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PolitikEuropa

Europawahl: Im Osten Europas kein Rechtsruck

10. Juni 2024

Im Osten der EU blieben Rechtsaußen-Parteien bei der Europa-Wahl teils weit unter den Prognosen. Besonders die Ergebnisse in Polen, der Slowakei und Ungarn überraschen. Dort rückt Viktor Orbans Ende in greifbare Nähe.

Eine große Gruppe Menschen hält sich bei einer Kundgebung von Oppositionsführer Peter Magyar am 08.06.2024 in Budapest an den Händen und reckt die Arme nach oben.
Gemeinsam gegen das System Orban: Am Samstag, 08.06.2024, stimmte Ungarns Oppositionsführer Peter Magyar bei einer Kundgebung Wählerinnen und Wähler auf die Europawahl einBild: Bernadett Szabo/REUTERS

Der Schock in Europa ist groß: In den wichtigsten EU-Ländern Westeuropas haben rechtsextreme oder Rechtsaußen-Parteien bei der Europawahl große Gewinne erzielt oder liegen vorn, darunter in Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich. Anders sieht es im Osten der Europäischen Union aus - vor allem anders, als es das Image dieses Teil Europas besagt. In der Vorstellung vieler ist diese Region eine Hochburg der Viktor Orbans und Jaroslaw Kaczynskis, der Nationalisten und Rechtspopulisten.

Vom Baltikum bis Bulgarien blieben nationalistische, rechtsextreme und europaskeptische Parteien fast überall hinter den Erwartungen zurück oder verloren Stimmen. Lediglich in Slowenien und Tschechien gewannen zwei Parteien, die mit Orban und seinem rechtsnationalistischen Fidesz verbündet sind, die Europawahl.

Ansonsten ist das Bild überraschend und divers. In Ungarn verlor Orbans Partei erstmals seit vielen Jahren bei einer Wahl einen erheblichen Stimmenanteil, ein Newcomer und Herausforderer des Premiers bekam aus dem Stand 30 Prozent der Stimmen. In Polen gewann die proeuropäische und liberal-konservative Koalition des Premiers Donald Tusk wider Erwarten den ersten Platz bei der Europawahl. In der Slowakei siegte eine progressive Partei deutlich vor der regierenden SMER-Partei des rechtsnationalistischen Premiers Robert Fico, auf den vor wenigen Wochen ein Attentat verübt worden war. In Rumänien und Bulgarien erhielten rechtsextrem-nationalistische und prorussische Parteien weniger Stimmengewinne als befürchtet oder konnten keine Zugewinne verbuchen.

Machtwechsel in Ungarn 2026?

Am bemerkenswertesten dürften die Ergebnisse der Europawahl und der gleichzeitig abgehaltenen Kommunalwahlen in Ungarn sein. Zum ersten Mal bei einer Europawahl seit 2009 gewann Orbans rechtsnationalistisches Parteienbündnis aus Fidesz und der kleinen christdemokratischen KDNP keine absolute Mehrheit, sondern kam nur noch auf knapp 45 Prozent. Zwar siegte Fidesz damit immer noch weit vor allen anderen Parteien, allerdings bewerten Beobachter das Ergebnis als Ohrfeige für den erfolgsverwöhnten Premier.

Newcomer Peter Magyar (Mitte, bei einer Kundgebung in Budapest am Tag vor der Wahl) erhielt aus dem Stand gut 30 ProzentBild: Bernadett Szabo/REUTERS

Der Newcomer und Orban-Kritiker Peter Magyar, der mit seiner Tisza-Partei erst vor wenigen Wochen die politische Bühne betreten hatte, kam auf rund 30 Prozent - das mit weitem Abstand höchste Ergebnis, das eine oppositionelle Partei gegen Orban erreicht hat, seitdem dieser 2010 an die Macht gekommen war. Magyar ist ein Fidesz-Abtrünniger, hatte in den vergangenen Jahren gut dotierte Posten in Orbans Staatsapparat inne und trat im Februar 2024 erstmals an die Öffentlichkeit. Magyar vertritt in vielerlei Hinsicht rechtskonservative Fidesz-Positionen, etwa in der Migrationspolitik, verspricht aber, mit Korruption und Vetternwirtschaft des Orban-Systems und mit Missständen im Gesundheits- und Bildungswesen aufzuräumen. Außerdem ist er - anders als Orban - explizit proeuropäisch.

Orban kommentierte das schlechte Abschneiden seiner Partei schmallippig und trotzig. "Wir haben die alte und die neue Opposition besiegt, und egal, wie die tagesaktuelle Opposition heißen wird, wir werden sie wieder und wieder besiegen", sagte er in der Wahlnacht am Sonntag vor Anhängern. Sein Herausforderer Peter Magyar hingegen versprach einen Machtwechsel bei der kommenden Parlamentswahl im Jahr 2026 und kündigte an: "Jetzt beginnt der Tanz!"

