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Gesellschaft

Die Insel rückt näher an den Kontinent

Patrick Große
6. Mai 2019

Seit 25 Jahren verbindet der Eurotunnel Großbritannien mit Europa. Er entwickelte sich zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Doch der Brexit könnte das Projekt der Annäherung zwischen Insel und Europa hart treffen.

Zug Eurotunnel Frankreich
Bild: Getty Images/AFP/D. Charlet

So wirklich wollten die Briten diesen Tunnel nicht. Eine militärische Invasion, illegale Migration, tollwütige Ratten - all das und noch viel mehr fürchteten sie auf ihrer Insel. Vor 25 Jahren eröffnete der Eurotunnel trotzdem. Am 6. Mai 1994 fuhren Königin Elisabeth II. und Frankreichs Präsident Francois Mitterand als erste unter dem Ärmelkanal vom französischen Calais ins britische Folkestone.

Europäische Jungfernfahrt

"Die Kombination aus französischem Elan und britischem Pragmatismus hat sich als sehr effektiv erwiesen", sagte die Königin vor der Jungfernfahrt. "Wir haben nun eine gemeinsame Landesgrenze", scherzte Mitterrand. Sie stiegen in ihren royalen Rolls-Royce, der wegen seiner Größe auf einen Shuttle für Busse und Wohnwagen gehoben wurde.

Fast 200 Jahre nach der ersten Idee: Queen Elisabeth und Francois Mitterrand eröffnen 1994 den EurotunnelBild: picture-alliance/empics/T. Ockenden

25 Minuten dauerte die allererste Überfahrt durch den Eurotunnel. "Großbritannien ist halt noch immer eine Insel", scherzte der damalige britische Premierminister John Major. Am Bahnhof in Folkestone stieg die Königin schließlich wieder aus dem Rolls-Royce. Mitgebracht hatte sie tatsächlich nur den französischen Präsidenten. Von tollwütigen Ratten war keine Spur zu sehen.

Plötzlich miteinander verbunden

Großbritannien und Frankreich hatten sich für das Projekt reichlich Zeit gelassen. Schon 1802 schlug der französische Minenarbeiter Albert Mathieu-Favier Machthaber Napoleon Bonaparte einen unterirdischen Tunnel für Pferdekutschen vor. Doch Napoleon konnte sich nicht festlegen und ließ mehr als 100 weitere Ideen entwickeln - von einer gigantischen Brücke bis zu Unterseerohren.

Doch während Napoleon einige Jahre später sein Waterloo erlebte, ging das Vorhaben Eurotunnel erst richtig los. 1855 gaben sein Nachfolger Napoleon III. und Königin Viktoria den Auftrag für einen unterirdischen Tunnel. Die anfänglichen Sorgen kamen aber schnell zurück. Aus "strategischen Gründen" der nationalen Sicherheit wurden die Bohrungen nach wenigen Jahren unterbrochen.

01.12.1990, 12:12 Uhr: Frankreich und Großbritannien sind ab sofort miteinander verbundenBild: picture-alliance/empics

90 Jahre und zwei Weltkriege später nahm das Projekt Eurotunnel einen neuen Anlauf. Großbritanniens Premierministerin Margaret Thatcher und Francois Mitterrand einigten sich auf einen zweispurigen Zugtunnel. Fortan bohrten 15.000 Arbeiter aus Großbritannien und Frankreich von beiden Seiten aufeinander zu. Am 1. Dezember 1990 um 12:12 Uhr durchbrachen Arbeiter von beiden Seiten die letzte Wand. Großbritannien und Frankreich waren von nun an miteinander verbunden. Doch die Annäherung hatte ihren Preis: Neun Arbeiter starben, sieben davon auf britischer Seite.

45 Meter unter dem Meeresboden

Was als verrückte Idee eines Minenarbeiters begann, ist heute der längste Unterwassertunnel der Welt. Vom Startterminal bis zum Ende ist er insgesamt 50 Kilometer lang, 37 Kilometer liegen unter Wasser. Er besteht aus drei Röhren, die bis zu 45 Meter tief unter dem Ärmelkanal verlaufen. Durch die äußeren Röhren verläuft je ein Gleis. Dazwischen befindet sich ein Sicherheitstunnel für Rettungsfahrzeuge.

