Europas qualvolle Tiertransporte
20. Januar 2022Die Bilder sind nur schwer zu ertragen: Das aufgebrochene Horn einer Kuh, verschmiert mit dickem, altem Blut. Etwas davon tropft noch auf die gelbe Ohrmarke, auf der die Buchstaben des Herkunftslands noch gut zu erkennen sind – HU für Ungarn. Nutztiere wie dieses sind für den außereuropäischen Markt bestimmt und verbringen oft Tage, wenn nicht sogar Wochen eingepfercht auf Schiffsdecks auf hoher See. Vielen machen Hitze, Wassermangel und Krankheiten zu schaffen. Kadaver verendeter Tiere werden in der Regel einfach über Bord geworfen.
"Trinken Sie besser einen Schnaps, bevor Sie sich das ansehen", hatte Gabriel Paun noch gesagt. Er arbeitet für die Tierschutzorganisation Animals International und hat der DW Videomaterial seiner Recherchen zur Verfügung gestellt. Zu sehen sind unter anderem Kühe, eingekotet in der Hitze und zusammengebrochen auf LKW-Ladeflächen. Schafe, die mit Schlägen und Elektroschocks auf Schiffe getrieben werden und dilettantisch durchgeführte Schlachtungen in den Zielländern. Zu diesen gehören unter anderem Saudi Arabien, der Libanon, Libyen oder Israel.
So gut wie keine Kontrollen
Jahrelang haben Gabriel Paun und weitere Aktivisten Transporte von Nutztieren in der EU und über ihre Grenzen hinweg dokumentiert. Aus Angst vor Repressalien haben sie diese häufig aus Verstecken heraus heimlich gefilmt. Immer wieder habe es Probleme mit der Polizei gegeben. In Slowenien, erzählt Paun, sei er von einem Polizisten mit gezogener Waffe dazu gezwungen worden, einen Strafzettel zu unterschreiben. Er hatte die Polizei zuvor selbst gerufen, damit diese sich bei starker Hitze einen problematischen Transport ansehen sollten.
"Sie hatten keine Ahnung, dass es überhaupt europäische Gesetze dazu gibt. Sie sollten auf den Straßen sein und die LKW davon abhalten, bei Temperaturen zu fahren, bei denen selbst Asphalt schmilzt und die Tiere auf den Anhängern sterben", berichtet Paun von dem Erlebnis.
Mehr als 3,8 Millionen Tiere werden jeden Tag durch die EU transportiert. Aber auch der besonders lange und stressige Export von lebendem Vieh aus der EU in Drittstaaten ist ein großes Geschäft. Allein etwa drei Millionen lebende Schafe und Lämmer wurden 2020 aus der EU exportiert. Zu den größten Abnehmern gehören Länder wie Jordanien, Saudi Arabien und Israel.
Untersuchungsausschuss fordert klare Regeln
Nun soll sich etwas ändern. Ein Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments hat im Dezember die Ergebnisse einer 18-monatigen Untersuchung präsentiert, die erhebliche Verstöße gegen geltende Vorschriften zu Tiertransporten festgestellt hat: "Dass diese zu lang sind, die Tiere kein Futter, kein Wasser haben, dass es zu kalt ist, dass es zu warm ist, dass die Kontrollen nicht stattfinden, dass es keine Sanktionen gibt" - so fasst es die grüne Europaabgeordnete Tilly Metz zusammen. Die Luxemburgerin führt den Vorsitz über den Untersuchungsausschuss und hat in dieser Funktion EU-weit Tiertransporte begutachtet. "Ich habe die ganze Zeit keinen einzigen Transport ohne Probleme gesehen", sagt sie.
