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Politik

Mehr als zehn Prozent rechte Stammwähler

26. April 2019

In der EU ist Wahlkampf. Die politischen Parteien machen Stimmung und versuchen, möglichst viele Bürger für sich zu gewinnen. Gut funktioniert das am rechten Rand, zeigt eine Studie. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Italien Lega Nord & AfD | gemeinsamer Wahlkampfauftakt Europawahl
Der deutsche AfD-Vorsitzende Meuthen und Italiens Lega Nord-Chef Salvini (Mitte) wollen mit anderen rechtspopulistischen Parteien im EU-Parlament eine Fraktion bildenBild: picture-alliance/AP Photo/L. Bruno

Auffordernd, eindrücklich, zuversichtlich, in den meisten Fällen mit einem optimistischen Lächeln im Gesicht - so blicken derzeit viele hundert Kandidaten für die EU-Wahl von vielen tausend Plakaten auf die Bürger herab. Nebeneinander und übereinander pflastern die politischen Parteien mit ihren Wahlkampfparolen Wände, Laternenmasten und eigens aufgestellte Gerüste. Niemand soll sie übersehen können. Und doch scheinen ihre Botschaften kaum anzukommen.

Immer weniger Wähler können sich mit politischen Parteien positiv identifizieren. Gab es früher so etwas wie eine Stammwählerschaft, die oft innerhalb einer Familie über Generationen hinweg erhalten blieb, so sagen heute nur noch wenige Bürger, dass sie eine Partei "auf jeden Fall" und damit bei jeder Wahl, egal ob auf Europa-, Landes- oder Kommunalebene wählen würden. Diese Entwicklung ist nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa zu beobachten.

Nicht nur in Berlin: Europaweit plakatieren die Parteien für die Europawahl vom 23. bis 26. MaiBild: Reuters/F. Bensch

Dagegen statt dafür

Was hingegen zunimmt, ist die explizite Ablehnung von Parteien. Das geht aus einer Befragung der Bertelsmann-Stiftung hervor, die in den zwölf größten EU-Ländern durchgeführt wurde. Die Studie attestiert den Europäern eine wachsende Anti-Haltung. "Viele Bürger entscheiden sich nicht mehr für eine Partei, sondern wählen gegen solche Parteien, die sie am stärksten ablehnen", erläutert Robert Vehrkamp, Mitautor und Demokratieforscher bei der Bertelsmann-Stiftung.

Im Durchschnitt aller Parteien identifizieren sich nur etwa sechs von 100 Wahlberechtigten (6,3 Prozent) positiv mit einer Partei. Dagegen hat fast jeder Zweite (rund 49 Prozent) eine negative Parteiidentität, lehnt also eine oder sogar mehrere Parteien vollständig ab.

Gewählt werde dann eine Partei, die den sichersten Schutz vor den Parteien zu versprechen scheint, deren Wahlerfolg die Wähler auf jeden Fall verhindern wollen.

Die Rechte hat zehn Prozent Stammwähler

Interessant sind die Werte zur Ablehnung oder Zustimmung einzelner Parteien an den politischen Rändern. Einerseits kassieren die extremen und populistischen Parteien mit rund 52 Prozent die höchsten Ablehnungswerte. Gleichzeitig haben die Populisten relativ hohe Werte bei den positiven Parteiidentifikationen. 10,3 Prozent der befragten Wahlberechtigten in den zwölf untersuchten europäischen Ländern besitzen eine positive Parteiidentität mit einer rechtspopulistischen oder rechtsextremen Partei.

Verlorene Mitte

Wie stark rechtspopulistische und antidemokratische Einstellungen auch in der deutschen Bevölkerung verwurzelt sind, zeigt die aktuelle "Mitte-Studie" der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie misst im Turnus von zwei Jahren die Einstellung der Deutschen zur Demokratie und gegenüber Minderheiten wie Asylsuchenden, Einwanderern, Juden, Sinti und Roma sowie Homosexuellen. In diesem Jahr trägt sie den Titel "Verlorene Mitte - feindselige Zustände", da sich rechte Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft regelrecht verfestigt hätten.

Zum Hören: Robert Vehrkamp über die Studie

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Harte rechtsextremistische Einstellungen werden der Studie zufolge wie in den Vorjahren nur von einer Minderheit in Deutschland, nämlich 2,4 Prozent der Befragten geteilt. Weit verbreitet sind aber nach wie vor fremdenfeindliche Einstellungen und Islamfeindlichkeit, die in den rechtspopulistischen Parteien verbreitet sind.

Populisten polarisieren in der EU

"Die populistischen Parteien haben es in relativ kurzer Zeit geschafft, sich eine stabile Stammwählerbasis zu schaffen", stellt Demokratieforscher Vehrkamp fest. Gleichzeitig würden populistische Parteien aber auch von vielen Bürgern abgelehnt. Diese antipopulistische Stimmung müssten die proeuropäischen Parteien aufgreifen und nutzen, um mehr potenzielle eigene Wähler zu mobilisieren, empfiehlt der Wissenschaftler.

Für die Bertelsmann-Studie "Europa hat die Wahl - Populistische Einstellungen und Wahlabsichten bei der Europawahl 2019" wurden repräsentativ knapp 24.000 Wahlberechtigte in Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Schweden, Dänemark, Spanien und Ungarn befragt. 68 Prozent der Befragten gaben an, wählen zu wollen. Damit würde sich die Wahlbeteiligung, die bei der letzten Europawahl 2014 bei lediglich 42,6 Prozent lag, deutlich erhöhen. Von den deutschen Befragten wollen sogar 73 Prozent zur Wahl gehen.

Die Mitte muss weiter mobilisiert werden

"Die Höhe der Wahlbeteiligung wird für das Wahlergebnis und die Zukunft Europas entscheidend sein", so Aart de Geus, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Laut der Studie sind die Anhänger der europakritischen Parteien an den politischen Rändern bislang stärker mobilisiert, als die noch etwas wahlmüde erscheinende politische Mitte. Europa brauche arbeitsfähige Mehrheiten im neuen europäischen Parlament, warnt de Geus: "Die Mobilisierung der überwiegend proeuropäischen Mitte ist dafür eine wichtige Voraussetzung."

In Deutschland liegt die AfD bei Umfragen zur Europawahl bei elf Prozent

Wenn die populistischen Ränder zu stark werden, sind Konsens und Mehrheiten in Zukunft nur in großen Koalitionen der etablierten Parteien, also von sozialistischen, links-alternativen, grünen und sozialdemokratischen bis hin zu den christdemokratischen und konservativen Parteien möglich. Damit würde es aber nur noch um den Streit zwischen den Etablierten und den Populisten und damit "für" oder "gegen" Europa gehen.

Mehr Streit in der Sache

Laut der Bertelsmann-Studie wäre das den meisten Wählern gar nicht recht. Sie wollen, dass es im neuen Europaparlament auch um Sachfragen geht und damit um die politische Auseinandersetzung zwischen dem linken und rechten Parteienlager. Bleibt die aus, dann stärkt das die Ränder und damit die Populisten.

Fühlten die Menschen sich in der Vielfalt ihrer Interessen und Einstellungen nicht hinreichend repräsentiert, erzeuge das Unzufriedenheit und Demokratiekritik, heißt es in der Studie. Parteien müssten sich daher viel mehr bemühen, die verschiedenen Positionen im politischen Prozess zu vertreten. Nur so könne einer weiteren Ausbreitung von populistischen Einstellungen in repräsentativen Demokratien begegnet werden.

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