50 Kilometer insgesamt, 37 Kilometer unter dem Ärmelkanal: Die Lage des Eurotunnels

Neben dem Passagierschnellzug Eurostar, der Paris, Brüssel und London verbindet, verkehren durch den Tunnel Shuttlezüge für Busse und Autos sowie Fracht-Shuttles für Lastwagen und herkömmliche Güterzüge. Rund 430 Millionen Menschen hat der Tunnelbetreiber seit der Eröffnung gezählt.

Tour de France in Gefahr

In dem Tunnel, getragen von französischem Elan und britischem Pragmatismus, gab es aber immer wieder Probleme. 2009 blieben sechs Eurostar-Züge im Tunnel liegen. Grund war das Wetter: In Frankreich herrschten Außentemperaturen von minus 15 Grad Celsius, im Tunnel 25 Grad im Plusbereich. Jeder Brillenträger kennt das Problem: Es entstand Kondenswasser, das dann in die Elektronik eindrang. Die Züge kamen damit nicht klar.

Nichts geht mehr: Probleme im Eurotunnel sorgten des Öfteren für lange StausBild: picture-alliance/Zumapress/G. Falvey

2014 brachte ein ähnlicher Vorfall sogar die Tour de France in Gefahr. Ein Zug blieb auf der Fahrt von Großbritannien nach Frankreich einfach liegen. Fast 400 Fahrgäste mussten evakuiert werden. Der Vorfall sorgte den ganzen Tag über für Verspätungen. Auch für die Teams der Tour de France, die am Abend für die nächste Etappe nach Frankreich reisen wollten.

Zuletzt machte der Eurotunnel 2015 mit einer Panne Schlagzeilen. Wegen eines Brands war der Bahnverkehr stundenlang zum Erliegen gekommen.

Zu Fuß unter dem Ärmelkanal

Die Angst vor illegaler Migration durch den Eurotunnel erwies sich jahrzehntelang als unbegründet. Erst nach der europaweiten Flüchtlingskrise im Jahr 2015 versuchten mehr Flüchtlinge nach Großbritannien zu kommen - auf kreative und gleichermaßen gefährliche Weise: Sie machten sich als blinder Passagier auf den Weg nach England - klammerten sich unter Lebensgefahr auf den Dächern von Lastwagen fest, versteckten sich in den Anhängern.

Flucht durch den Tunnel: Flüchtlinge im Sommer 2015 vor dem Zugang des Eurotunnels bei Calais, FrankreichBild: Reuters/P. Rossignol

2015 lief ein Flüchtling knapp 50 Kilometer weit durch den Tunnel, bis er schließlich entdeckt wurde. Zusätzlich zum Verletzungsrisiko habe der Flüchtling "alles verloren", sagte ein Sprecher des Eurotunnel. Er werde wegen des illegalen Einreiseversuchs in Großbritannien keinen Asylantrag stellen können. Statt sich weiter anzunähern, schottete Großbritannien sich schließlich wieder stärker ab. Die Behörden rüsteten den Tunnel mit Spürhunden und Zäunen auf.

Mal wieder der Brexit

In Großbritannien gibt es unterdessen kaum ein anderes Thema mehr als den Brexit. Auch der Eurotunnel steht im Fokus des Brexit-Streits. Denn im Falle eines ungeregelten Austritts des Vereinigten Königsreichs aus der EU würde sich die Region um Folkestone und um das benachbarte Dover schnell zum Nadelöhr entwickeln.

Zurück zu den Wurzeln: Großbritannien setzt im Vorfeld des Brexit wieder stärker auf FährenBild: Getty Images/AFP/P. Huguen

Ob Gemüse, Autoteile oder Medikamente: Die unterschiedlichsten Waren werden im Eurotunnel oder mit Schiffen transportiert. Wegen nötiger Zollkontrollen würden Prognosen zufolge bei einem Brexit ohne Abkommen mehr als 10.000 Laster in kurzer Zeit auf britischer Seite in Mega-Staus steckenbleiben. Empfindliche Waren könnten unbrauchbar werden.

Großbritannien sorgt darum vor und setzt wieder auf den guten alten Weg über den Ärmelkanal: Laut des Senders BBC hat die Regierung Verträge mit Reedereien abgeschlossen, um zusätzliche Fährverbindungen zum Festland zu sichern.

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