43 Länder schicken in diesem Jahr ihre Künstler zum Eurovision Song Contest nach Lissabon. Wer kann das weltweite Publikum überzeugen? Die Buchmacher haben schon ihre Quoten, die DW-Reporter vor Ort ihre Lieblinge.
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Unsere ESC-Favoriten 2018
Wann berührt ein Song den Zuhörer? Das ist schwer zu sagen, denn Geschmäcker sind verschieden. So auch die unserer ESC-Reporter Silke Wünsch und Rick Fulker, die hier ihre Favoriten vorstellen - ganz subjektiv natürlich!
Bild: picture alliance/AP Photo/A. Braastad
Silke: Mikolas Josef (Tschechien)
Das sind ja mal ganz andere Töne, die man da aus Tschechien hört! "Lie To Me" ist feiner Elektrofunk-Hiphop! Der Junge ist richtig gut, die Nummer witzig, und sie erinnert mich ein bisschen an Snoop Doggs "Drop It Like It's Hot". Nachdem Tschechien in der Vergangenheit unter "ferner liefen" fiel, ist hier vielleicht sogar eine Top Ten-Platzierung möglich.
Bild: Andres Putting
Rick: Ryan O’Shaughnessy (Irland)
Im Video tanzen zwei verliebte junge Männer durch die Straßen von Dublin. Die leise und leichte, luftige und langsame Ballade wurde aus mehr als 300 Liedern in Irland ausgewählt. Damit könnte Ryan O'Shaughnessy an die vielen irischen ESC-Triumphe in den 90er- Jahren anknüpfen.
Bild: Reuters/P. Nunes
Silke: Sennek (Belgien)
Belgien ist immer für eine Überraschung gut. Diesmal ist es die Sängerin Sennek, die mit einer warmen und kräftigen Soulstimme ihre Ballade "Matter Of Time" singt. Zunächst nichts Besonderes, dachte ich am Anfang des Songs. Aber im Refrain geht für mich die Sonne auf. Toller Song, tolle Stimme.
Bild: Andres Putting
Rick: Michael Schulte (Deutschland)
Die Tränen kommen, und sie sind echt und ehrlich. Das Lied hat alles: solide Struktur, einprägsamen Refrain, verständlichen Text und eine Botschaft, die jedem nahe geht weil er sie persönlich erlebt hat - den Verlust eines Familienmitglieds. Michael Schulte ist nicht nur sympathisch und sehr persönlich - er ist ganz klar ein Profi. Schwer, hier irgendwelche Defizite auszumachen.
Bild: Andres Putting
Silke: Alexander Rybak (Norwegen)
Der Titel des Songs ist Programm: "That's How You Write A Song" - so schreibst du einen Song - hat alles, was ein sommerlicher Gute-Laune-Popsong haben muss. Bei der Funky-Dance-Nummer bleibt man nicht still sitzen. Und den Sänger mit der Geige - den kennt man doch? Klar, er war 2009 schon mal ESC-Sieger. Wahrscheinlich wird er neben Netta aus Israel ganz oben mitspielen.
Bild: picture alliance/AP Photo/A. Braastad
Rick: Alexander Rybak (Norwegen)
Wieder bin ich mit Silke einer Meinung: Unmöglich, zuzuhören und nicht mitzuwippen - und dabei zu lächeln. Rybak hat einmal durch die höchste Punktzahl aller Zeiten ESC-Geschichte geschrieben. Er könnte es wieder zum Sieg schaffen. Sein Spiel auf imaginären schwebenden Strichlinie-Instrumenten ist süß, wenn auch kein neuer Effekt. Dann kramt er die echte Geige hervor: Aus und vorbei.
Bild: Andres Putting
Silke: AWS (Ungarn)
Jedes Jahr fahre ich für die DW nach Wacken, um von dem Metalfestival zu berichten. Die ungarische Band AWS würde da auch mal gerne spielen. Mit Recht, denn dort gehört sie hin. Die fünf Jungs werden das Publikum mit einem sehr lauten Rockbrett bewerfen, dass einem Hören und Sehen vergeht. Ich liebe es, wenn beim ESC auch solche Töne zu hören sind. Und deswegen: Pommesgabel und Headbangen!
Bild: Imago
Rick: AWS (Ungarn)
Mir ist Wacken zwar zu laut, aber: Lob für den extrem harten Punk-Rock-Sound und für den Mut, ein Lied in der Landessprache zu liefern. Im Video sieht man ausgelassenes Musizieren, spielende Kinder, lächelnde Gesichter. Erst später merkt man: Auch hier geht es um das Sterben. Die schnörkellose Botschaft: Alles ist endlich, wir sollen deshalb ein glückliches Leben führen.
Bild: Imago
Silke: Netta (Israel)
Was ist denn bitte das? Ein Vollweib, das gackert und singt und röhrt. Sie erinnert mich stark an Beth Ditto. Ihr Lied "Toy" über die selbstbestimmte Frau braucht zur Unterstützung keine Windmaschine oder brennende Kleider. Diese Frau ist einfach eine Granate. Daran ändert auch die etwas flache Textstelle "I'm not your toy you stupid boy" nichts. Kein Wunder, dass Netta Top-Favoritin ist.
