1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Europawahl: Wie geht es weiter mit der Ampel-Regierung?

10. Juni 2024

SPD, Grüne und FDP sind zusammen kaum stärker als CDU/CSU. Die Union fordert Neuwahlen wie in Frankreich. Doch daran hat Kanzler Olaf Scholz kein Interesse.

Berlin. Kanzler Olaf Scholz (SPD,re.), Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, Mitte) und Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner sitzen nebeneinander auf der Regierungsbank und machen ernste Gesichter
Wie lange werden sie sich noch auf der Regierungsbank halten können? Kanzler Olaf Scholz (SPD, r.), Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, Mitte) und Finanzminister und FDP-Chef Christian LindnerBild: Annegret Hilse/REUTERS

Der französische Präsident Emmanuel Macron tritt die Flucht nach vorne an. Nach der krachenden Niederlage, die sein Parteien-Bündnis bei der Europawahl erlitten hat, kündigte er noch am Sonntagabend eine Neuwahl der Nationalversammlung, also des französischen Parlaments, an. 

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) muss nach der Europawahl feststellen, dass die sogenannten Ampel-Parteien, die seine Bundesregierung stellen, klar verloren haben. Mit 13,9 Prozent fuhren die Sozialdemokraten das schlechteste Ergebnis ein, das sie je bei einer bundesweiten Wahl erzielt haben. Die Grünen rutschten auf 11,9 Prozent ab. Die FDP kam auf 5,2 Prozent.

Desaster mit Ansage 

Drei von vier Bundesbürgern sind mit der Bundesregierung unzufrieden, die Umfragewerte der Parteien sind schon länger im Keller. Doch sie wurden von den Ergebnissen der Europawahl noch unterboten. Sogar die in Teilen rechtsextreme AfD schnitt mit 15,9 Prozent besser ab.

Klarer Wahlgewinner ist die Union, das Bündnis aus CDU und CSU, die zusammen auf 30 Prozent kamen. Ihr Kalkül, die Europawahl auch zu einer nationalen Abstimmung zu machen, ist aufgegangen. "Noch ein Grund die CDU zu wählen - die Ampel", hatte die CDU noch in den letzten Tagen vor der Europawahl plakatiert.

Neuwahlen wie in Frankreich?

CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder fordern Neuwahlen in Deutschland. Die Europawahl sei eine "Abwahl der Ampel" gewesen und ein "klares Misstrauensvotum" gegen den Kanzler, sagte Söder in München. Scholz verfüge über keine Legitimation und kein Vertrauen in der Bevölkerung mehr. "Olaf Scholz ist ein König ohne Land." Sollte die Ampel einfach so weitermachen, werde es "die Menschen tief frustrieren".  

Bundestagswahl 2025: Planung trotz Unzufriedenheit

Doch Neuwahlen sind für die Ampel-Koalition kein Thema. "Nicht eine Sekunde" sei darüber nachgedacht worden, betonte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag. In Deutschland werde der nächste Bundestag voraussichtlich im Herbst 2025 gewählt. "Das planen wir auch so umzusetzen." Das Regierungsprojekt sei auf vier Jahre angelegt. 

Was wohl auch daran liegt, dass der Bundeskanzler - im Gegensatz zum französischen Präsidenten - bei Neuwahlen wahrscheinlich sein Amt verlieren würde. Macron ist vom Volk direkt gewählt und bis 2027 im Amt, während der deutsche Kanzler im Bundestag von einer Mehrheit der Abgeordneten gewählt wird.

Neuwahlen: Risiko für SPD, Grüne und FDP 

Aus Gründen der politischen Stabilität ist es in Deutschland nicht so einfach, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Voraussetzung ist, dass der Kanzler nicht mehr in der Lage ist, im Parlament eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich zu versammeln. Dann könnte Scholz beim Bundespräsidenten beantragen, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen auszurufen.

Doch daran können SPD, Grüne und FDP kein Interesse haben. Neben dem Verlust des Kanzleramts und der Regierungsmacht würden wohl auch zahlreiche Abgeordnete fürchten müssen, nicht mehr in den Bundestag gewählt zu werden.

Spannungen in der Ampel-Koalition 

Allerdings stellt sich die Frage, ob die Angst vor einem Machtverlust ausreicht, um die Fliehkräfte und die Probleme in der Koalition zu überbrücken. Gut ist das Verhältnis zwischen SPD, Grünen und FDP schon lange nicht mehr.

Politischer Streit ist an der Tagesordnung und es zeigt sich immer wieder, dass die politischen Interessen zweier im Grundsatz linker und einer wirtschaftsliberalen Partei sehr weit auseinanderliegen.

Europawahl: Streit hat geschadet 

Für SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ist das ein Grund für das schlechte Abschneiden seiner Partei bei der Europawahl, sagte er nach der SPD-Präsidiumssitzung in Berlin. Man dürfe nicht beiseite wischen, dass dies auch an Auftreten und Wahrnehmung der Ampel-Koalition liege.

