Auf dem Weg zu betreutem Winterbergsteigen?
20. Januar 2022"Für welchen Stil man sich auch entscheidet, Winterexpeditionen auf Achttausender sind alles andere als Zuckerschlecken, und niemand, ohne Ausnahme, hat bei dieser Art des vertikalen Abenteuers leicht und häufig Erfolge gesammelt", schreibt Simone Moro auf Instagram. Der 54 Jahre alte Italiener muss es wissen. Der Profibergsteiger hat mehr als 20 Winterexpeditionen auf dem Buckel.
In seiner langen Karriere sind Moro vier der 14 Winter-Erstbesteigungen von Achttausendern gelungen, so viele wie keinem anderen Bergsteiger weltweit - allesamt ohne Flaschensauerstoff: 2005 an der Shishapangma (8027 Meter) in Tibet, 2008 am Makalu (8485 Meter) in Nepal, 2011 am Gasherbrum II (8034 Meter) in Pakistan und 2016 am Nanga Parbat (8125 Meter), ebenfalls in Pakistan. In diesem Winter versucht sich Moro zum vierten Mal in den vergangenen sechs Jahren in der kalten Jahreszeit am Manaslu im Westen Nepals. Seit Weihnachten ist er am Berg. Vor zwei Wochen gab es am Manaslu drei Meter Neuschnee. Ausläufer einer Lawine trafen das Basislager auf 4850 Metern, fast alle Bergsteiger hatten rechtzeitig das Lager verlassen und waren ins Tal abgestiegen.
Eine Kundin, sieben Begleiter
Dass Moro unterschiedliche Stile beim Winterbergsteigen an den Achttausendern anspricht, kommt nicht von ungefähr. Denn inzwischen hat das kommerzielle Bergsteigen auch im Winter Einzug gehalten. So will der nepalesische Veranstalter "Dolma Outdoor Expedition" in diesem Winter seine Kundin Tseng Ko-Erh, auch "Grace" Tseng genannt, auf den K2 (8611 Meter) bringen, den zweithöchsten Berg der Erde. Unter Leitung von Nima Gyalzen Sherpa sollen sechs erfahrene nepalesische und ein pakistanischer Bergsteiger die Route mit Fixseilen sichern und die 28 Jahre alte Taiwanesin auf den Gipfel führen - mit Flaschensauerstoff.
Der 36 Jahre alte Sherpa hat nach Angaben der Bergsteiger-Chronik "Himalayan Database" mehr als 20 Achttausender-Gipfelerfolge auf seinem Konto, acht davon am Mount Everest. Grace Tseng hat sich vorgenommen, als erste Taiwanesin alle 14 Achttausender zu besteigen. Im vergangenen Herbst stand sie mit Atemmaske auf dem Gipfel des Kangchendzönga (8586 Meter), ihrem fünften Achttausender. Auch bei dieser Expedition war sie die einzige Kundin, vier Sherpas standen ihr zur Seite.
Im Januar 2021 hatte ein zehnköpfiges nepalesisches Team den K2 erstmals im Winter bestiegen. Fünf erfahrene Bergsteiger waren in dieser Wintersaison ums Leben gekommen. Vor einem Jahr hatten sich neben Profibergsteigern auch mehrere Dutzend zahlende Kunden eines kommerziellen Veranstalters erfolglos an dem gefährlichen Berg im Norden versucht. Einige hatten ihr Abenteuer mit Erfrierungen an Fingern und Zehen bezahlt.
Extreme Bedingungen
Extrem tiefe Temperaturen, besonders niedriger Luftdruck, Stürme, Schneemassen - bis vor wenigen Jahren galt das Winterbergsteigen an den Achttausendern als viel zu anspruchsvoll und gefährlich für Amateurbergsteiger ohne ausreichende alpinistische Erfahrung. "Ice Warriors", Eiskrieger, wurden etwa ehrfurchtsvoll die polnischen Spezialisten genannt, die vor allem in den 1980er-Jahren die Winterszene beherrschten, als ihnen die sieben ersten Winter-Erstbesteigungen von Achttausendern gelangen. "Für mich ist das die Zukunft des Himalaya-Bergsteigens - die schwierigsten Routen unter den härtesten Bedingungen", schrieb damals Andrzej Zawada. Doch da unterschätzte der polnische Pionier, Expeditionsleiter der Winter-Erstbesteigung des Mount Everest 1980, das kommerzielle Potential des Bergsteigens an den höchsten Bergen der Welt.
