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PolitikEuropa

Europas neuer Krisenherd

Barbara Wesel
26. August 2020

Griechenland und die Türkei streiten um Erdgasvorkommen im Mittelmeer. Die Türkei fordert eine Revision der Nutzungsrechte, sieht sich aber einer Koalition gegenüber. Die Europäische Union tut sich schwer, zu vermitteln.

Zypern Mittelmeer türkisches Bohrschiff Yavuz macht Erkundungsbohrungen
Juli 2019: Das türkische Bohrschiff "Yavuz" macht unter militärischem Schutz Erkundungsbohrungen im östlichen MittelmeerBild: picture-alliance/AA/Turkish National Defence Ministry

Im August kamen sich ein türkisches und ein griechisches Kriegsschiff im östlichen Mittelmeer gefährlich nahe. Frankreich schickte Kriegsschiffe, um Athen zu unterstützen. Damit waren drei NATO-Partner gegeneinander aufgezogen. Am Mittwoch hat die griechische Regierung angekündigt, gemeinsam mit Frankreich, Italien und Zypern ein dreitägiges Manöver abzuhalten. Kurz darauf hielten nach Angaben aus Ankara zwei türkische Kriegsschiffe eine Militärübung mit einem US-Zerstörer ab.

Seit Monaten schwelt der Streit um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Die jüngste Eskalation hat die EU alarmiert. Deutschland als Inhaber der Ratspräsidentschaft versucht zu vermitteln: "Niemand will diesen Konflikt militärisch lösen", sagte Außenminister Heiko Maas nach Gesprächen mit beiden Regierungen.

Historische Verträge: Recht oder Unrecht? 

Die Quelle des Konflikts reicht fast 100 Jahre zurück. Nach dem ersten Weltkrieg wurde 1923 mit dem Vertrag von Lausanne das Territorium der Türkei festgelegt. Der Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches verlor sämtliche Ägäis-Inseln an Griechenland. Seitdem streiten sich Athen und Ankara um die Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) zwischen den griechischen Inseln und der türkischen Küste.

1996 wäre es fast zum Krieg gekommen, als türkische Kommandos eine unbewohnte griechische Insel stürmten. Im Jahr 2000 schrieb die EU die maximale maritime Grenzziehung noch einmal zugunsten Griechenlands fest. Doch seit einigen Jahren fordert der türkische Präsident Erdogan eine Neufassung der Verträge. Griechenland dagegen klagt über Erdogans Großmachtgelüste und beharrt auf der gegenwärtigen Aufteilung.

Mitten in der zyprischen Hauptstadt Nikosia liegt dieser Grenzübergang zwischen dem griechischen Süden und dem türkischen Norden der InselBild: Imago Images/Joko

Zypern: Der eingefrorene Konflikt

Ein weiterer Zankapfel ist das faktisch gespaltene Zypern, seit die Türkei den Nordteil der Insel 1974 besetzte. Trotz anhaltender Vermittlungsbemühungen der Europäer besteht der "eingefrorene" Konflikt fort und belastet das Verhältnis der Türkei zur EU, die den griechischsprachigen Inselstaat 2004 aufgenommen hat. Seit türkische Schiffe mit Probebohrungen im Meer vor Nordzypern begonnen haben, kocht der Streit wieder hoch.

Die USA hatten schon früher Position bezogen - allerdings nicht zugunsten der Türkei: Ende vergangenen Jahres hob sie das Waffenembargo gegen Zypern auf - im Sinne der Energiesicherheit in Europa, hieß es. Vor einigen Monaten dann waren US-Kriegsschiffe in der Region aufgefahren, worauf das türkische Bohrschiff "Oruc Reis" den Rückzug antrat. Der US-Konzern Exxon-Mobile ist in der Region engagiert.

Libyen: Der neue Spieler

Im November 2019 unterzeichneten die Türkei und die von der UN anerkannte Regierung Libyens unter Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch ein "Memorandum of Understanding". Die darin formulierte Neuaufteilung der Ausschließlichen Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer schreibt der Türkei die Ansprüche auf Bodenschätze im Meeresgrund von Kreta bis östlich von Rhodos zu.

Der türkische Präsident Erdogan und Libyens Premierminister Al-Sarradsch haben eigene Nutzungsregeln für das Mittelmeer aufgestelltBild: DHA

Die Regierungen in Athen und Nikosia protestierten und die EU schlug sich auf ihre Seite. Die Rechtslage hier ist kompliziert, letztlich aber dürfen Libyen und die Türkei ohne internationale Zustimmung kein Abkommen beschließen, das zulasten Dritter geht.

Der neue Club Med

Die Regierung in Athen hat indes mit Ägypten eine Zusammenarbeit bei der Ausbeutung der Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer vereinbart, die dem Vertrag der Türkei mit Libyen direkt zuwiderläuft.

Im Januar dieses Jahres haben außerdem Griechenland, Zypern und Israel einen Deal zum Bau einer fast zweitausend Kilometer langen Untersee-Pipeline geschlossen, die große Mengen Erdgas nach Europa transportieren soll - unter Umgehung der Türkei.

Und schließlich sind Griechenland, Zypern, Israel, Ägypten, Italien, Jordanien und die Palästinenser im Gasforum für das östliche Mittelmeer (EMGF) zusammengeschlossen, das auch die USA unterstützt. Ausgeschlossen ist wiederum die Türkei, die die Gruppe als anti-türkischen Club denunziert. Inzwischen haben sich auch die Arabischen Emirate (UAE) dazu gesellt, die mit der Türkei rivalisieren und sich an deren Zusammenarbeit mit islamistischen Gruppen wie der Muslim-Bruderschaft stören.

Türkei zunehmend isoliert

Angesichts dieser internationalen Konstellation scheint die Türkei mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Dabei hat Ankara durchaus Grund, die Verteilung der Seerechte zu kritisieren. Sie könnte dies beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag geltend machen.

Stattdessen versucht Präsident Erdogan seine Ansprüche mit militärisch unterfüttertem Großmachtgehabe durchzusetzen und verspricht seinen Anhängern eine Art neues großtürkisches Reich zu Lande und zur See. Doch die nationalistischen Parolen sorgen international dafür, dass sich die Reihen gegen ihn umso fester schließen.

EU in schwieriger Vermittlerrolle

Bei dem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen signalisierte der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu Bereitschaft, eine Vermittlung durch die EU zu akzeptieren. Die aber befindet sich in einer Zwickmühle: Einerseits behandelt Brüssel die Türkei seit Jahren mit Samthandschuhen, weil sie unter der ständigen Drohung lebt, Ankara könne das Flüchtlingsabkommen aufkündigen und die Tore nach Europa öffnen. Andererseits ist sie ihren Mitgliedsländern Griechenland und Zypern verpflichtet.

Kurzfristig könnte die Lage durch politische Schachzüge entschärft werden wie etwa, die Türken in das EMGF einzubinden. Mittelfristig aber hilft wohl nur eine internationale Verhandlungsrunde über die seerechtlichen Ansprüche in der Region.