nannte die Deutsche auch Handlungsfelder für neue Kooperationen: Für den Klimaschutz soll es eine "Allianz für grüne Technologien" und eine transatlantische Zusammenarbeit beim Emissionshandel geben. Die Kommissionschefin sagte, sie freue sich auf den Beitritt der USA zur Impfallianz Covax, die auf eine faire internationale Verteilung der Impfstoffe hinwirken soll. Im Bereich der Internet-Regulierung, die im Zuge der gesperrten Accounts des abgewählten Präsidenten Donald Trump ins Zentrum politischer Debatten gerückt ist, hofft von der Leyen auf einen "gemeinsamen Trade- und Technologie-Council". Zugleich sagte sie: "Präsident Trump mag in wenigen Stunden Geschichte sein. Seine Anhänger aber bleiben."

Europa schwankt zwischen der Hoffnung, die Beziehungen zu Washington könnten normalisiert und das transatlantische Verhältnis wieder repariert werden, und der Unruhe darüber, was Joe Biden in einem gespaltenen Amerika überhaupt außenpolitisch bewegen könne - und was das für die Europäer bedeutet. 

Für Frankreichs Europaminister Clément Beaune ist klar: "Europa sollte mehr Verantwortung übernehmen." Das Konzept der strategischen Autonomie verliere auch mit einer Biden/Harris Regierung nicht an Bedeutung. "Europa sollte seine Werte und Interessen selbst definieren. Natürlich nicht gegen die Vereinigten Staaten, wir sollten zusammenarbeiten." Er hoffe jedenfalls, dass diese Zusammenarbeit beim Klimaschutz, bei der Sicherheits- und Handelspolitik viel besser werde, betont Beaune, der als Vertrauter des französischen Präsidenten gilt. "Die Partnerschaft braucht einen neuen Anlauf."

Strategische Autonomie ist kein Schimpfwort

Als Emmanuel Macron den Begriff "strategische Autonomie" für das Verhältnis zwischen Europa und den USA prägte, schien er sich damit unter anderem von Berlin oder Warschau abzusetzen. Nun versucht sein Europaminister das Konzept zu qualifizieren: Natürlich werde man die Partnerschaft oder die Nato nicht vergessen, aber "die USA werden uns weiter auffordern, autonomer zu werden. Sie werden uns auffordern, mehr Verantwortung zu übernehmen und beispielsweise mehr für die Verteidigung auszugeben".

Clément Beaune: "Die Partnerschaft braucht einen neuen Anlauf"Bild: Petros Karadjias/AP Photo/picture-alliance

In diesem Zusammenhang verteidigt Beaune auch das viel kritisierte neue EU-China-Abkommen: "Es wäre merkwürdig zu glauben, die EU hätte nicht das Recht, selbst Abkommen zu unterzeichnen." Es richte sich schließlich nicht gegen den neuen US-Präsidenten, "Europa sollte jedoch wissen was es will und in jeder Hinsicht Verantwortung übernehmen".

Die Regierung in Paris scheint an ihrer Strategie einer größeren europäischen Selbständigkeit auch gegenüber der Biden-Administration festhalten zu wollen, ganz nach der französischen Tradition, das transatlantische Bündnis skeptischer zu betrachten als das restliche Europa.

Europa muss Teil der Lösung sein

Die Europäer sollten in Washington äußerst zügig ihren Bruch mit der Trump-Regierung signalisieren, sagt Jana Puglieri vom Council on Foreign Relations in Berlin: "Das waren vier harte Jahre, wir ziehen wieder an einem Strang und begrüßen den neuen Präsidenten mit offenen Armen." Diese Botschaft und die Bereitschaft zu aktiver Zusammenarbeit sei auch innenpolitisch wichtig für Joe Biden: "Wir sind keine Vasallen und man kann die Uhr nicht zurückdrehen, aber man sollte dieser Regierung zeigen: Europa setzt auf Multilateralismus und will mehr Aufgaben übernehmen."

Biden sei in der Innenpolitik mit Aufgaben so überwältigt, dass er es begrüßen werde, wenn sich Europa mancher Themen annehme - wie etwa in der Nachbarschaft die Situation in Belarus. "Wir sollten Teil der Lösung sein und nicht Teil des Problems." Jana Pulgieri unterstützt die Idee einer gewissen strategischen Autonomie der Europäer, damit sie bessere Partner werden. "Paris hat die Sorge, dass die Ambitionen der Europäer wieder einschlafen. Und in Berlin gibt es Verunsicherung über den knappen Sieg Bidens und das Wissen, dass die USA vielleicht nicht für immer da sein werden." Daraus folge, dass Europa auf jeden Fall stärker werden müsse und aktiver versuchen sollte, sich die USA als Partner zu erhalten.

