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Europawahl 2024: Die Niederlande machen den Anfang

6. Juni 2024

Die Wahllokale in den Niederlanden haben geöffnet - und damit den Auftakt zur Europawahl gemacht. Bis Sonntag wählen alle 27 Mitgliedsstaaten. Die Niederlande liegen im rechten Trend. Bernd Riegert aus Amsterdam.

Niederlande Amsterdam | Europawahl 2024
Wählerin Netty P. in Amsterdam wirft ihren großen Stimmzettel in die Europawahl-Urne, eine umgebaute Mülltonne: "Wählen ist mir wichtig."Bild: Bernd Riegert/DW

Seit 7:30 Uhr haben Tausende Wahllokale in den Niederlanden geöffnet, zur traditionellen Stimmabgabe mit rotem Buntstift und Papier. Damit eröffnen die Stimmberechtigten im wohlhabenden Nordwesten der EU den viertägigen Wahlmarathon, bei dem bis Sonntag europaweit rund 370 Millionen Wahlberechtigte ein neues EU-Parlament bestimmen können. Die Wahlbeteiligung wird im Durchschnitt aber nur bei 50 bis 60 Prozent liegen. Die Niederlande wählen traditionell an einem Donnerstag und sind damit die ersten bei der offiziellen Stimmabgabe. Sie repräsentieren auch den allgemeinen Trend bei dieser zehnten direkten Wahl des Europaparlaments: Es geht spürbar nach Rechts. 

Raul Leal Rodriguez hat gerade in Amsterdam seine Stimme abgegeben: Er will ein Zeichen setzen für die EUBild: Bernd Riegert/DW

Für Raul Leal Rodriguez, einem Niederländer mit kolumbianischen Wurzeln, ist es wichtig bei der Europawahl dabei zu sein. "Man muss zeigen, was man will oder nicht will. Deshalb bin ich heute morgen hier", sagt er der DW am Wahllokal in einem sozialgeschichtlichen Institut im Osten von Amsterdam.

Rechtspopulisten werden wohl stärkste Kraft in den Niederlanden

Nach den letzten Umfragen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten gewinnen in vielen Ländern rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien hinzu. In den Niederlanden kann die rechtspopulistische PVV von Geert Wilders sogar aus dem Stand voraussichtlich neun der 31 Sitze holen, die den Niederlanden im EU-Parlament zustehen. Im scheidenden Parlament war die xenophobe und islamkritische PVV bisher nur zeitweise mit einem Mandat vertreten. Geert Wilders hat vor einem halben Jahr auch die nationalen Wahlen in den Niederlanden gewonnen und formt derzeit in Den Haag zum ersten Mal eine rechtspopulistisch-liberale Koalitionsregierung.

Islam- und EU-Kritiker Geert Wilders (li.) hat eine Koalition mit zwei rechtsnationalen und einer liberalen Partei gebildet. Die Regierungsmannschaft steht aber noch nichtBild: Koen Van Weel/dpa/ANP/picture alliance

Insgesamt könnten die zwei bisherigen rechtsnationalen bis rechtskonservativen Fraktionen im EU-Parlament von bislang 18 Prozent auf bis zu 25 Prozent der Sitze anwachsen. Eine eigene Mehrheit bekommen sie nicht zustande, die bisherige EU-freundliche große Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen bleibt die bestimmende Kraft. Das zumindest geht aus den Projektionen der Wahlforschungsgruppe "Europe elects" hervor. Die Europawahl ist für die Meinungsforscher ein harter Brocken, gibt Tobias Schminke, Geschäftsführer von "Europe elects" im DW-Gespräch zu bedenken. "Wir haben es mit 15.000 Kandidaten zu tun. 600 verschiedene Parteilisten, dazu Einzelkandidaten. 210 Parteien werden im EU-Parlament vertreten sein. Das ist eine große Menge an Daten."