Das Europäische Parlament hat den Bericht des Untersuchungsausschusses verabschiedet und mehrere Forderungen zur Verbesserung des Tierwohls gestellt. Konkret geht es dabei um folgende Punkte: eine Begrenzung der Transportzeiten auf acht Stunden auf der Straße und in der Luft sowie auf 24 Stunden auf hoher See, sowie ein generelles Transportverbot für hochträchtige und für unter fünf Wochen alte Tiere, die noch gesäugt werden. Diese Forderungen würden eine Verschärfung der geltenden Regeln von 2005 darstellen. Bisher sind Schiffstransporte von zeitlichen Begrenzungen ausgenommen. Rinder dürfen derzeit auf der Straße bis zu 29 Stunden lang transportiert werden; danach muss der Bestimmungsort erreicht sein oder die Tiere für 24 Stunden entladen und versorgt werden. So die Theorie.
In der Praxis sieht Tilly Metz vor allem das Problem, dass diese Regeln nicht präzise genug formuliert sind und es nicht genügend geschultes Personal und Infrastruktur gibt, um zu gewährleisten, dass sie auch eingehalten werden.
Keine Einigung bei Lebendexporten
Die Frage der Lebendtierexporte stellt die Verantwortlichen vor eine weitere besondere Herausforderung. In den meisten Ländern, in die exportiert wird, sind die Tierschutzgesetze deutlich weniger streng als in der EU. Tierschützer Paun berichtet von unprofessionellen Schlachtungen ohne Betäubung, die er während seiner Recherche in Drittstaaten gefilmt hat und die in EU-Ländern wohl strafbar wären.
"Dem Bullen wird ins Auge gestochen, damit er nichts sieht, dann werden die Bänder an den Hufen zerschnitten, um das große Tier zu Boden zu bringen, und dann wird ihm mehrere Male in den Hals gestochen. So kann es bis zu 40 Minuten dauern, um ein großes Tier zu töten", berichtet er.
Tierrechtsorganisationen verlangen daher ein generelles Ende von Lebendtierexporten aus der EU. So weit geht der Untersuchungsausschuss aber nicht. Ein Änderungsantrag der Grünen verlangt nun, dass in Zukunft nur an Länder exportiert wird, in denen die gleichen rechtlichen Bedingungen herrschen wie in der EU. Damit würde aber ein Großteil der Abnehmer wegfallen.
Auch die Agrarlobby wehrt sich gegen strengere Regeln. Gegenüber der DW hieß es in einer Stellungnahme von Copa Cogeca, dem größten Zusammenschluss landwirtschaftlicher Lobbyverbände in der EU, die Regelungen müssten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und "nicht auf Emotionen" basieren: "Bei der Diskussion über eine Begrenzung von Transportzeiten oder ein Verbot des Transports bestimmter Tierarten" könne "Copa Cogeca keine spezifischen Begrenzungen [...] unterstützen, bevor die wissenschaftlichen und sozio-ökonomischen Auswirkungen in der EU nicht gründlich erforscht wurden."
Tiefkühlfleisch als Alternative
Auch wenn die Widerstände noch groß zu sein scheinen, zeichnet sich ein Umdenken ab. Deutschland, Luxemburg und die Niederlande haben bereits im vergangenen Jahr ein Ende von Lebendtransporten in Drittstaaten verlangt. Die EU-Kommission hat eine Überarbeitung der geltenden Schutzregeln bei Tiertransporten angekündigt.
Es gibt auch Staaten, die einen solchen Schritt bereits vollzogen haben. Neuseeland hat den Export lebender Tiere für die Schlachtung verboten. Australien stellt mittlerweile so hohe Anforderungen für Exporteure, dass die Exportzahlen drastisch zurückgegangen sind. Über kurz oder lang, so hoffen die Tierschützer, könnten auch in der EU Exporte von tiefgekühltem Fleisch sowie von Embryonen und Sperma für die Zucht die Lebendtransporte ablösen. Das würde nicht nur dem Tierwohl dienen, sondern könnte, so argumentieren sie, zusätzliche Arbeitsplätze in Europa schaffen.