Zerrissenes Amerika: Trump-Unterstützer demonstrieren noch Mitte Januar gegen die Wahl Joe BidensBild: Eric Miller/REUTERS

Nach dem Amtsantritt von Joe Biden sollten sich die Europäer zunächst auf die "leichten Themen" mit schnellen Ergebnissen konzentrieren, empfiehlt Pulgieri: Die Klimapolitik, die Verhandlungen mit Iran, die Rolle der NATO. "Im Frühsommer gibt es einen NATO-Gipfel, wo man einen Aufbruch signalisieren sollte und ein neues strategisches Konzept." Dagegen werde die Handelspolitik enorm schwierig bleiben, man müsse mit kleinen Schritten anfangen. Und was das EU-China Abkommen angeht, ist die Politikexpertin kritisch: "Den schlechten Start mit der China-Politik müssen wir unbedingt ausbügeln."

Neues Spiel in der transatlantischen Partnerschaft

Das Abkommen mit China sei unglücklich gewesen, findet auch Reinhard Bütikofer, Abgeordneter der Grünen im Europaparlament, "wir hätten einen besseren Start hinlegen sollen." Dabei gehe es nicht darum, die USA um Genehmigung zu fragen. Es gehe um eine Zusammenarbeit beider Seiten in dieser und vielen anderen Fragen. Strategisch sei der China-Alleingang der Europäer wenig sinnvoll, aber es bleibe genug Zeit, sich darüber an einen Tisch zu setzen. Denn der Vertrag werde erst durch die Zustimmung des Europaparlaments inkrafttreten, und bis dahin gebe es viele Möglichkeiten zur Diskussion.

Reinhard Bütikofer, Bündnis 90 die Grünen: "Es gibt ein neues Spiel"Bild: DW/D. Dobrić

Die Europäer hätten es versäumt, glaubt Bütikofer, Washington wie auch Peking und dem Rest der Welt ein wichtiges Signal zu geben: "Es gibt ein neues Spiel und die transatlantische Partnerschaft wird wiederbelebt werden." Abgesehen davon sieht der Grünen-Politiker die Klimapolitik jetzt an erster Stelle, gefolgt von der Handels- und der Sicherheitspolitik. Man könne sich nicht den Luxus erlauben, nur ein Thema in den Blick zu nehmen. "Wir müssen Kaugummi kauen und dabei laufen", sagt Bütikofer, was der ur-amerikanische Begriff für Multitasking ist.

Das Ende eines Alptraums?

Unter Punkt Eins der Veränderungen, die das Biden-Team für Europa bringen wird, stehe das "Ende der Missachtung, die Trump für Europa hatte", sagt Judy Dempsey von Carnegie Europe. Außerdem verstehe Biden Europa und kenne Angela Merkel gut. Auch Demsey sieht die Europäer mehr gefordert, vor allem in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Und es könnte eine Chance geben, die Verhandlungen über die Kontrolle von Atomwaffen neu aufzulegen.

Videokonferenz zum Investitionsabkommen EU-China: Schlechter Start in der China-Politik?Bild: Johanna Geron/AP/picture-alliance

Das transatlantische Verhältnis aber müsse jenseits der Achse Europa-USA geöffnet werden für die engere Zusammenarbeit mit anderen Demokratien. Von Kanada bis Japan sollte es möglich sein, sich auf gemeinsame Sicherheits-, Verteidigungs- und Handelsstrategien gegenüber China, Indien und Lateinamerika zu einigen. "Europa wird da zurückzucken", glaubt Judy Demsey, aber durch die Wiederbelebung von Handelsverträgen wie TTIP durch Washington und Brüssel könne der Westen viel tun, um gemeinsame Normen und Werte sowie Regeln für Transparenz und Investitionen festzulegen.

Der Alptraum der Trump-Jahre aber könne nur überwunden werden, wenn man zu verstehen versuche, was die Alt-Right-Bewegung und die Populisten antreibe, und wie die sozialen Medien reguliert werden könnten. Autoritäre Regimes zielten darauf ab, durch Cyber-Attacken oder die Finanzierung solcher Bewegungen die Demokratie ins Wanken zu bringen, sagt Judy Dempsey. "Die Trump-Regierung hat die Verletzlichkeit demokratischer Institutionen genauso gezeigt, wie ihre Stärke. Aber was ihr Erbe ist, bleibt eine mehr als offene Frage."

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