"Die Berge gehören allen"
Nachdem sich die Basislager an den Achttausendern im Frühjahr und Sommer regelmäßig mit überwiegend kommerziellen Teams gefüllt hatten, schrieb ein nepalesischer Veranstalter 2018 auch erstmals eine Everest-Winterexpedition aus. Interessant war, dass die einleitende Passage abgeändert wurde: "Herzlich willkommen, aber du solltest erfahren sein", hieß es zunächst, dann: "Herzlich willkommen, wenn du einen weniger bevölkerten Everest und ein größeres Abenteuer erleben willst." Zu der Expedition kam es am Ende zwar nicht, doch der Startschuss war gegeben.
Inzwischen haben sich Winterexperten wie Simone Moro schon fast damit abgefunden, dass sie bei ihren Versuchen auch kommerziellen Teams begegnen können. "Die Berge gehören allen", sagte der Italiener zu Beginn seiner Manaslu-Expedition. "Deshalb kann ich nicht allen meine Wünsche oder meinen Stil aufzwingen." Ein Massenphänomen wird das kommerzielle Winterbergsteigen an den Achttausendern jedoch wahrscheinlich nicht. Dazu sind die Unannehmlichkeiten zu hoch und die Erfolgsaussichten zu gering, selbst wenn man - wie im Falle Grace Tsengs - auf geballte Sherpa-Power setzt.
Einsamkeit an Mount Everest und Nanga Parbat
Und so erleben zwei deutsche Bergsteiger in diesem Winter an unterschiedlichen Achttausendern einsame Bergriesen. Jost Kobusch hat den Mount Everest, an dem er sich zum zweiten Mal in der kalten Jahreszeit versucht, ganz für sich allein. Der 29-Jährige will - solo und ohne Flaschensauerstoff - den höchsten Berg der Erde (8849 Meter) besteigen: über den selten begangenen Westgrat und das Hornbein-Couloir, eine Rinne in der Everest-Nordwand. Nachdem er 2020 auf eine Höhe von knapp 7400 Metern gelangt war, hat er sich jetzt das Ziel 8000 Meter gesetzt. "Ich weiß nicht, was mich dort oben erwartet", sagte Kobusch. "Aber das ist ja auch das Spannende."
Auch der 43 Jahre alte deutsche Profibergsteiger David Göttler und sein ein Jahr älterer italienischer Teamkollege Hervé Barmasse sind in diesem Winter die einzigen Bergsteiger an einem Achttausender: In sauberem Stil - ohne feste Hochlager, Fixseile und Flaschensauerstoff - wollen sie den Nanga Parbat (8125 Meter) besteigen. Bei seinem ersten Winterversuch an diesem Achttausender war Göttler 2014 bis auf eine Höhe von 7400 Metern gelangt. Die Erfolgschancen seien "sehr gering, um ehrlich zu sein", sagte Göttler, "aber höher als null, solange wir uns hier befinden und es probieren."
Barmasse und er kehrten vor einer Woche auf 6400 Metern um und warten nun weiter auf eine Gipfelchance. "Die Isolation, die wir in den letzten Tagen empfanden, war immens", beschrieb Göttler auf Instagram die Gefühlslage nach ihrem ersten Vorstoß. Sie hätten "ein extremes Maß an Abgeschiedenheit und Bedeutungslosigkeit" empfunden, "das einem nur diese riesigen Berge vermitteln können. Das wiederum führt zu Demut und einem leichten Gefühl der Einschüchterung. Man wird sich bewusst, wie winzig und zerbrechlich wir sind. Aber gleichzeitig sieht man, wozu wir fähig sind, wenn wir aus unserer Komfortzone heraustreten."