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PolitikEuropa

Eurotunnel: "Symbol der Nähe" - trotz Brexit

31. Dezember 2020

Als vor 30 Jahren der Eurotunnel erstmals Frankreich und Großbritannien verband, war von Brexit keine Rede. Ein Tunnelbauer von damals erinnert sich - und wundert sich über die Briten. Aus Calais Bernd Riegert.

Frankreich, Calais I Eurotunnel
Schwer eingezäunt, um Migranten fernzuhalten: Einfahrt zum Kanaltunnel in CalaisBild: Bernd Riegert/DW

Der Eurotunnel - ein festes Band

01:08

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Wehmütig steht der 67 Jahre alte ehemalige Tunnelbauer Phillippe Cozette auf einer Straßenbrücke in Coquelles, von der man die Einfahrt zum Eisenbahntunnel unter dem Ärmelkanal sehen kann. Alle halbe Stunde schlängeln sich Hunderte Meter lange silberne Züge mit Lkw und Pkw beladen in die Röhre Richtung Großbritannien oder kommen aus dem 40 Kilometer langen Bauwerk hervor. Phillippe Cozette hat vor 30 Jahren, am 1. Dezember 1990, den Durchbruch im Tunnel mit einem Presslufthammer ausgeführt.

Phillippe Cozette vor der Tunneleinfahrt: Viel hat sich verändert in 30 JahrenBild: Bernd Riegert/DW

"Wir hatten Tränen in den Augen. Die erste Landverbindung zwischen den Nachbarstaaten Frankreich und Großbritannien", erinnert sich Cozette. Der Mann, der die riesigen Bohrmaschinen im Tunnel manövriert hat, kann die Brexit-Entscheidung der Briten nicht verstehen. "Sie werden um 50 Jahre zurückgeworfen, aber ich respektiere ihre Entscheidung", sagt er auf der Brücke über den Eisenbahnschienen. "Sie haben sich entschieden, aber die Züge werden weiter fahren. Der Tunnel bleibt ein Symbol der Nähe, auch wenn die Briten sich entfernen wollen." 

Britischer Tunnelbauer ist Brexiteer

Vor zwei Monaten hat Phillippe Cozette mit Graham Fagg telefoniert. Der britische Tunnelbauer Fagg ist der Mann, der Cozette vor 30 Jahren beim Durchbruch von der anderen Seite entgegenbuddelte. Das Foto von den beiden Männern, die sich unter dem Ärmelkanal das erste Mal die Hände reichten, hat Geschichte gemacht. "Er hat mich damals auf Französisch begrüßt und gesagt: Guten Tag, mein Freund."

Graham Fagg (li.) und Phillippe Cozette 1990: Die letzen Felsen durchstoßenBild: picture-alliance/empics

Diese Freundschaft besteht bis heute, meint Phillippe Cozette, auch wenn Graham Fagg 2016 für den Brexit gestimmt hat. Die Europäische Union, erklärte Fagg später zur Begründung, sei ein Monstrum geworden, das alles beherrschen wolle. "Das ist Politik. Ich respektiere seine Meinung", winkt Cozette heute ab.

Bei ihrem letzten persönlichen Treffen im Januar, bevor die Corona-Pandemie weitere Begegnungen unmöglich machte, haben die beiden herzlich gelacht über die alten Fotos und Videos vom gemeinsamen Tunneldurchbruch. Irgendwann, wenn die Pandemie vorbei ist, will Phillippe Cozette auch wieder nach Großbritannien fahren. "Natürlich durch den Tunnel und nicht mit der Fähre", fügt er lächelnd hinzu. 

Denkmal für die Tunnelbauer in Coquelles: Der Bohrkopf erinnert an die britische FlaggeBild: Bernd Riegert/DW

"Wir werden uns auch an den Brexit gewöhnen", hatte Phillippe Cozette im Januar zu Graham Fagg gesagt. Der Tunnel als Verkehrsverbindung ist weiterhin unverzichtbar. 2019 haben nach Angaben der Betreibergesellschaft Getlink 120.000 Züge den Kanal unterquert. Täglich waren bis zu 6000 Lastwagen Huckepack in den überdimensionierten Waggons der Tunnelzüge unterwegs.

Wegen der Corona-Pandemie und der derzeit besonders rigiden Reisebeschränkungen ist das Passagieraufkommen stark zurückgegangen. Die Abfertigungsanlage in Coquelles und das riesige Shoppingcenter, das rund um die Tunneleinfahrt entstanden ist, sind gähnend leer in diesen Tagen. Der Frachtverkehr läuft aber weiter. Vor allem verderbliche Waren werden durch den Tunnel nach Großbritannien geschafft. Etwa ein Viertel aller Importe nach Großbritannien passiert die Röhren. 

Leere Parkplätze vor der Tunnelabfertigung: Wegen der Pandemie ist der Reiseverkehr eingebrochenBild: Bernd Riegert/DW

Ob und wie sich die neuen Bestimmungen nach dem Brexit auf die Reisedauer unter dem Kanal auswirken werden, ist unklar. Die Tunnelbetreiber versprechen, das die Züge mit 35 Minuten Fahrzeit die schnellste Verbindung zwischen dem Vereinigten Königreich und dem Kontinent bleiben werden.

Für Touristen und Migranten ändert sich wenig

Allerdings sind jetzt verstärkte Zoll- und Passkontrollen fällig. Briten brauchen zur Einreise in Frankreich einen Reisepass. EU-Bürger können bis September 2021 noch mit dem Personalausweis übersetzen, danach brauchen auch sie einen Reisepass. Internationale Führerscheine sind nicht notwendig. Für Fahrzeuge muss ein Versicherungsnachweis, die sogenannte grüne Karte mit geführt werden. Die Quarantänebestimmungen für mitreisende Haustiere werden verschärft. Da Großbritannien jetzt ein Drittland ist, wird zollfreier Wareneinkauf an der Tunneleinfahrt möglich. All das ist im Post-Brexit-Abkommen geregelt, das am 1. Januar in Kraft tritt. 

Alltag am Tunnel: Migranten versuchen, auf einen Zug oder Lkw Richtung England aufzuspringen (August 2019)Bild: picture-alliance/dpa/B. Chibane

Für die Migranten, sie seit Jahren rund um Calais campieren, wird sich durch den Brexit vermutlich wenig ändern. Die Menschen versuchen nachts auf fahrende Züge aufzuspringen oder sich an Bord von Lkws zu schmuggeln, die mit den Zügen transportiert werden. Die Zahl der Migranten, die es durch den Tunnel schaffen, ist seit fünf Jahren rückläufig. Die Sicherheitsanlagen, Zäune, Kameras wurden massiv verstärkt. Französische und britische Grenzschützer patrouillieren und untersuchen einfahrende Lkws und Züge.

Trotzdem schätzen Hilfsorganisationen, dass in kleinen und größeren Lagern rund um Calais stets einige Hundert Migranten ausharren. Der Trend in diesem ersten Jahr nach dem Brexit war allerdings, mit dem Schlauchboot oder einem Kahn den Ärmelkanal zu überqueren. Trotz Brexit haben die französischen Behörden der britischen Regierung erneut zugesagt, Migranten verstärkt an der Überfahrt zu hindern. 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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