Polen: Nur Platz zwei für PiS

In Polen kam die liberal-konservative Bürgerkoalition (KO) des Premiers Donald Tusk mit 37 Prozent auf den ersten Platz, obwohl viele Beobachter erwartet hatten, dass die erst seit vergangenem Herbst amtierende Regierungskoalition eine Niederlage erleiden würde. Die rechtsnationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kazczynski, die von 2015 bis 2023 regiert hatte, musste sich hingegen mit 36 Prozent und damit mit dem zweiten Platz begnügen, obwohl sie in Umfragen vorn gelegen hatte.

Das Wahlergebnis in Polen war ein Dämpfer für die PiS und ihren Chef Jaroslaw Kaczynski - hier bei der Stimmabgabe in Warschau am 09.06.2024Bild: Tomasz Gzell/EPA

"Wir haben heute gezeigt, dass wir ein Hoffnungsschimmer für Europa sind", sagte Tusk am Sonntagabend in Warschau. "Polen wird in den nächsten Monaten entscheiden, wie Europa aussehen wird", so der Premier weiter. Sein Land sei ein "Leader in der EU". PiS-Chef Kaczynski gab sich kämpferisch und bezeichnete das Wahlergebnis als "eine große Herausforderung".  Er rief seine Partei mit Blick auf die Farben der polnischen Flagge dazu auf, eine "weiß-rote Front" aufzubauen.

Ein Dämpfer für Tusk war das Abschneiden seiner kleineren Koalitionspartner: Der christdemokratische Dritte Weg erreichte sieben, die Linke sechs Prozent. Und beide wurden von der antieuropäischen, nationalistischen Rechtsaußen-Kraft Konfederacja überholt. Das nationalistische Bündnis erreichte mit knapp 13 Prozent sein bisher bestes Resultat.

Überraschung Slowakei

Eine der großen Überraschungen der Europawahl war der eindeutige Sieg der sozialliberal-linken Oppositionspartei Progressive Slowakei (PS) mit 28 Prozent. Favorit war die nominell sozialdemokratische, faktisch rechtsnationalistische Partei SMER des Regierungschefs Robert Fico gewesen, der bei einem Attentat Mitte Mai lebensgefährlich verletzt worden war. Die SMER-Negativrhetorik nach dem Attentat hat der Partei offenbar eher geschadet - Fico beispielsweise hatte vor kurzem in seiner ersten Wortmeldung die Opposition beschuldigt, Urheber des Attentats zu sein und dabei wirre rechtsextreme Verschwörungstheorien verbreitet.

Der slowakische Premier Robert Fico meldete sich vor den Europawahlen zum ersten Mal nach dem Attentat auf ihn in einer Videobotschaft zu WortBild: REUTERS

In Tschechien dagegen siegte mit 26 Prozent die rechtsliberale Partei Aktion unzufriedener Bürger (ANO) des Ex-Premiers und Milliardärs Andrej Babis. Sie zählt zum Lager der Rechtsnationalisten im Osten der EU, ist aber vor allem migrationskritisch eingestellt und nicht antieuropäisch. Dicht dahinter folgte mit 22 Prozent das proeuropäische, konservativ-liberale Regierungsbündnis des Premiers Petr Fiala. Die rechtsextreme Partei SPD verlor im Vergleich zur Europawahl 2019 und Parlamentswahl 2021 fast die Hälfte der Stimmen und kam nur noch auf fünf Prozent.

Keine "Eroberung Brüssels"

In Kroatien, Rumänien und Bulgarien siegten jeweils langjährige Regierungsparteien und -bündnisse, deren Ausrichtung teils schwer einordbar ist. Insgesamt vertreten sie aber proeuropäische und gleichzeitig konservativ-nationale Positionen. Zu den Wahlgewinnern gehört so auch die Sozialdemokratische Partei Rumäniens (PSD), die zur Europawahl ein Bündnis mit der National-Liberalen Partei (PNL) eingegangen war. Rechtsextreme Parteien konnten in keinem der drei Länder einen Durchbruch erzielen. In Rumänien gewann die prorussische, rechtsextreme Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) zwar Stimmen hinzu, blieb allerdings mit 14 Prozent im unteren Bereich der Prognosen.

Bulgariens Präsident Rumen Radev wirft am Sonntag, 09.06.2024, seine Stimme ein. Bulgarien wählte neben dem EU-Parlament auch eine neue NationalversammlungBild: Lin Hao/Xinhua/IMAGO

Nicht nur ist damit insgesamt ein Rechtsruck im Osten der Europäischen Union ausgeblieben. Der selbst erklärte Anführer der "Souveränisten" in der Region, Ungarns Premier Orban, hat sein Ziel, bei der Europawahl "Brüssel zu erobern und umzukrempeln", deutlich verfehlt. Nicht nur wegen seines eigenen schlechten Wahlergebnisses, sondern auch, weil ihm in Mittel- und Südosteuropa dafür die starken Verbündeten fehlen.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter