Der frühere Nissan-Chef Carlos Ghosn hat ein Interview bei Conflict Zone abrupt beendet. Der 2019 aus Japan geflohene Ghosn beklagte "böse Absicht" von DW-Moderator Tim Sebastian.
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Ex-Nissan boss Ghosn walks out of Conflict Zone interview
09:10
Carlos Ghosn war einst einer der mächtigsten Männer der globalen Autoindustrie. Die Geschichte seiner Verhaftung und seiner spektakulären Flucht aus Japan im Dezember 2019 machte weltweit Schlagzeilen.
In der DW-Interviewsendung Conflict Zone hat der ehemalige Manager nun das Gespräch darüber abrupt abgebrochen. Ghosn sagte, DW-Moderator Tim Sebastian spreche in "böser Absicht", nachdem dieser darauf hingewiesen hatte, dass Ghosn einige Wochen nach seiner Verhaftung im November 2018 in Japan mit der Presse habe sprechen dürfen.
Frei, zu reden?
Dies, so Sebastian, habe Ghosn die Möglichkeit gegeben, seine Unschuld zu beteuern und zu behaupten, er sei das Opfer eines ausgeklügelten Plans gewesen, der das Ziel gehabt habe, seinen Ruf zu zerstören. "Wenn Sie der Meinung sind, dass man mir die Chance gegeben hat, mit der Presse zu sprechen, haben Sie böse Absichten", entgegnete Ghosn aus Beirut, wo er heute lebt, nachdem er im Dezember 2019 in einer großen Kiste aus Japan geschmuggelt worden war.
Carlos Ghosn - der tiefe Fall eines Supermanagers
Carlos Ghosn galt lange als Star der Autobranche. Dann begann ein Wirtschaftskrimi erster Klasse samt Flucht in einer Kiste. Letzten Mittwoch der erste öffentliche Auftritt in Beirut. Seine Karriere in Bildern.
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Alleruzzo
Seine Sicht auf die Dinge
Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach seiner spektakulären Flucht aus Japan nach Beirut sagte Ghosn, er wolle vor allem "seine Ehre wiederherstellen". In Japan sei er "für schuldig gehalten" worden. "Entweder ich sterbe in Japan, oder ich entkomme irgendwie", sei seine Erkenntnis gewesen, sagt Ghosn. Er zeigt sich bitter enttäuscht über "das Land, dem ich 17 Jahre lang gedient habe."
Bild: Reuters/M. Azakir
Auf dem Höhepunkt der Macht
In seinen besten Zeiten war Carlos Ghosn ein Superstar der Autoindustrie. Dank ihm wurde das Bündnis zwischen Renault, Nissan und Mitsubishi zum zwischenzeitlich zweitgrößten Autobauer der Welt. Bis Januar 2019 war Ghosn Chef von Renault-Nissan-Mitsubishi und Vorsitzender des Renault-Verwaltungsrats. Bis zu seiner Festnahme steuerte er ein Reich mit 122 Fabriken und 470.000 Mitarbeitern.
Bild: AFP/E. Piermont
Der Weg nach oben
Ghosn wurde in Brasilien als Sohn libanesischer Einwanderer geboren, studierte an einer französischen Elite-Uni und begann sein Arbeitsleben beim Reifenhersteller Michelin. 1996 wechselte er zum französischen Autokonzern Renault, wo er wegen seiner radikalen Umstrukturierungen den Spitznamen "Kostenkiller" bekam. Er zeigte sich gerne mit den Mächtigen - hier dem französischen Präsidenten Macron.
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Retter von Nissan
1999 hatte sich Renault bei Nissan eingekauft. Zu der Zeit befand sich die japanische Industrie-Ikone in einer tiefen Krise. Zur Rettung wurde Ghosn, damals Vizepräsident bei Renault, nach Japan geschickt. In den folgenden 16 Jahren gelang es ihm, Nissan wieder in die erste Reihe der globalen Autoindustrie zu befördern. Später kaufte Nissan 34 Prozent vom japanischen Konkurrenten Mitsubishi.
