Ein Jahr nach Inbetriebnahme des weltgrößten Röntgenlasers haben Forscher die ersten Ergebnisse veröffentlicht: Dreidimensionale Strukturen von Eiweißmolekülen. Gute Aussichten für die medizinische Forschung.
Anzeige
Knapp ein Jahr nach der Inbetriebnahme des Freien-Elektronen-Lasers für Röntgenlicht (X-Ray Free-Electron Laser) hat ein internationales Forscherteam um Professor Ilme Schlichting vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg die weltweit erste Publikation mit Forschungsergebnissen veröffentlicht. In der Fachzeitschrift Nature Communicationsbeschreiben die Forscher drei verschiedene Eiweißmoleküle aus Pflanzen.
Während ihres Experiments nahmen die Forscher Tausende von Bildern der Moleküle auf. Damit konnten sie dreidimensionale Modelle berechnen, die gut genug waren, um die verschiedenen Moleküle unterscheiden zu können.
Adrian Manusco, leitender Wissenschaftler an der Experimentierstation am XFEL beschrieb die Publikation als "Meilenstein". Im nächsten Schritt möchte er nun, die Anlage nutzen, um Moleküle in Aktion zu filmen, sagte Manusco.
Erst 2017 in Betrieb genommen
Der XFEL ist stolze 3,4 Kilometer lang. Die Forschungsanlage reicht vom Gelände des Deutschen Elektronensynchrotron (DESY) im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld bis nach Schenefeld im Kreis Pinneberg in Schleswig Holstein.
Mehrere wissenschaftliche Labore können das superhelle Röntgenlicht nutzen. Es kommt über Rohre zu ihnen, die ähnliche Dimensionen wie Wasserleitungen in einem Haushalt haben. Zur Zeit sind nur zwei Labore angeschlossen, in Zukunft sollen es sieben sein.
Diese Labore bieten Forschern ungeahnte Möglichkeiten: In der Materialforschung lassen sich etwa Nanostrukturen genau studieren. Physiker können Materie extremen Drücken und Temperaturen aussetzen und herausfinden, wie diese sich unter riesigen Energiedichten verhält. Sie können damit Zustände erzeugen, wie sie bei der Entstehung des Universums herrschten. Oder sie können mit hochpräzisen Spektroskopen andere Geheimnisse lüften.
Biochemiker und Mediziner können sich Biomoleküle detailliert anschauen, Viren molekular entschlüsseln oder auch herausfinden, was schief läuft, wenn der menschliche Körper plötzlich Krebszellen produziert.
European XFEL: Riesige Kamera für Filme im atomaren Bereich
01:04
Extrem kurz, extrem hell
Die Röntgenblitze, die am Ende der Anlage herauskommen, dauern etwa 0,000.000.000.000.01 (zehn Billiardstel) Sekunden - oder anders ausgedrückt - zehn Femtosekunden. Von diesen Blitzen gibt es pro Sekunde 27.000. Ihre Wellenlänge ist extrem kurz: 0,005 bis 4,7 Nanometer. Das reicht aus, um Details von Atomen zu zeigen.
Die riesige Anzahl von Bildern pro Sekunde wiederum macht es möglich, Aufnahmen von Reaktionsprozessen zu schießen, die noch nicht abgeschlossen sind. Bisher war so etwas nicht möglich. Die gesamte Chemie, wie wir sie kennen, beruht darauf, dass man sich einen Zustand vorher und einen Zustand nachher anschaut und aufgrund unseres physikalischen und mathematischen Wissens theoretische Rückschlüsse darauf zieht, wie sich die Moleküle und Atome dazwischen verhalten haben müssen. Mit XFEL lassen sich solche Reaktionsprozesse zum ersten Mal quasi in Echtzeit beobachten und filmen.
Ein Kilometerlanger Tunnel zum Forschungscampus
Die Röntgenblitze, mit denen die Forscher arbeiten, bestehen aus Elektronen, die in extrem kurzen gepulsten Paketen im Labor ankommen.
Die Elektronenpakete werden durch gepulsten Laserbeschuss extra erzeugt. Dann fliegen sie durch eine 1,7 Kilometer lange geradlinige Beschleunigungsstrecke. Diese besteht aus supraleitenden Kammern, in denen eine Mikrowellenstrahlung schwingt und die Teilchen so antreibt. Die Kammern sind auf Minus 271 Grad Celsius heruntergekühlt - damit der Strom in der Anlage widerstandsfrei fließen kann.
