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Politik

Das unrühmliche Ende einer politischen Ikone

Gabriel González Zorrilla
12. November 2019

Lange galt Bolivien als Hort politischer Stabilität in Lateinamerika. Doch mit dem Rücktritt von Präsident Evo Morales steht das Land inmitten landesweiter Unruhen vor einer ungewissen Zukunft.

Bolivien Evo Morales, Alvaro Garcia Linera, Diego Pary
Bild: picture-alliance/AP Photo/J. Karita

Der ehemalige Koka-Bauer und Gewerkschaftsführer Evo Morales, der erste Präsident des Landes mit indigener Herkunft, war 13 Jahre und neun Monate an der Macht - so lange wie kein anderer Staatschef in Lateinamerika. Angeschoben durch den Rohstoffboom und die Gas- und Mineralexporte des Landes wuchs die bolivianische Wirtschaft jährlich um rund 4,9 Prozent. Die Armut fiel laut Weltbank von 63 auf 35 Prozent und der Reichtum kam auch der Bevölkerung durch viele Sozialprogramme zugute.

Morales ist nur drei Wochen nach seiner umstrittenen Wiederwahl zurückgetreten und musste in Mexiko um politisches Asyl bitten. Der Sozialist hatte sich nach der Abstimmung am 20. Oktober zum Sieger in der ersten Runde erklärt, obwohl die Opposition und internationale Beobachter erhebliche Zweifel anmeldeten. Seine Gegner warfen ihm Wahlbetrug vor. Das Ende eine Ära?

"Ich bin mir nicht so sicher, ob dies wirklich das Ende von Evo Morales ist", sagt Günther Maihold, Lateinamerikaexperte und stellvertretender Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, der DW. "Wir haben in Lateinamerika gerade eine Tendenz, dass ehemalige Staatschefs wie Phoenix aus der Asche wieder aufsteigen und die alten Polarisierungen wieder aufleben lassen, wie wir es gerade beim brasilianischen Ex-Präsidenten Lula erleben." Morales habe seine Anhänger ja dazu aufgerufen, weiter auf die Straße zu gehen, und gesagt, dies sei noch nicht das Ende.

Es ist für Maihold bemerkenswert, dass Evo Morales von seinen "eigenen Leuten", zu Fall gebracht wurde. "Er hat sich in den vergangenen Jahren intensiv auf das Militär gestützt. Die Militärführung, die er selbst ausgesucht hat, war letztlich die, die ihm die entscheidende Unterstützung entzogen hat." Von einem "Staatsstreich" zu sprechen, wie dies etwa der brasilianische Ex-Präsident Lula da Silva, der designierte argentinische Präsident Alberto Fernández, und auch der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn tun, sei aber abwegig, meint Maihold: "Der Diskurs des Staatsstreichs wird von Links und Rechts je nach Bedarf mobilisiert". Dies sei wie schon während der jüngsten Proteste in Chile und auch in Ecuador ein beliebter Vorwurf gewesen, um davon abzulenken, dass man die Kontrolle über das Land verloren habe.

Der Sündenfall des Evo Morales

Doch was genau hat den Niedergang von Evo Morales ausgelöst? Maihold sieht den Wendepunkt in der Missachtung des Referendums von 2016. Morales wollte sich damals die Erlaubnis von der Bevölkerung einholen, noch ein weiteres Mal kandidieren zu dürfen, obwohl dies in der Verfassung nicht vorgesehen ist. Doch die Bolivianer stimmten gegen eine Änderung dieser Regelung. "Morales hat die Entscheidung der Bevölkerung nie angenommen", sagt Maihold. Befördert durch ein Umfeld, das er sich selbst geschaffen hatte, und in dem er schalten und walten konnte, wie er wollte, sei er einer "Perversion der Macht" verfallen, deren stärkster Ausdruck eine "Illusion der Allmächtigkeit" gewesen sei. Schließlich ebneten die mit regierungsnahen Richtern besetzten Gerichte den Weg für eine weitere Amtszeit Morales'.

Morales hat die Entscheidung der Bevölkerung im Jahre 2016 nie akzeptiertBild: picture-alliance/dpa/J. Karita

Auch für Moira Zuazo, Bolivien-Expertin am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, ist das Referendum von 2016 der Scheidepunkt hin zur Krise von heute. "Dieses Ereignis hat den Boden bereitet für das wachsende Misstrauen, nicht nur gegenüber Morales, sondern gegenüber der ganzen politischen Klasse." Doch die Forscherin meint, dass die Machterosion schon früher ihren Anfang nahm. "Was schon vorher zerbrach, war die Allianz der Kokabaueren und der Indigenas, beide wesentliche Säulen der Macht und Popularität von Evo Morales." Mit ausgelöst haben den Bruch der umstrittene Bau einer Fernstraße, die durch das indigene Naturschutzgebiet Tipnis führen sollte. Auch die Brände im Amazonas hätten zu einer Entfremdung dieser beiden für Morales so wichtigen Stützen seiner Macht beigetragen, sagt Moira Zuazo im DW-Gespräch.