Bild: Andres Putting
Rick: Netta (Israel)
Ja, was denn sonst? Frech und Konventionen trotzend strömen die Künstlerin und ihr Song unbändige Freude über das Anderssein aus. Das Lied fällt wirklich aus dem Rahmen, verblüfft anfangs durch schräge Tonart- und Rhythmuswechsel, entwickelt sich dann zur mitreißenden Tanznummer. Ich finde, die Botschaft "Ich bin nicht dein Spielzeug!" passt auch zur aktuellen Debatte über Frauenrechte.
Bild: Getty Images/F. Leong
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Silke Wünsch:
Es ist immer wieder eine Aufgabe, sich durch die 43 Titel des Wettbewerbs zu hören. Aber immer wieder stellt sich auch heraus: Zwischen der üblichen "ESC-Soße" - schmachtende Balladen, gewaltige Ethnosongs, dahingeträllerte Popliedchen - gibt es Ausreißer. Und einer hat es in diesem Jahr besonders in sich. Aus Israel kommt die Favoritin Netta, die mit einer äußerst eigenwilligen Gesangstechnik und ihrer einmaligen Erscheinung schon jetzt quasi gewonnen hat. Bei mir steht sie ganz oben.
Ich hätte sehr gerne noch weitere Songs mit in die Favoriten-Galerie aufgenommen, weil für meinen persönlichen Geschmack viele gute Lieder dabei sind. Potential hat etwa das italienische Duo Ermal Meta & Fabrizio Moro, das mit seinem Song "Non mi avete fatto niente" auf die grausamen Zustände in Syrien hinweist. Oder der niederländische Rocksänger Waylon, der mit "Outlaw In 'Em" ein lupenreines, erdiges Country-Rock-Stück abliefert.
Auch der Österreicher Cesár Sampson, der mit einer tollen Soulstimme und einem hinreißenden Gospelchor im Hintergrund auftritt, wird - nicht zuletzt auch wegen seines Aussehens - sicher eine gute Platzierung bekommen. Sein Song "Nobody But You" ist eine seidenweiche Soulballade. Gastgeber Portugal präsentiert die 23-jährige Cláudia Pascoal, die mit einer unglaublich zarten Stimme das kleine, leise Lied "O Jardim" singt - ähnlich wie der Vorjahressieger Salvador Sobral. Und schließlich ist auch "unser" Song, "You Let Me Walk Alone" von Michael Schulte ein Lied, das sich auf gar keinen Fall verstecken muss. Ich glaube fest an einen 15. Platz (mindestens!).
Rick Fulker:
Nachdem ich mir 43 Lieder zu Eigen gemacht habe, schwirrt mir der Kopf, und es ist vielleicht verständlich, dass die ersten, die ich gehört habe, tendenziell nach oben in meiner Favoritenliste rangieren. Es ist immer so, dass der Erfolg des ESC-Vorjahres auf den aktuellen Jahrgang ausstrahlt, und Salvador Sobrals Liebesballade findet in diesem Jahr viele Nachahmer, erfrischenderweise öfters in der jeweiligen Landessprache. Dabei ist auch eine Menge Vernachlässigbares, das wohl nur für diesen Anlass gemacht wurde und sehr bald wieder aus dem Gedächtnis verschwinden wird.
Mein Preis für den lächerlichsten Text im aktuellen Jahrgang geht an Aserbaidschan. "As you hold me as you beam … Misty moon I'm your loon … I cross my heart, I'm stronger than cannonballs." ("Wenn du mich hältst, während du strahlst.... Nebliger Mond, bin ich dein Verrückter... Ich schwöre, ich bin stärker als Kanonenkugeln.") Das ist kaum zu toppen.
Und Anerkennung für die größte Zahl an bunt-extravaganten Kleidern geht an Eleni Foureira aus Zypern. Elina Nechayeva aus Estland kommt dafür mit nur einem Kleid aus, aber was für eines: Es bedeckt die ganze Bühne und scheint durch Lichteffekte zu fließen, während die Sängerin in einer Sternenlandschaft mit den Armen wedelt: Eurovision-Kitsch vom Feinsten. Nechayeva ist Opernsängern und schafft die allerhöchsten Tonhöhen des Jahres, das Lied ist aber so überproduziert, dass die Stimme im Großklang dennoch fast untergeht.
Krieg und Terror als Themen
Es soll hier aber darum gehen, was wir gut finden. Nicht unter meinen Top-Fünf-Favoriten, dennoch beachtenswert, sind ein Lied im Stil von Jazz und Ethnofolk aus Georgien (Iriao: "For You") mit einem originellen Klang, der auf Tradition basiert.
Wer vergessen hat, wie es war, zum ersten Mal verliebt zu sein, darf noch einmal in das Gefühl eintauchen bei "Tu Cancion" mit Alfred & Amaia aus Spanien. Auch in der Landessprache, großartig!
Bewegende, ernste Bilder von Krieg, Terrorismus und Flüchtlingskrisen sind in den Beiträgen aus Frankreich und Italien zu sehen, und beide Songs sind auch musikalisch ernst zu nehmen.
Aus der ESC-Erfolgsfabrik Schweden kommt Benjamin Ingrosso, der nicht nur zwölfjährige Mädchen ansprechen dürfte. Die Produktion scheint perfekt, und den Refrain kriegt man nicht mehr aus dem Kopf raus. Die Niederlande bringen mit Wayson soliden, Freude verströmenden Country-Rock, und Mikolas Josef aus der Tschechischen Republik hat einen funkigen Elektrotitel, der aufhorchen lässt.
Aber für die unvermeidlichen fünf Besten aus meiner Sicht muss man auf die Galerie oben klicken.