Das Ganze findet in einem Tunnel statt - 15 bis 38 Meter tief unter der Erde. Mit nahezu Lichtgeschwindigkeit und hohen Energien von bis zu 17,5 Milliarden Elektronenvolt werden die Elektronenpakete über Weichen zu den unterschiedlichen Labors gelenkt.
Von Europa gebaut für Forscher aus der ganzen Welt
Die ersten Wissenschaftler, die den Zuschlag für Forschungen am European XFEL bekommen hatten, waren Teams um den Australier Anton Bartyund den polnischen Forscher Wojciech Gawelda. Beide arbeiten am DESY. Auch britischen und russischen Forschern wurde zu Beginn des Betriebes Experimentierzeit eingeräumt. Bisher forschen Teams und Wissenschaftler aus 35 Universitäten und Forschungseinrichtungen aus aller Welt am European XFEL.
XFEL ist ein europaweites Kooperationsprojekt. Deutschland trägt 58 Prozent der Kosten und Russland 27 Prozent. Die weiteren Teilnehmerstaaten sind Dänemark, Frankreich, Italien, Polen, Russland, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Spanien und Ungarn mit jeweils einem bis drei Prozent der Kosten.
Riesenkamera für kleinste Teilchen
Am LHC des CERN wurde zuerst ein Urknall simuliert, später das Higgs-Teilchen nachgewiesen: An dem Teilchenbeschleuniger prallen Ionen mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Kleinste Elementarteilchen entstehen.
Bild: DW/F.Schmidt
Mini-Urknall
Am 30. März 2010 führten Teilchenphysiker am Teilchenbeschleuniger (LHC) der Europäischen Organisation für Kernforschung einen Mini-Urknall vor. Gegner des Experiments hatten versucht, das gerichtlich noch zu verhindern, weil sie einen Weltuntergang fürchteten. Der kam dann aber nicht. Anstelle dessen gab es viele weitere spannende Entdeckungen.
2013 wurde dann das Higgs-Teilchen nachgewiesen: Im ATLAS-Detektor - einer riesengroßen Digitalkamera. Sie kann die kleinsten Bausteine des Universums fotografieren: Einzelteile der Atomkerne. Das Wandgemälde zeigt, wie groß ATLAS ist. Aber nur fast - denn das Original liegt gut 90 Meter tiefer und ist noch etwas größer.
Bild: DW/F.Schmidt
Helmpflicht für Teilchen-Fotografen
Vier Detektor-Kameras liegen entlang des Large Hadron Colliders (LHC), also des CERN-Teilchenbeschleunigers. Sie heißen ALICE, ATLAS, CMS und LHCb. Wer sie sehen will, muss tief hinunter in den Fels der Schweizer und französischen Alpen. Dort unten herrscht Helmpflicht, denn überall sind Rohre und Leitungen. Leicht kann man sich den Kopf stoßen, oder es fällt ein Werkzeug von oben herab.
Bild: DW/F.Schmidt
Bilder aus der Welt des Urknalls
So sehen die Bilder aus, die die Detektoren schießen. Beim Zusammenprall von Protonen, wie hier am CMS Detektor, oder Blei-Ionen, die mit Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen, werden die kleinsten der Elementarteilchen freigesetzt - zum Beispiel das jüngst gefundene Higgs-Boson. Es sind Teilchen, aus denen unser Universum in der ersten Billionstel Sekunde nach dem Urknall bestand.
Bild: 2011 CERN
Eisenbahn für Lichtgeschwindigkeiten
In diesem Rohr werden Blei-Ionen und Wasserstoff-Protonen beschleunigt. Sie fliegen durch eine Vakuumröhre mit der Energie eines Schnellzuges. Elektromagneten halten sie in ihrer Bahn. Das Rohr hat einen Umfang von 27 Kilometern. Es liegt unter der Schweiz und Frankreich. Zugänge zu dem Röhrensystem gibt es bei den vier großen Detektoren. Dort finden auch die Teilchenkollisionen statt.
Bild: DW/F.Schmidt
Nicht eins, sondern zwei Rohre
Unter der blauen Ummantelung verbergen sich zwei Rohre, denn die Teilchenströme sollen ja gegeneinander laufen. Obwohl die Protonen und Ionen aus Sicht der Außenstehenden jeweils mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu fliegen, treffen sie nicht mit doppelter Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Aus Sicht eines fliegenden Teilchens, nähert sich das andere nur mit einfacher Lichtgeschwindigkeit.
Bild: DW/F.Schmidt
Eiskühlung für Supraleiter
Die Elektromagnete, die den Teilchenstrahl auf Kurs halten, bestehen aus supraleitenden Spulen. Die Kabel werden auf -271,3 Grad Celsius heruntergekühlt, dann haben sie keinen elektrischen Widerstand mehr. Dazu braucht der Teilchenbeschleuniger viel flüssiges Helium, das hier durch die Rohre fließt. Das CERN betreibt damit den größten Kühlschrank der Welt.