27 Wahlen werden zusammengeführt

Die direkte Wahl des Europäischen Parlaments ist eigentlich keine EU-weite Abstimmung, sondern die Ansammlung von 27 einzelnen Wahlen in den Mitgliedsländern. Jedes Land hat sein eigenes Wahlrecht, einheitliche europäische Parteilisten gibt es nicht. Auf einen einheitlichen Wahltag konnte sich die EU auch nicht einigen. In den Niederlanden wird traditionell an einem Donnerstag das Europäische Parlament gewählt, aus Rücksicht auf die Sonntagsruhe der Christen, den Schabbat der Juden und die Freitagsgebete der Muslime. In den meisten EU-Staaten ist Sonntag Wahltag, aber Irland und Tschechien wählen am Freitag, Slowenien und Lettland am Samstag, Italien am Samstag und Sonntag. In Estland können Wählerinnen und Wähler zwar schon seit Montag ihre Stimme in Wahllokalen abgeben, aber der offizielle Wahltag ist trotzdem Sonntag, 9. Juni.

Nur wenig Wahlwerbung, wie diese der Grünen und Sozialdemokraten, ist in den Niederlanden zu sehenBild: Bernd Riegert/DW

Nach der Stimmabgabe heißt es für die Niederländer warten, denn die ausgezählten Ergebnisse dürfen erst am Sonntag nach 23 Uhr veröffentlicht werden, wenn in Italien die europaweit letzten Wahllokale geschlossen haben werden. Projektionen und Hochrechnungen dürfen die TV-Sender und Meinungsforscher allerdings schon vorher veröffentlichen.

EU-Skeptiker gefällt den Niederländern

Wahlsieger dürfte in den Niederlanden die rechtspopulistische PVV von Geert Wilders werden. Der gibt sich inzwischen moderater. Sein Motto lautet: Niederlande zuerst! Einen Austritt aus der EU fordern die Rechtspopulisten nicht mehr, möchten aber erreichen, dass die Niederlande weniger in den Haushalt der EU einzahlen. Das wohlhabende Land ist einer der größten Nettozahler der Union.

Diese Haltung kommt bei den Wählerinnen und Wählern offenbar gut an. Einer Studie der Denkfabrik Clingendael-Institut in Den Haag zufolge ist eine Mehrheit mit dem europäischen Ansatz in der Migrationspolitik, der Agrarpolitik und der Antwort auf den Krieg zwischen Hamas und Israel unzufrieden. Das Vertrauen in die EU ist gesunken. Der Aussage des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Europa könne sterben, wenn man nicht die richtigen Entscheidungen treffe, stimmen 60 Prozent der vom Clingendael-Institut befragten Menschen zu.

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Trend nach Rechts in der EU

Die Niederlande liegen mit ihrer politischen Stimmung im allgemeinen europäischen Trend. In mehreren Mitgliedsstaaten, wie Italien, Frankreich, Belgien, Österreich oder Deutschland liegen die rechtsnationalen bis teilweise rechtsextremen und eher EU-skeptischen Parteien auf Platz eins oder zwei in den Umfragen. Der Rechtsaußen-Flügel im EU-Parlament wird demnach wachsen, aber keine eigene Mehrheit zustande bringen. Spannend wird, ob die Christdemokraten unter Führung ihrer Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen mit den Teilen der ganz rechten Gruppen zusammenarbeiten werden. Von der Leyen will erneut EU-Kommissionspräsidentin werden und könnte Stimmen, zumindest von den rechtsnationalen "Fratelli d'Italia" für eine absolute Mehrheit im Parlament nötig haben. Bislang bestimmte eine informelle große Koalition aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen die Gesetzgebung im Europäischen Parlament.

Insgesamt werden 720 Sitze im zehnten direkt gewählten EU-Parlament vergeben. Jedes Mitgliedsland schickt nach einem festgelegten Schlüssel Abgeordnete nach Straßburg und Brüssel. Deutschland als größtes EU-Land 96. Malta als kleinstes 6.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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