1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
GesellschaftEuropa

Europas Rechte und die Aufstände in Frankreich

4. Juli 2023

Rechte Parteien und Akteure in ganz Europa profitieren von den Krawallen in Frankreich - und setzen dabei auf eine pauschalisierende Rhetorik.

Eine Person läuft durch den Rauch und Flammen über eine Straße mit ausgebrannten Autos
Tagelang sind in Frankreich friedliche Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt in gewalttätige Krawalle gemündetBild: Aurelien Morissard/AP/dpa/picture alliance

Die gewaltsamen Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt, die in der vergangenen Woche ausbrachen sind weiter abgeflaut. Doch die politischen Nachbeben der teils gewaltsamen Demonstrationen dauern an - auch in anderen Ländern. Ein französischer Polizist hatte am Dienstagmorgen einen 17-jährigen Autofahrer mit algerischen Wurzeln erschossen. Die Beamten hatten das Fahrzeug laut übereinstimmenden Medienberichten nach mehreren gefährlichen Verkehrsdelikten gestoppt.

Vor allem migrationskritische, und -feindliche Akteure profitieren von Krisen dieser Art. Rechte Politiker in ganz Europa haben die Unruhen genutzt, um in sozialen Netzwerken Stimmung gegen Geflüchtete und Migranten zu machen und eine restriktivere Einwanderungspolitik zu fordern. In Ländern wie Deutschland, Ungarn, Polen, Schweden oder Italien haben ohnehin in der jüngsten Zeit rechte Kräfte einen deutlichen Stimmenzuwachs erfahren.

"Klassisch rassistischer Diskurs“

Der Fokus auf den vielfach migrantischen Hintergrund der Demonstranten findet sich in etlichen Debatten in Frankreich. So spricht der Parteichef des rechten Rassemblement National, Jordan Bardella, von einer "Verrohung der Gesellschaft als Konsequenz einer komplett irrsinnigen Immigrationspolitik".

TV-Kommentator Jean Messiha, der für seine rechtsradikalen Ansichten bekannt ist, rief sogar zu Spenden für die Familie des  mutmaßlichen Todesschützen auf, gegen den wegen vorsätzlicher Tötung ermittelt wird. Der Aufruf verbreitete sich schnell europaweit über die sozialen Netzwerke, Zehntausende Menschen haben sich bereits an der Aktion beteiligt. Vertreter der Vorstädte oder Akteure der Zivilgesellschaft sind dagegen eher selten in den Debatten und Berichterstattungen zu hören oder zu lesen.  

"Klassisch rassistischer Diskurs": Cihan Sinanoglu vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) Bild: DeZIM-Institut

"Migration wird als Urproblem dieser Gewalt dargestellt", sagt Cihan Sinanoglu vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) der DW. "Die Gewalt und die sozialen Dynamiken werden ethnisiert und mit Migration in Verbindung gebracht. Ein klassisch rassistischer Diskurs."

"Bis ins konservative Lager“

Auch in Deutschland werden Diskussionen mit Schwerpunkt auf Migration geführt und zwar nicht nur von der extremen Rechten, so Cihan Sinanoglu: "Wenn man sich die Debatten in Deutschland anguckt, dann zieht sich das durchs rechte, rechts-konservative bis ins konservative Lager. Migration wird in Zusammenhang gebracht mit Gewalt und der Bedrohung der öffentlichen Ordnung."

Auch Bijan Djir-Sarai, Generalsekretär der liberalen FDP sagt: "Unkontrollierte Zuwanderung und enorme Defizite in der Integrationspolitik sind eine Bedrohung für die innere Sicherheit." Zustimmung kam von der CSU.

Seit Tagen fordern Demonstranten "Gerechtigkeit für Nahel", den von einem Polizisten erschossen 17-JährigenBild: Eliot Blondet/picture alliance/abaca

Unter Hashtags wie "#Francehasfallen" (Dt.: "Frankreich ist gefallen") finden sich rassistische Kommentare und Hetze gegen Geflüchtete oder Franzosen mit Zuwanderungsgeschichte, zum Teil unter Verwendung von Fake-Bildern oder -Videos. Rechtspopulistische Medien berichten von einem "Migranten-Aufstand" und Protestierenden, die angeblich den Gesetzen der Scharia folgen. Vertreter der rechte AfD fordern auf sozialen Netzwerken ein "hartes Durchgreifen" von Polizei und Gerichten. Die Debatte fällt mitten in eine Zeit, in der die AfD erstmals einen hauptamtlichen Bürgermeister stellt und in Umfragen 20 Prozent Zustimmung erhält.

Keine Hintergründe, nur Verurteilung 

In Mittel- und Osteuropa wird ohnehin oftmals gegen Geflüchtete gehetzt. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nutzte die Situation, um Stimmung gegen den von der EU vorgeschlagenen Migrationspakt zu machen. Ungarns Premier Viktor Orban setzt schon seit Jahren auf eine Politik, die sich gegen Geflüchtete und Migration richtet. Vergangenen Sommer schockierte er durch Aussagen über "gemischtrassige Völker", eine "Überflutung Europas" und einen angeblichen "Bevölkerungsaustausch in Europa" - allesamt Formulierungen, die man aus dem extrem rechten Spektrum kennt.

Einseitige Berichterstattung: Screenshot des Nachrichtenportals Hirado.hu aus Ungarn vom 3. Juni 2023Bild: hirado.hu

Auch der staatliche und regierungsnahe TV-Sender MTVA widmet sich den Protesten seit ihrem Beginn, jedoch ohne die Hintergründe der Zerstörungswut zu erläutern. Kaum ein Wort zur sozialen Situation der migrantischen Bevölkerung in den Vororten von Frankreichs Großstädten oder zum Rassismus, dem viele von ihnen tagtäglich ausgesetzt sind. Selbst der Auslöser, der tödliche Schuss eines Polizisten auf einen unbewaffneten Jugendlichen nordafrikanischer Herkunft, findet nur am Rande Erwähnung. Eine der verbreiteten Thesen bei MTVA: Wenn selbst das wohlhabende Frankreich mit seiner Migrationspolitik scheitere, könne Einwanderung bei ärmeren Ländern erst recht nicht funktionieren.

Die zwei Seiten einer Gesellschaft? 

Für den italienischen Innenstaatssekretär Nicola Molteni, Mitglied der rechtsgerichteten Lega-Partei, sind die Unruhen in Frankreich "ein Beleg für das Scheitern einer unkontrollierten Migration und eine Warnung für den Rest Europas". Auch in Belgien oder Großbritannien schlagen Politiker in diese Kerbe.

All diese Aussagen setzten auf ähnliche Mechanismen, meint Sinanoglu: "Die Jugendlichen dienen auch dazu, das Selbst zu beschreiben: Auf der einen Seite die zivilisierten Franzosen und Französinnen, auf der anderen Seite die gewaltbereiten jugendlichen Männer, die die öffentliche Ordnung bedrohen. Und diese Ordnung muss mit aller Gewalt geschützt werden", sagt  der Sozialwissenschaftler. "Natürlich muss man die Gewalt [der Protestierenden, Anm. d. Red. ] verurteilen. Aber man muss doch darüber nachdenken, was die Ursachen der Gewalt sind."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen