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Europas theoretische Terrorabwehr

11. März 2005

Die Europäer sind uneinig, wie man Terror vorbeugen und bekämpfen soll. Es gibt zwar einen Anti-Terror-Beauftragten und einen Plan für eine Notfallzentrale. Aber das reicht nicht, warnen Kritiker.

Polizisten allein sind nicht genugBild: AP


Ein Jahr nach den Terror-Anschlägen von Madrid kann Gijs de Vries von Mitteln, wie sie US-Heimatschutzminister Michael Chertoff hat, nur träumen. De Vries ist der europäische Anti-Terror-Beauftragte, er hat weder einen Stab von 180.000 Mitarbeitern - wie sein US-Kollege - noch ein Rekordbudget von 1,2 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Und eigentlich müsste de Vries schon mangels Kompetenzen die "Warnstufe Rot" ausrufen. Denn der kurz nach den Anschlägen vom 11. März 2004 zum obersten Anti-Terror-Kämpfer berufene Holländer ist erschreckend machtlos. Und auch die EU insgesamt hat nach dem Schock von Madrid nur wenig konkrete Erfolge vorzuweisen.

Gijs de VriesBild: AP

Keine "europäische CIA"

Der 49-jährige de Vries ist so etwas wie der schwache starke Arm von Brüssel. Seine paradoxe Situation hat er kürzlich in einem Interview umschrieben: "Man kann kaum näher an den Kern der nationalen Souveränität kommen als im Bereich der Sicherheit und der Geheimdienste." Im Klartext: Trotz aller Bekenntnisse zu einer verstärkten Zusammenarbeit kochen die EU-Staaten beim Thema Sicherheit noch überwiegend ihr eigenes Süppchen.

Trauerflor nach den Anschlägen von Madrid am 11.3.2004Bild: AP

Das beklagt auch EU-Justizkommissar Franco Frattini. "Wir können nicht mit dem zufrieden sein, was passiert ist", sagte er mit Blick auf die sicherheitspolitischen Erfolge der EU seit dem 11. März. Einige Mitgliedstaaten bewachten nach wie vor eifersüchtig ihre nationalen Zuständigkeiten. Das gelte vor allem für die Geheimdienste. Eine "europäische CIA" ist lange nicht in Sicht. Statt Zusammenarbeit herrscht vielerorts noch Geheimniskrämerei.

Viele Vorschläge, wenig Umsetzung

Im Oktober 2004 hat die EU-Kommission beschlossen, zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ein neues Krisenzentrum zu schaffen. Die Kommission legte sich zunächst weder zur personellen Ausstattung noch zur Finanzierung fest. Eine Gruppe hochrangiger Berater habe vorgeschlagen, jährlich eine Milliarde Euro aus dem EU- Budget für die Anti-Terror-Forschung auszugeben. Die Kommission habe dies "zur Kenntnis genommen", hieß es knapp.

In der Brüsseler Notfallzentrale mit dem sprechenden Namen "Argus" sollen Informationen zum Zivil- und Gesundheitsschutz aus allen 25 EU-Ländern zusammenlaufen. Das vorgeschlagene Maßnahmenbündel soll auch einen besseren Schutz gefährdeter Infrastrukturen - wie Atomkraftwerke, Wasserversorgung, Flughäfen und andere Verkehrseinrichtungen - gewährleisten. Die europäische Polizeibehörde Europol solle mehr in den Vollzug der Anti- Terror-Gesetze einbezogen werden. Die Kommission schlägt zudem eine enge Zusammenarbeit mit Banken vor, um die Finanzierung terroristischer Aktivitäten besser zu unterbinden.

Europol: zahnloser Tiger?

Die Kommissionsvorschläge stehen in einer gewissen Konkurrenz zu den Überlegungen des europäischen Anti-Terror-Beauftragten Gijs de Vries, der im Auftrag der Mitgliedstaaten im Rat an Konzepten zur Bekämpfung der Terrorgefahr arbeitet. Die Vorstellung beider Seiten sollten nun in einen gemeinsamen Vorschlag einfließen, sagte ein hoher Kommissionsbeamter.

Lesen Sie auf Seite 2, warum auch Europol schwächelt und wie die transatlantische Zusammenarbeit funktioniert.

Bei der Kooperation der europäischen Polizeidienste gibt es bereits einen ersten Erfolg. Ein europäischer Haftbefehl soll für eine schnellere Auslieferung von Kriminellen und Terroristen sorgen. Der Vorschlag stammt aus der Zeit nach dem 11. September 2001. Laut Justizkommissar Frattini gab es seit Inkrafttreten des Haftbefehls Anfang 2004 bereits 2500 grenzüberschreitende Anfragen. Einziger Wermutstropfen: Frattinis Heimatland Italien hat das EU-Abkommen immer noch nicht umgesetzt. Ministerpräsident Silvio Berlusconi gehen die Vorschriften zu weit.

Polizei vor dem Stadion von Real Madrid (1.5.2002)Bild: AP

Ein verheerendes Tauziehen lieferten sich Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien dagegen bei der Besetzung des Europol-Chefpostens. Das Resultat: Die Stelle des obersten EU-Polizeichefs war rund neun Monate vakant. Nun soll der langjährige Abteilungsleiter beim Bundeskrimininalamt, Max-Peter Ratzel, für eine bessere Chemie zwischen den europäischen Polizeibehörden sorgen. Aber seine Kompetenzen sind wie die von de Vries begrenzt.

Transatlantische Zusammenarbeit hakt

Zankapfel AugapfelBild: AP

Auch bei dem gemeinsamen Anti-Terror-Kampf von EU und USA hapert es. Hauptstreitpunkt ist der Datenschutz. Auf Widerstand stößt die Vereinbarung über die Weitergabe von Flugpassagierdaten, die die EU und die USA im Mai 2004 unterzeichneten. Europäische Airlines müssen nun bei Transatlantikflügen 34 Angaben an die US-Behörden weitergeben. Diese reichen von Kreditkartennummern über den Arbeitgeber bis hin zu dem an Bord bestellten Menü. Auch bei der Ausstattung von Pässen mit biometrischen Merkmalen wie Fingerabdruck und digitalisierten Gesichtsfotos, wie sie die USA ab diesem Herbst zur Pflicht machen wollen, mangelt es noch an einem internationalen Standard.

Abgehörte Telefone in BrüsselBild: AP

Einen schwerwiegenden Eingriff in die Privatsphäre ihrer Bürger plant nun auch die EU. Sie will Telefon- und Internetbetreiber verpflichten, den Inhalt von Gesprächen und E-Mails bis zu einem Jahr lang aufzubewahren und Ermittlern zur Verfügung zu stellen. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) und einige ihrer EU-Kollegen versuchen dies mit Verweis auf den Datenschutz zu verhindern. Bis die EU beim Thema Sicherheit den "Helikopterblick" hat, den de Vries kürzlich forderte, könnte es daher noch lange dauern. (arn)

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