Bild: DW/F.Schmidt
Magneten mit höchster Präzision
Der LHC ist kein präziser Kreis, sondern besteht aus geraden Strecken, unterbrochen von Krümmungen, an denen solche Magneten den Strahl umlenken. Die Elektromagneten sind extrem präzise: Kurz vor der Kollision fokussieren sie den Strahl so genau, dass zwei Protonen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit exakt treffen. Der Zusammenprall findet dann genau in der Mitte des Detektors statt.
Bild: DW/F.Schmidt
Alles musste durch dieses Loch
Die Detektoren sind so groß ist wie mehrstöckige Wohnhäuser. Aber sie mussten alle in vielen Einzelteilen in den Berg eingebracht werden, zum Beispiel durch diesen engen Schacht. Darunter liegt eine gigantische Kaverne, eine Grotte. Darin, wurde ALICE zusammengebaut - ähnlich wie ein Buddelschiff in einer Glasflasche.
Bild: DW/F.Schmidt
Digitalkamera mit 8000 Bildern pro Sekunde
Der ALICE-Detektor in geöffnetem Wartungs-Zustand: Im Betrieb treffen in seinem Zentrum die Ionenstrahlen aufeinander. Die dabei entstehenden Teilchen fliegen in verschiedene Richtungen durch mehrere Schichten von Silizium-Chips - ähnlich den Sensoren von Digitalkameras. Die Chips und andere Detektoren zeichnen die Wege der Teilchen auf. Pro Sekunde entstehen 1,25 Gigabyte an digitalen Daten.
Bild: DW/F. Schmidt
Elektromagnet macht Teilchen erkennbar
Dieser blaue Klotz ist ein riesiger Elektromagnet, ein wichtiger Teil des ALICE-Detektors. Das von ihm erzeugte Feld macht es überhaupt erst möglich, die bei der Kollision entstehenden Teilchen zu identifizieren. Je nachdem, in welche Richtung sie fliegen, können die Forscher zum Beispiel erkennen, ob sie positiv oder negativ geladen oder neutral sind.
Bild: DW/F.Schmidt
Flügel zum Einfang von Myonen
Der Atlas-Detektor hat ganz spezielle Messgeräte: Sogenannte Myon-Spektrometer. Wie große Flügel liegen sie außerhalb des Detektor-Kerns. Damit läßt sich ein schwerer Verwandter des Elektrons einfangen: Das Myon. Es ist schwer zu finden, weil es nur zwei Millionstel einer Sekunde besteht.
Bild: DW/F.Schmidt
Beobachtung aus sicherer Entfernung
Alle Detektoren haben solche Kontrollräume, wie hier ATLAS. Wenn der Teilchenbescheluniger im Betrieb ist, darf sich niemand in den unterirdischen Anlagen aufhalten. Ein außer Kontrolle geratener Protonenstrahl könnte 500 Kg Kupfer schmelzen. Durch austretendes Helium drohen Erfrierungen und Erstickungen. Außerdem kann der Teilchenstrahl Radioaktivität erzeugen.
Bild: DW/F. Schmidt
Wohin mit den vielen Bildern?
40 Millionen Mal pro Sekunde liefern die vier Detektoren Daten. Da nicht alle Kollisionen für die Wissenschaftler interessant sind, wird ausgefiltert: Am Ende bleiben gut 100 interessante Teilchenkollisionen pro Sekunde übrig. Das sind immer noch 700 Megabyte pro Sekunde - der Inhalt einer handelsüblichen CD. Alle Daten landen zunächst hier, im Rechenzentrum des CERN.
Bild: DW/F.Schmidt
Ein weltweites Computernetzwerk
Pro Jahr produziert das CERN so viele Daten, dass ein CD-Stapel von 20 Kilometern Höhe entstünde. Solche Band-Archive können zwar viele Daten aufnehmen, aber das reicht immer noch nicht aus. Die Daten werden deshalb weltweit verteilt: Über 200 Universitäten und Forschungseinrichtungen haben sich mit ihren Rechenzentren zu einem weltweiten CERN-Computernetzwerk zusammengeschlossen.
Bild: DW/F.Schmidt
Daten für die Menschheit
Teilchenphysiker aus der ganzen Welt haben Zugang zu den CERN-Daten. Das CERN versteht sich als Dienstleister für Universitäten und Institute, die Grundlagenforschung betreiben - als Gemeinschaftsprojekt für die ganze Menschheit.