Ex-Außenminister Russlands: Die Ukraine braucht mehr Waffen
14. Mai 2025
DW: Herr Kosyrew, wie sieht Ihre Prognose für die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul aus, die am 15. Mai stattfinden sollen?
Andrei Kosyrew: Ich würde mich sehr freuen, wenn ich mich irre, aber sie scheinen leider reine Zeitverschwendung zu sein. Es gibt keinen Grund dafür, dass diese Verhandlungen, wer auch immer an ihnen teilnimmt, von irgendeinem Erfolg gekrönt sein könnten.
Die einzige Möglichkeit, Wladimir Putin aufzuhalten und ihn tatsächlich zu normalen Verhandlungen und zu Überlegungen über ein Ende der Intervention zu bewegen, besteht darin, die Ukraine - wie es US-Präsident Donald Trump mitunter formuliert - bis an die Zähne zu bewaffnen. Nur die ukrainische Armee, die ukrainische Wirtschaft und die Stärke des gesamten Landes können eine Hürde für weitere Aggressionen in Europa und die Fortsetzung dieses Krieges darstellen. Doch genau das geschieht nicht.
Es wird vermutet, dass Putin durch den diplomatischen Austausch der letzten Wochen unter Zugzwang geraten ist. Und dies zu einem Zeitpunkt, als Trump bereits erklärte, Putin führe ihn an der Nase herum. Und dass sich die Dinge insgesamt ganz anders entwickelten, als Putin es sich vorgestellt hatte. Sehen Sie das auch so?
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Trump wirklich bereit ist, etwas Konkretes zu unternehmen, also zumindest Wirtschaftssanktionen zu verhängen. Obwohl sie nicht viel nützen würden. Doch nicht einmal das tut er, ganz zu schweigen von der Lieferung moderner Waffen, der Aufstockung der Militärhilfe usw.
Bisher sehe ich eines: Weder Trump noch irgendjemand sonst im Westen, unter den westlichen Verbündeten, ist bereit, das zu tun, was Russlands "östliche Verbündete" für Russland tun. Nordkorea und der Iran liefern Waffen und Raketen. Nordkorea beteiligt sich mittlerweile sogar direkt an der Intervention und entsendet Truppen. Und der Westen redet nur. Von welcher Art Bedrohung sprechen wir also? Putin hat sich an diese Drohungen gewöhnt.
Glauben Sie, die USA unter Trump wird ihre Politik ändern und die Ukraine stärker aufrüsten?
Natürlich könnten sie es tun, es ist nur eine Frage des politischen Willens. Aber sie haben Angst. Sie fürchten sich vor Putins nuklearer Erpressung. Doch Putin wird niemals wegen der Ukraine auf Atomwaffen zurückgreifen. Das ist reine Drohung. Die USA hatten Angst - und sie haben sie immer noch.
Der Westen hat gezeigt, dass er willensschwach ist. Er hat Waffen. Frankreich, Deutschland und Großbritannien verfügen über Waffen, die sie ziemlich schnell bereitstellen oder produzieren könnten, um den Verlauf dieses Krieges wirklich zu verändern und ihm sogar ein Ende zu setzen. Ich hoffe, dass Russland sich hinter seine Grenzen zurückzieht. Verhandlungen sind lediglich ein Ersatz für jegliche andere Maßnahmen.
Was meinen Sie als jemand, der sich derzeit in Washington aufhält: Ist Trump wirklich bereit, sich jeden Moment zurückzuziehen, die Ukraine zu vergessen und so zu tun, als gäbe es sie nicht auf der Landkarte?
Ich glaube, das würde er sehr gerne tun. Auch in seinem Umfeld gibt es viele, die am liebsten genau das täten: den Kopf in den Sand stecken wie ein Vogel Strauß und behaupten, Amerika komme an erster Stelle, man interessiere sich für nichts anderes, und Europa solle machen, was es wolle. Das zeugt von einem völligen Unverständnis für Amerikas Rolle als Anführer der freien Welt und für die amerikanischen Interessen insgesamt, auch die wirtschaftlichen. Das Einzige, was ihn davon abhält, ist die öffentliche Meinung, die in den USA mehrheitlich auf der Seite der Ukraine steht.
Störend für ihn ist auch, dass es zur amerikanischen Tradition gehört, Mitgefühl mit Demokratien zu zeigen, wenn sie sich gegen eine Diktatur verteidigen müssen. Wie in Europa gibt es auch im US-Kongress viele, darunter auch Republikaner, die zwar nicht offen gegen Trump sind, aber dennoch klar zu ihrer eigenen Haltung stehen. Es gibt eine Resolution zur Unterstützung der Ukraine - und die muss Trump respektieren.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow ist für die Verhandlungen in Istanbul angekündigt. Er war Ihr Stellvertreter und Sie sprechen sehr positiv über ihn. Doch welche Handlungsspielräume hat der Außenminister im aktuellen Machtgefüge des Putin-Regimes - gerade in der Rolle eines möglichen Friedensvermittlers? Was stünde ihm überhaupt offen?
Gar nichts. Denn jeder Außenminister, wie auch ich, als ich Minister war, setzt die Politik des Präsidenten um. In diesem Fall ist es ein Diktator. Der Außenminister dient dem Diktator, er dient nicht den Interessen Russlands. Ich denke, Lawrow ist sich sehr wohl darüber im Klaren, dass dieser Krieg für Russland eine fast ebenso große Katastrophe ist, wie für die Ukraine. Und auf lange Sicht ist es vielleicht sogar eine noch größere Katastrophe. Denn Russland verliert sich selbst, während die Ukraine in diesem heroischen Kampf zu sich selbst findet.
Andrei Kosyrew war von 1990 bis 1996 Außenminister unter Präsident Jelzin und lebt heute in den USA.
Das Gespräch führte Olga Tikhomirova