Bild: AP
Goldene Zeiten für Ghosn
Seit 2001 war Ghosn Vorstandschef von Nissan. Ab 2005 war er zusätzlich Vorstandschef von Renault. Ende 2016 wurde er Verwaltungsratsvorsitzender von Mitsubishi Motors. 2017 wechselte Ghosn dann in den Verwaltungsrat bei Nissan. Allein im Geschäftsjahr 2017 bis 2018 verdiente er insgesamt 17 Millionen Dollar. Sein Vermögen wird auf 120 Millionen Dollar geschätzt. (im Bild: Ghosns Villa in Beirut)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Naamani
Alles ganz legal?
Ob das Gehalt für den Lebensstil überhaupt gereicht hat, ist unklar. Vorwürfe wurden laut. Nissan habe in Beirut eine Neun-Millionen-Dollar-Villa für Ghosn gekauft, Renault habe Teile der Kosten der Hochzeit von Ghosn im Schloss Versailles getragen. Außerdem soll er private Investitionsverluste auf Nissan übertragen haben. Einige Nissan-Manager stellten ab 2018 geheime Nachforschungen an.
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Der Vorwurf
Im November 2018 wurde Ghosn in Tokio festgenommen und angeklagt. Die Anklage spricht von Verstößen gegen Börsenauflagen und die Verschleierung des wahren Salärs des Nissan-Chefs. Er soll Geschäftsberichte gefälscht haben, indem er seine Vergütung um 80 Millionen Dollar zu niedrig angab. Zudem habe er Vermögenswerte des Konzerns genutzt, um sich persönlich zu bereichern. Ghosn bestreitet all das.
Bild: Reuters/Kyodo/N. Katsuyama
Ghosn als Opfer?
In einem Interview erklärte Ghosn Anfang 2019, die Anschuldigungen seien "Komplott und Verrat" von Nissan-Verantwortlichen. Aus Angst um ihren Job hätten sie ihn bei den Behörden angeschwärzt. Sie selber hätten in die eigenen Taschen gewirtschaftet. Im April 2019 wurde Ghosn unter strengen Auflagen auf Kaution aus der Untersuchungshaft in Japan entlassen, durfte das Land aber nicht verlassen.
Bild: picture-alliance/AP Photo/Kyodo
Inzwischen sind auch andere ins Zwielicht geraten
Hiroto Saikawa (Bild), Zögling von Ghosn und sein Nachfolger bei Nissan, trat im Herbst 2019 zurück und gab zu, Millionen Yen zu viel kassiert zu haben. Vizepräsident Hari Nada, einst Ghosns rechte Hand und Hauptinformant der japanischen Staatsanwälte, wurde wegen ähnlicher Vorwürfe im Oktober degradiert, aber nicht entlassen.
Bild: Reuters/I. Kato
Machtkämpfe zwischen Renault und Nissan
Wer bestimmt über wen? Die Japaner halten nur 15 Prozent der Renault-Aktien, die zudem ohne Stimmrecht sind. Renault hält dagegen 43 Prozent der Nissan-Anteile und möchte eine Fusion. Das schmeckt Nissan gar nicht, vor allem seit der französische Staat Ghosn vor ein paar Jahren den Auftrag gab, eine Fusion durchzuboxen. Nur Zufall? Der Sturz von Ghosn dürfte den Gegnern der Fusion gelegen kommen.
Bild: Getty Images/AFP/DSK
Ein Violinenkasten war's wohl eher nicht
Wie in einem Spionagethriller soll der 65-jährige Ghosn, versteckt in einer Musikinstrumentenkiste, mit einem Privatjet aus Japan geflohen sein. Dabei hätten ihm zwei Amerikaner geholfen. Die Kisten seien am Flughafen nicht durchleuchtet und nicht vom Zoll geöffnet worden. Ihr Ziel: der Libanon. Ghosn hat die französische, die brasilianische und die libanesische Staatsangehörigkeit.