Das Wahlergebnis sei "eine Kränkung für den Stolz der Sozialdemokratie", sagt SPD-Generalsekretär Kevin KühnertBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Immer wieder haben sich die Koalitionäre in den letzten Monaten ermahnt, ihre Arbeit müsse besser, konstruktiver, zielorientierter werden. Gebracht hat es kaum etwas und bei Kühnert jedenfalls wächst die Einsicht, dass sich die Konflikte nicht in Wohlgefallen auflösen werden. "Es ist nicht plausibel, dass jetzt morgen alles geräuschloser wird, wenn sich alle nur mal zusammenreißen."

Bundeshaushalt 2025: Milliardenloch und Schuldenbremse 

Tatsächlich steht absehbar noch größerer Streit als bisher ins Haus. Am 3. Juli will die Bundesregierung ihren Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 vorlegen. In den Berechnungen darüber, was der Staat einnehmen wird und ausgeben will, klafft ein riesiges Milliardenloch. Wie groß es genau ist, darüber schweigt sich Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner aus. 

Schätzungen reichen von 25 bis zu 50 Milliarden Euro. Lindner will das Geld vorzugsweise bei den Sozialausgaben einsparen und damit die Schuldenbremse wieder einhalten. Die im Grundgesetz verankerte Regel schreibt vor, dass der Staat nur so viel Geld ausgeben darf, wie er einnimmt. In der SPD und bei den Grünen würden hingegen viele die Schuldenbremse gerne aussetzen und die Löcher im Etat auch über frische Kredite stopfen.

Politische Mehrheiten und die Rolle der FDP 

Wer die Schuldenbremse aufweichen wolle, müsse sich dafür andere politische Mehrheiten suchen, hat Lindner schon vor der Europawahl gedroht. Seine Partei hat Haushaltsdisziplin zu ihrem politischen Credo erhoben und kann es sich politisch nicht leisten, davon abzurücken. Eher würden die Liberalen aus der Koalition ausscheren.

FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner will beim Thema Schuldenbremse keinen Schritt weichenBild: Hannes P Albert/dpa/picture alliance

Das weiß Kanzler Scholz, der das Bündnis unbedingt zusammenhalten will. Daher stimmt er Lindner beim Thema Schuldenbremse ausdrücklich zu. Zum Leidwesen der SPD, in der es schon vor der Europawahl hörbar grummelte. "Was nicht geht, ist, dass man eben mal 30, 40 Milliarden aus dem Bundeshaushalt rausspart", hatte SPD-Co-Chef Lars Klingbeil gesagt.

Zukunft der Ampel-Koalition 

Nach der Wahl werden führende Sozialdemokraten noch deutlicher. Es sei klar, dass man keine Kürzungen mittragen werde, die den sozialen Zusammenhalt gefährdeten, sagte Generalsekretär Kühnert. Er könne sich "kein Szenario" vorstellen, in dem die SPD einem solchen Haushalt zustimmen werde. "Sozialdemokratie pur, mehr SPD in der Koalition", das sind die Forderungen, die aus der Parteizentrale ins Kanzleramt gesendet werden. Ob Scholz das umsetzen kann?

Seine Gangart war bisher, mit Besonnenheit zu punkten und sich als Moderator zu profilieren. Für die Europawahl hat er sich als Friedenskanzler inszeniert, doch das zog offenbar nicht.

Scholz: Demonstrativ gelassen

Niedergeschlagen oder nachdenklich ob der Wahlschlappe wirkt Olaf Scholz allerdings nicht. Als wenn nichts geschehen wäre, schlenderte er am Wahlabend demonstrativ gelassen über die Wahlparty in der SPD-Zentrale und machte in aller Ruhe Selfies mit den Genossen.

Lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: Kanzler Olaf Scholz auf der Wahlparty der SPD im Willy-Brandt-Haus in BerlinBild: Michael Fischer/dpa/picture alliance

In der Krise zeigt sich einmal mehr, dass Scholz kein Typ ist, der einfach so hinwirft. Im Gegenteil. Widerstand und Niederlagen konnten ihn noch nie aufhalten. Das hat sich in seiner mehr als drei Jahrzehnte währenden politischen Karriere mehr als einmal gezeigt. Wenn er fiel, stand er auf und ging unbeirrt weiter.

FDP und Grüne nach der Europawahl

Doch auch FDP-Chef Christian Lindner zeigt wenig Bereitschaft für Kompromisse. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 hat die FDP zwar deutlich verloren, aber das Ergebnis der Europawahl interpretiert Linder als "ein starkes Signal der Stabilisierung, das wir auch politisch nutzen wollen". 2019 kam die FDP auf 5,4 Prozent, diesmal sind es 5,2 Prozent. 

Bei den Grünen ahnt man vielleicht schon, was nun auf die Ampel zukommt. Grünen-Co-Parteichef Omid Nouripour mahnt die Koalitionspartner, sie müssten sich darauf besinnen, "dass wir das Land vor Parteifarben stellen". Das gelte grade mit Blick auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen. Fast flehend fügt er hinzu, es mache keinen Sinn, "den Streit weiter öffentlich auszutragen".

Der Artikel wurde am 10.06. erstmals veröffentlicht. Am 11.06. wurde das Wahlergebnis der FDP bei der Europawahl 2019 korrigiert. 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen