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Politik

Schrameyer: "Der Balkan braucht Harmonie"

1. August 2017

Mazedonien und Bulgarien haben am Dienstag einen "Vertrag über gute Nachbarschaft" unterzeichnet. Doch ein wichtiger Mitspieler fehlt, meint der ehemalige deutsche Botschafter in Skopje, Klaus Schrameyer.

Bulgarien Mazedonien Zaev bei Borissow in Sofia
Der mazedonische Premier Zoran Zaev (links) bei seinem bulgarischen Amtskollegen Bojko Borissow in Sofia Bild: Reuters/S. Nenov

DW: Wieso brauchen zwei Nachbarstaaten so einen Vertrag überhaupt? Hat etwa Deutschland solche Verträge mit den Niederlanden oder mit Frankreich?

Klaus Schrameyer: Deutschland und Frankreich haben am 22. Januar 1963 den Elysée-Vertrag abgeschlossen und damit die sogenannte Erbfeindschaft beendet. Mit den Niederlanden gibt es nur prosaischere Verträge - zum Beispiel über Grenzberichtigungen. Bulgarien und Mazedonien haben angesichts der Heftigkeit ihrer Auseinandersetzung einen solchen Vertrag dringend nötig. Dabei waren die meisten Fragen bereits in der Erklärung vom 22. Februar 1999 zwischen Ljubčo Georgievski, dem damaligen VMRO-DPMNE-Chef und mazedonischen Premier, und Ivan Kostov, dem damaligen bulgarischen Ministerpräsidenten, geregelt. Mit dem Wechsel der Chefs kam jedoch auch die Vernunft abhanden. Wie gut die alte Deklaration von 1999 war, zeigt die Tatsache, dass der neue Vertrag die meisten ihrer Artikel unverändert oder kaum verändert übernommen hat.

Welche Paragrafen finden Sie als Kenner der beiden Staaten und ihrer bilateralen Beziehungen am brisantesten? Wo sehen Sie einen deutlichen Fortschritt?   

Klaus Schrameyer begrüßt den Nachbarschaftsvertrag zwischen Mazedonien und Bulgarien Bild: DW/S. Padori-Klenke

Der entscheidende Fortschritt ist in den neuen Absätzen 2-3 des Artikels 8 des Vertrags enthalten. Er ordnet die Gründung einer "Gemeinsamen multidisziplinären Expertenkommission für historische und Bildungsfragen auf paritätischer Grundlage" an und entzieht damit endlich den Politikern die Deutungshoheit. Denn immer wieder hatten sich politische Meinungsverschiedenheiten an historischen Persönlichkeiten oder Ereignissen entzündet. Dies ist angesichts der langjährigen gemeinsamen Geschichte (bis 1912/1913 und während der bulgarischen Besetzungen Mazedoniens während beider Weltkriege) kein Wunder. Es war aber töricht, anstelle sachlicher Bewertungen durch Fachleute politische Bewertungen dominieren zu lassen. Dieser Fehler wurde jetzt mit der neuen Sachverständigenkommission beseitigt. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wurde ihr nach Artikel 8, Absatz 2 die Aufgabe übertragen, die gemeinsame Geschichte nach objektiven, authentischen und wissenschaftlichen Kriterien zu bewerten. Eine weitere entscheidende, der Versöhnung dienende Verpflichtung enthält Artikel 8, Absatz 3: Danach begehen die Vertragsparteien "gemeinsame Festlichkeiten gemeinsamer historischer Ereignisse und Persönlichkeiten". Ein Anfang wird am 2. August in Skopje gemacht: Die bulgarische Vizepremierministerin und Außenministerin Ekaterina Zaharieva wird zusammen mit ihrem mazedonischen Kollegen Nikola Dimitrov Kränze am Grab von Goce Delčev an der Kirche Sveti Spas in Skopje niederlegen (Anm. d. Red.: die Premierminister der beiden Länder werden auch an der Zeremonie teilnehmen).  

Schließlich ist auf Artikel 12 des Vertrags zu verweisen: Er sieht die Gründung einer gemeinsamen Regierungskommission unter den beiden Außenministern mindestens einmal pro Jahr vor. Sie soll für eine "effiziente Anwendung des Vertrags und die Verbesserung der bilateralen Zusammenarbeit sowie für die Lösung der Fragen sorgen, die während der Durchführung des Vertrags entstehen". Damit ist eine institutionelle Streitschlichtung eingerichtet.

Die Nationalisten in Bulgarien behaupten, der Vertrag sei eine Bankrotterklärung, Bulgarien würde mit diesem Vertrag seine eigene Geschichte streichen. Wie sehen Sie das?

Den Nationalisten wird man es nie recht machen können, weil sie glauben, die Vernunft gepachtet zu haben. Das Gegenteil wird der Fall sein: Der ganze Reichtum der gemeinsamen Geschichte wird erst aus der wissenschaftlichen und möglicherweise unterschiedlichen Betrachtung durch beide Seiten erkennbar werden.

Die Verfechter des Vertrags in Mazedonien behaupten, dass das Dokument eine solide Grundlage sei, auf der man weiter bauen könne. Die Gegner wiederum sind fest davon überzeugt, dass der Vertrag Mechanismen schafft,  die es den Bulgaren später ermöglichen sollen, Mazedonien zu erpressen. Die mazedonische Partei VMRO-DPMNE hat schon angekündigt, dass sie den Vertrag nicht unterstützen wird. Haben die guten Nachbarschaftsbeziehungen, angesichts solcher Aussagen, wirklich eine Zukunft?  

Die mazedonischen Nationalisten der heutigen VMRO-DPMNE haben das Land völlig ruiniert und in eine Sackgasse manövriert. Sie sollten froh sein, dass der neue Premier Zoran Zaev dem Land endlich wieder eine Chance für einen sinnvollen Neuanfang eröffnet.

Im Übrigen: Eine gemeinsame Geschichte zwingt zum Kompromiss, zur Gemeinsamkeit, zum Teilen - sie ist kein Spielplatz für Extremisten, die Geschichte als ihr Eigentum betrachten.

Der 1. August 2017 ist ein Freudentag für Bulgarien und Mazedonien, ein Festtag für den Balkan und die Staatengemeinschaft.

Doch zum vollen Glück fehlt ein Mitspieler: Athen. Es wäre schön, wenn sich Athen von dem Geist des neuen Vertrags inspirieren ließe und wenigstens seine Verpflichtungen aus dem Interimsabkommen von 1995 und dem Urteil des IGH von 2005 erfüllen würde. Der Balkan braucht endlich Zusammenarbeit, ja Harmonie, um all den ihm drohenden Gefahren zu trotzen.

Der deutsche Diplomat Klaus Schrameyer war unter anderem Botschafter in Skopje (Mazedonien) und ständiger Vertreter an der Botschaft in Sofia (Bulgarien).  

Das Gespräch führte Alexander Andreev.    

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