Bild: Colourbox
Kaution ist wohl futsch
Nach der spektakulären Flucht in den Libanon behält der japanische Staat die hinterlegte Millionen-Kaution ein, so der Beschluss des Bezirksgerichts in Tokio. Nach Japan zurückkehren wird Ghosn wohl trotz der internationalen Suchanfrage von Interpol nicht - der Libanon hat kein Auslieferungsabkommen mit Japan.
Bild: picture-alliance/dpa/R. Moukarzel
Eine Autowelt nach Ghosn
Wie es mit der Autoallianz nach der Ära Ghosn weitergeht ist offen. Die Japaner sollten in den USA enorme Marktanteilsgewinne einfahren, was mit Rabatten und mitunter Qualitätsproblemen einherging. Mit diesen und anderen Problemen dürfen sich nun Ghosns Nachfolger beschäftigen: Nissans Gewinne sind eingebrochen, tausende Jobs auf der Kippe. Jahrelang war Nissan das Zugpferd - das ist nun vorbei.
Bild: picture-alliance/epa/F. Arrizabalaga
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Ghosn hatte zuvor eine Automobilallianz geleitet, zu der Nissan, Renault und Mitsubishi gehörten. 2018 war Ghosn in Tokio festgenommen und unter dem Vorwurf finanziellen Fehlverhaltens angeklagt worden. "Mir wurde jede Möglichkeit verweigert, zu reden, und das wissen Sie", sagte Ghosn nun. "Und wenn Sie die Frage stellen, bedeutet das, dass Sie böse Absichten haben, und wenn Sie böse Absichten haben, beenden wir die Diskussion hier", fügte er hinzu.
Interview im Januar 2019
"14 Monate lang wurde mir verboten, mit meiner Frau zu sprechen, mir wurde verboten, meine Familie zu sehen. Als ich eine Pressekonferenz in Japan organisieren wollte, wurde ich erneut verhaftet. Nachdem ich ein zweites Mal freigelassen wurde, sagte mir der Staatsanwalt, dass es mir frei stehe zu reden, aber es steht ihnen frei, weitere Anklagen zu erheben. Wenn Sie der Meinung sind, dass es mir frei stand zu reden - offen gesagt, bin ich der Meinung, dass Sie nicht ein Minimum an Gutwilligkeit haben", erklärte er.
Für den ehemaligen Konzernchef war es ein spektakulärer Absturz, der diverse straf- und zivilrechtliche Vorwürfe mit sich brachte. Ghosns Flucht vor der Justiz führte ihn in den Libanon, der kein Auslieferungsabkommen mit Japan hat. Der gebürtige Brasilianer besitzt auch die libanesische und französische Staatsbürgerschaft.
Im Juni bekannten sich zwei mutmaßliche Komplizen von Ghosn schuldig, ihm bei der Flucht aus dem Land geholfen zu haben.
Bevor er das Interview abbrach, kritisierte Ghosn das japanische Justizsystem scharf. "Ich werde gerne nach Japan gehen, um mich vor Gericht zu stellen, sobald es in Japan ein Justizsystem gibt, in dem die Verteidigung sich äußern darf", sagte er.
"Solange es einen Witz von einem Justizsystem namens Geiseljustiz gibt, werde ich mich auf keinen Fall der Maskerade einer Justiz aussetzen, der ich mehr als ein Jahr lang unterworfen war", fügte er hinzu.
Ghosn kritisiert französisches Justizsystem
Ghosn kritisierte auch Frankreichs Justiz, die ebenfalls gegen ihn ermittelt und rund 30 Millionen US-Dollar (25,2 Millionen Euro) seines Vermögens eingefroren hat.
"Ich habe die Tatsache kritisiert, dass sie sehr schnell mein Vermögen eingefroren haben, was die einzige Konsequenz hat, meine Verteidigung zu erschweren, weil man dabei offensichtlich eine Menge Rechnungen zu bezahlen hat", sagte Ghosn.
Nachdem der ehemalige Nissan-Manager das Interview abgebrochen hatte, sagte Gastgeber Sebastian, dass Ghosn die Einladung zur Rückkehr abgelehnt habe. "Es gibt harte Fragen, die beantwortet werden müssen, und wir hatten uns darauf gefreut, sie zu stellen", schloss Sebastian.