Ex-Weltmeister Rocchigiani tödlich verunglückt
2. Oktober 2018Graciano Rocchigiani kam als Fußgänger bei einem Autounfall in Italien ums Leben. Nach Angaben der italienischen Polizei ereignete sich der Unfall in dem Ort Belpasso bei Catania auf Sizilien. Der genaue Hergang müsse noch ermittelt werden. Laut italienischen Medienberichten sei Rocchigiani sofort tot gewesen.
"Man glaubt es nicht, mir ist ganz schaurig", sagte Ex-Weltmeister Henry Maske im ARD-Magazin Brisant. Zweimal hatte er sich im Ring mit Rocchigiani duelliert, "es waren harte Kämpfe, aber mit ihnen ist der gegenseitige Respekt gewachsen." Mit tränenerstickter Stimme fügte er an: "Deshalb ist es umso erschütternder und bewegender, dass er so gehen muss."
Jüngster deutscher Boxweltmeister
"Er war der talentierteste Boxer in den letzten 30 bis 40 Jahren in Deutschland, vom Talent höher einzuschätzen als Henry Maske", sagte Box-Promoter Wilfried Sauerland zu Rocchigianis 50. Geburtstag im Jahr 2013. Etwas mehr als 25 Jahre zuvor, am 11. März 1988, war der Stern des Profiboxers Rocchigiani aufgegangen. Vor 6000 Zuschauern prügelte der damals 24-Jährige in Düsseldorf den US-Amerikaner Vincent Boulware im Supermittelgewichts-Titelkampf der International Boxing Federation (IBF) windelweich und krönte sich zum jüngsten deutschen Boxweltmeister aller Zeiten.
Deutschland hatte nach Max Schmeling und Eckhard Dagge seinen dritten Champion im Profiboxen. Schon damals zeigte sich der typischer Stil des Rechtsauslegers mit dem harten linken Schlag: Sobald er sich bei einem Gegner "festgebissen" hatte, war er nicht mehr zu halten und malträtierte seinen Kontrahenten mit schnelle Schlagserien.
Spektakuläre Kämpfe gegen Maske und Michalczewski
Zur tragischen Gestalt wurde Rocchigiani zur Zeit des deutschen Boxbooms in den 1990er Jahren durch seine spektakulären Kämpfe gegen die damaligen TV-Lieblinge Maske und Dariusz Michalczewski. Beide Weltmeister hatte er am Rande einer Niederlage, verlor aber jeweils umstritten. In den Rückkämpfen war er dann jedoch chancenlos.
Am 22. März 1998 widerlegte Rocchigiani dann doch das Motto "They never come back" und krönte sich zum zweiten Mal in seiner Karriere zum Champion: Vor 9000 Zuschauern in der Berliner Max-Schmeling-Halle sicherte er sich durch einen Sieg gegen den US-Amerikaner Michael Nunn den WM-Titel des World Boxing Council (WBC) im Halbschwergewicht.
In die Schlagzeilen geriet Rocchigiani aber nicht nur durch seine sportlichen Erfolge, sondern auch durch seine oft aufbrausende Art und seinen Lebenswandel. Legendär war die Berliner Schnauze des gebürtigen Duisburgers. Der Sohn eines sardischen Eisenbiegers und einer Berlinerin polterte los - ohne Rücksicht auf Verluste. "Es gibt kluge und dumme Polen. Und du bist ein dummer Pole", beschimpfte er einst seinen Gegner Michalczewski. Verlor er umstritten, befand er: "Allet Beschiss, allet Schweine."
Achterbahnfahrt durchs Leben
Nach seinen Erfolgen stürzte er regelmäßig ab, verprasste dabei die verdienten Millionen und lebte eine Zeit lang von Hartz IV. "In der Vergangenheit habe ich mich oft wie auf einer Achterbahn gefühlt. Für kurze Zeit ganz oben, als strahlender Sieger, und dann plötzlich wieder ganz unten, am Boden zerstört. Einmal fand ich mich im Straßengraben wieder und dreimal auch im Knast", sagte der Bad Boy des deutschen Boxsports einmal.
Das ganze Drama seines Lebens wurde deutlich, als Ex-Ehefrau Christine ihre Autobiografie ("K.o. nach zwölf Runden") vor einigen Jahren veröffentlichte: Drogen, Prostituierte, häusliche Gewalt, Knast, Scheidung - Rocchigiani ließ keinen Skandal aus. Mehrmals musste der Mann aus Berlin-Schöneberg hinter Gitter - unter anderem wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung oder wiederholten Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Erfolg im Kampf gegen den WBC
Seine Ehefrau war auch dabei, als Rocchigiani einen der aufsehenerregendsten Prozesse in der Geschichte des Profiboxens führte - und gewann. Vier Monate nach seinem zweiten Titelgewinn 1998 hatte das WBC für einen Eklat gesorgt: Der Verband ernannte plötzlich den US-Amerikaner Roy Jones zum neuen Champion. Rocchigiani zog in den USA vor Gericht. Am Ende wurden ihm 31 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen. Dem WBC drohte der Konkurs, Rocchigiani stimmt 2004 einem Vergleich zu und bekam 4,5 Millionen Dollar. Es dauerte aber nicht lange, da war auch diese Summe durchgebracht.
Im Jahr 2008 versucht er noch einmal ein Comeback, das allerdings scheiterte. Seinen letzten offiziellen Kampf bestritt er 2003 gegen Thomas Ulrich. Insgesamt stieg Rocchigiani in seiner 20-jährigen Profikarriere 48 Mal in den Ring, 41-mal verließ er ihn als Sieger, davon 19-mal nach K.o.
Anfang des Jahres stieg er beim Fernsehsender Sport1 als Experte ein. "Es wird Zeit, dass mal wieder ein bisschen frisches Blut in die ganze Box-Geschichte kommt", hatte er sein Kommen angekündigt.
ww/wi (dpa, sid)