Aline-Sophia Hirseland, Forscherin am Hamburger GIGA-Institut für Lateinamerika-Studien, warnt davor, die Sensibilisierung der Bevölkerung seit der Wiederkehr zur Demokratie 1982 zu unterschätzen. "Die Bolivianer haben sich dagegen gesträubt, dass die Regierung von Evo Morales zunehmend jedes Mittel genutzt hat, um an der Macht zu bleiben". Morales habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt, und den richtigen Moment verpasst, um abzutreten, so Hirseland.

Wie steht es nun um die Opposition?

Die Opposition scheint mit dem Rücktritt des Präsidenten zwar ihren wichtigsten Erfolg zu feiern, könnte damit aber auch ihre größte gemeinsame Basis verloren haben. "Die Negativkoalition hat sich zusammengefunden, um ihn loszuwerden, sie verfügt aber über kein Positivprogramm", stellt Günther Maihold fest. Aufseiten der Regierungsanhänger sieht es aber auch nicht gut aus, meint Aline Hirseland. Morales habe den großen Fehler begangen keinen Nachfolger aufgebaut zu haben. "Es ist völlig ungewiss, wer jetzt die MAS-Partei anführen soll. Sie steht und fällt mit der Person Evo Morales, und der ist jetzt weg."

Der oppositionelle Carlos Mesa scheint nicht das nötige Vertrauen auszustrahlen, um das Land aus der Krise führen zu können. "Carlos Mesa war schon immer etwas blass. Er ist ein rationaler Typ, aber nicht besonders charismatisch", bemerkt Hirseland. Der andere Oppositionsführer, Luis Camacho, Unternehmer und Präsident des Bürgerkomitees der Stadt Santa Cruz, ist weitaus emotionaler und hat sich gerade in den letzten Wochen geschickt in den Vordergrund gespielt. "Camacho kann zwar laut sein, hat aber keine Partei und somit in der politischen Landschaft eigentlich keinen festen Platz".

Personenkult als Grundübel lateinamerikanischer Politik.Bild: picture-alliance/dpa/EPA/M. Alipaz

Zur Diversität der oppositionellen Landschaft kommt noch die Unsicherheit über die kommenden Schritte hin zu Neuwahlen. "Als Allererstes muss das Wahlgericht erneuert werden", erklärt Maihold. Das Oberste Wahlgericht hatte noch in der Wahlnacht die Schnellauszählung der Wahl gestoppt. Die Resultate deuteten auf eine Wahlniederlage von Morales hin. Als die Auszählung einen Tag später wiederaufgenommen wurde, lag der Präsident plötzlich viel weiter vorn.

Personalisierung als Grundübel

Eine Überwindung des Machtvakuums in der Regierung und eine Rückkehr zur politischen Stabilität scheint auch dadurch erschwert zu werden, dass die Anhänger von Evo Morales über die Regierungspartei MAS auf institutioneller Ebene weiterhin viele Schlüsselpositionen besetzt halten. "Die entscheidende Frage lautet, ob es eine Übergangsregierung geben kann in der sich alle politischen Kräfte des Landes unter Einschluss der MAS-Partei zusammenfinden können, um einen Neuanfang zu wagen, oder ob die gegenwärtigen Amtsinhaber versuchen, diesen Prozess zu verlangsamen", so Maihold.

Die grundsätzlichen Probleme in Bolivien liegen aber wohl tiefer. "Durch die Personalisierung der Politik ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen massiv gesunken". Wenn Institutionen so gedreht und gewendet werden können, wie eine politische Führungsfigur es gerne hätte, dann gilt das auch für jeglichen Nachfolger, meint Günther Maihold. Auch für die Forscherin vom Giga-Institut ist die personenbezogene Politik, sowohl in Bolivien, aber auch in anderen Ländern Lateinamerikas, das entscheidende Problem. "Im Grunde war Evo Morales der beste Präsident, den Bolivien je hatte, aber es ist bedauerlich, dass er niemanden neben sich zugelassen hat", so Aline-Sophia Hirseland. Er habe damit sein eigenes Erbe kaputtgemacht.