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Politik

Sorge vor dem großen Rechtsruck

17. Juni 2018

Zwischen Angst und Hoffnung: Wird die um sich greifende Euroskepsis sich bei der kommenden Europawahl entladen? Es könnte auch anders kommen. Knapp ein Jahr vor dem Urnengang gibt es auch eine neue Europabegeisterung.

Geert Wilders und Marine le Pen
Rechtspopulistische Europaabgeordnete (v.l.) Wilders (Niederlande), Pretzell (Deutschland), Le Pen (Frankreich)Bild: picture-alliance/M.Probst

Die Stimmung ist schwierig zu beurteilen. Einerseits machen sich Europapolitiker darauf gefasst, dass die Wahlbeteiligung von zuletzt rund 43 Prozent noch weiter zurückgeht und dass nach der nächsten Wahl noch mehr Rechtspopulisten und EU-Skeptiker im Parlament sitzen werden als jetzt schon. Überall in den Mitgliedsstaaten haben solche Parteien Zulauf, auch in Deutschland durch die AfD. Der nahende Brexit drückt noch zusätzlich auf die Stimmung. Immer mehr, so scheint es, wird die EU infrage gestellt.

Andererseits erreicht die Zustimmung zur EU im Moment wieder so hohe Werte wie seit 1983 nicht mehr. Das sieht man nicht nur an der "Pulse-of-Europe"-Bewegung, mit der sich viele Bürger - statt Politikern - öffentlich zur EU bekennen. Nach der jüngsten Umfrage vom vergangenen Monat meinen mehr als zwei Drittel aller befragten EU-Bürger und sogar 75 Prozent der Deutschen, dass ihr Land von der EU profitiere.

Seit dem Brexit-Votum der Briten geht es wieder nach oben. Denn viele EU-Bürger sehen darin einen "Weckruf", der eine Wende eingeleitet habe. Allerdings glaubt nach wie vor nur eine Minderheit von rund einem Drittel (und 38 Prozent der befragten Deutschen), dass sich die Dinge in Europa in die richtige Richtung bewegen.

Pulse of Europe: Es gibt noch Begeisterung für EuropaBild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

Scheitern ist eine Möglichkeit

Die Europapolitiker sind unsicher, wie sie mit den gegensätzlichen Zeichen umgehen sollen. "Man muss sich fragen, warum die Leute für solche Parteien stimmen", grübelt Antonio Tajani, der Präsident des Europaparlaments, angesichts der starken Rechtspopulisten in Straßburg und auch in den nationalen Parlamenten. Es gehe jetzt darum, "den Bürgern zu zeigen, dass Europa zu ihrem Wohlergehen und ihrem Schutz beiträgt".

Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre glaubt, noch habe die EU Zeit, Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen: "Jetzt geht es darum, in den Bereichen Wirtschafts- und Währungsunion, bei der Migrations- und Asylpolitik, sowie bei Verteidigung und Sicherheit Fortschritte zu erzielen."

Ein eher kurioser Versuch, für gute Stimmung zu sorgen, sind 15.000 Reisegutscheine, die die EU- Kommission mit der Aktion "DiscoverEU "derzeit an junge Leute vergibt. Wer einige Fragen zur Europawahl beantwortet und Glück hat, kann ein paar Wochen kostenlos und wie in den guten, alten Interrail-Zeiten mit dem Zug durch Europa reisen und sich - hoffentlich, so das Kalkül der Kommission - ein positives Bild von der EU machen.

Donald Trump hat sich als Partner der Europäer verabschiedetBild: Reuters/J. Ernst

Doch den Politikern ist klar, dass sie vor allem die Probleme der Menschen lösen müssen. Düster hatte schon nach der jüngsten Wahl 2014 Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker von einer "letzten Chance" gesprochen und gewarnt: "Entweder wir haben Erfolg dabei, die europäischen Bürger näher an Europa zu bringen. Oder wir werden scheitern." Viele glauben, dass es ums Ganze geht. "Europa darf nicht scheitern", heißt es auch bei Pulse of Europe. Die Bewegung bemängelt, Europa sei zu fern von den Bürgern, die offizielle EU habe sich in eine Parallelwelt verabschiedet.  

Migration ist DAS große Thema

Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der konservativen EVP-Fraktion, vermisst in der Debatte, dass auch über Erfolge geredet werde, beispielsweise über das wieder stärkere Wirtschaftswachstum, nicht nur in Deutschland, und den Abbau der Arbeitslosigkeit. Er sagte kürzlich, 2018 sei "ein Arbeitsjahr, in dem wir Antworten geben müssen", vor allem beim Thema Migration.

"Wir brauchen einen robusten Grenzschutz, der in der Lage ist, es mit der Mafia und mit Schlepperbanden aufzunehmen und Zuwanderung strikt zu kontrollieren. Das Zweite ist: Wir brauchen Solidarität in Europa." Gemeint ist vor allem die Bereitschaft, Flüchtlinge umzuverteilen. Doch die ist heute ferner denn je. Eine ganze Reihe von Ländern, vor allem im Osten der EU, lehnen die Aufnahme kategorisch ab.

Der Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen nimmt zuBild: Getty Images/AFP/A. Solaro

Der frühere niedersächsische Staatssekretär Michael Rüter soll den Europawahlkampf der Sozialdemokraten leiten. "Europa in einer Zeit weltweiter Umbrüche als Gestaltungsmacht zu stärken und den Kontinent mit einer starken Sozialdemokratie gerechter zu machen", beschreibt Rüter in der Parteizeitung "Vorwärts" etwas wolkig das Ziel. Gerade in Zeiten von Trump, Putin und Erdogan soll die EU seiner Meinung nach ein Gegengewicht bilden.

Auch Janis Emmanouilidis sagt: "Ich glaube, wenn man sich allein die Entwicklungen der letzten Wochen vor Augen führt, ob es die neue Regierungsbildung in Italien ist oder der G7-Gipfel mit Donald Trump und das Desaster, mit dem das geendet hat, und all die Instabilitäten, die es global, aber auch in unserem europäischen Umfeld gibt - das sind alles Gründe, die dafür sprechen, dass man mehr Europa braucht."

Kann Merkel noch moderieren?

Grünen-Europachef Reinhard Bütikofer glaubt unterdessen, die EU müsse sich ändern: "Wenn bei der Europawahl nur die Verteidigung des Ist-Zustandes und die populistische Demagogie gegeneinander stehen, dann verliert Europa. Deshalb muss, wer für die Zukunft der EU kämpft, für ihre Transformation einstehen." Doch Transformation oder Reformen in welche Richtung? Die Meinungen sind geteilt. Die einen wollen eine deutlich stärkere Integration, andere mehr Macht für die Mitgliedsstaaten, die einen wollen ein sozialeres Europa, andere befürchten eine "Transferunion", die nur Misswirtschaft belohne.

Angela Merkels Unterstützung schwindet, zuhause ebenso wie in der EU Bild: Reuters/Y. Herman

Lange war Bundeskanzlerin Angela Merkel die große europäische Vermittlerin, die versuchte, Europa zusammenzuhalten. Auch im Asylstreit mit der Schwesterpartei CSU setzt sie auf eine europäische Lösung statt eines nationalen Alleingangs. Doch ihr Rückhalt schwindet, in der Partei, in der Bevölkerung, in Europa. "Wer nicht mehr kompromissfähig ist, der wird einen Beitrag dazu liefern, dass Europa auseinanderfällt", sagte sie kürzlich. Das war, bevor sich die Dinge in Berlin so zuspitzten. Es könnte, knapp ein Jahr vor der Europawahl, ein prophetisches Wort gewesen sein. 

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