1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette in Berlin festgenommen

27. Februar 2024

Lange erschütterte der Terror der "Rote Armee Fraktion" die Bundesrepublik Deutschland. Nach jahrzehntelanger Fahndung wurde nun die Terroristin Daniela Klette gefasst. Ein Rückblick.

Bewaffnete Polizisten sichern den Eingang eines mehrstöckigen Wohnhauses
Zugriff in Kreuzberg: Daniela Klette lebte mit einem italienischen Pass mitten in berlinBild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Zugriff nach einer Jahrzehnte dauernden Flucht. In Berlin-Kreuzberg verhafteten Ermittler an diesem Montag die 65-jährige Daniela Klette. Sie wird beschuldigt, in den 1990er Jahren zur "Rote Armee Fraktion" (RAF) gehört zu haben und in den vergangenen 20 Jahren an einer Reihe von Raubüberfällen beteiligt gewesen zu sein. Seit über 30 Jahren suchten Ermittler nach Klette. Sie stand beim Bundeskriminalamt auf der Fahndungsliste bekannter Personen. Verhaftet wurde sie bislang nie.

Erst Anfang Februar hatte die Polizei eine neue öffentliche Fahndung nach Klette und den gleichfalls als "RAF-Rentnern" bezeichneten Burkhard Garweg (55) und Ernst-Volker Staub (69) gestartet. Eine Serie von Überfällen hatte die Behörde auf die Spur der Terroristen gebracht. Die Überfälle dienten keinem politischen Ziel. Sie dienten zur Finanzierung des - teuren - Lebens im Untergrund. Zunächst hatte die "Bild"-Zeitung über die Festnahme Klettes berichtet; Sicherheitskreise bestätigten Nachrichten-Agenturen den Fahndungserfolg.

Daniela Klette auf einem undatierten Fahndungsfoto der Polizei aus den 1990er JahrenBild: Polizei/dpa/picture-alliance

Damit wird deutlich: Geschichte ist die RAF und die von ihr knapp drei Jahrzehnte lang gelegte Blutspur quer durch die Bundesrepublik nach wie vor nicht. Und das, obwohl seit der Rückführung der 1977 entführten Lufthansa-Maschine "Landshut" nach Deutschland im Jahr 2017 die Musealisierung des linken Terrors konkret wird.

Die RAF ist vor allem deshalb noch nicht Geschichte, weil die zwischen 1970 und 1998 verübten Morde, Sprengstoffanschläge, Überfälle mit mehr als 30 Toten und über 200 Verletzten noch immer nicht vollständig aufgeklärt sind.

Agent Provocateur Peter Urbach

Zur fehlenden Aufklärung gehört auch, dass die Rolle des Verfassungsschutzes beim Abgleiten von Teilen der studentischen Protestbewegung in den Terror Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre bislang ungeklärt ist. Eine Schlüsselfigur spielt für den Hamburger Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar in diesem Zusammenhang der Verfassungsschutzagent Peter Urbach (1941-2011). Kraushaar führte vor einigen Jahren im DW-Gespräch aus: "Urbach hat eine wichtige - aber nicht abschließend zu beurteilende - Rolle gespielt bei der  Transformation von einem kleinen, aber harten Kern der damaligen Demonstrationsszene in militante Gruppierungen und letztlich in Zirkel, aus denen sich der Terrorismus dann herausgeschält hat."

Die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer prägte den "Deutschen Herbst" 1977Bild: picture-alliance/dpa/R.Scheidemann

Urbach wurde beispielsweise am 11. April 1968 in Berlin aktiv. An dem Tag war der Studentenführer Rudi Dutschke durch den Mordanschlag eines Rechtsradikalen lebensgefährlich verletzt worden. 2000 Studenten zogen aufgebracht zum Hochhaus des Springer-Verlags, der mit seiner Bild-Zeitung massiv gegen die Studentenproteste und Dutschke gehetzt hatte. Dort, berichtet der Hamburger RAF-Experte, hatte Urbach einen Weidenkorb dabei, in dem sich Molotowcocktails befanden, die er unter den wütenden Demonstranten verteilte.

"Nachdem man mit den ersten dieser Brandflaschen nicht das erreicht hat, was sie sich eigentlich vorgenommen hatten, dass nämlich diese Autos entflammten, hat Urbach ihnen gezeigt, wie man es machen müsse. Dann haben sie diese Fahrzeuge erst mal umgeworfen, so dass die auf der Unterseite liegenden Tanks besser erreichbar waren und haben sie dann dort entzündet. Dann sind die alle hintereinander in Flammen aufgegangen und ausgebrannt", schildert Kraushaar die Szene.

"Protestbewegung diskreditieren"

Der Verfassungsschutzagent sei es auch gewesen, der innerhalb der linken Protestszene als Erster Schusswaffen verteilt habe, fährt Kraushaar fort. Urbach ist für ihn ein Agent Provocateur, der maßgeblichen Einfluss auf die Aktionen der damaligen außerparlamentarischen Opposition hatte.

Pistole der RAF im Haus der Geschichte. Kam auch die vom Verfassungsschutz?Bild: Axel Thünker, Haus der Geschichte, Bonn

Woran sich die Frage anschließt, was den Berliner Senat und vermutlich auch die Westalliierten - die US-Amerikaner, Franzosen und Briten, die bis zur deutschen Wiedervereinigung in Westberlin Besatzungs- und Kontrollmacht waren - dazu bewogen hat, einem solchen Mann so freie Hand zu geben. Kraushaars Vermutung: "Man wollte besonders militant eingestellte Demonstranten dazu bringen, sich selbst und andere, letztlich aber die ganze links eingestellte, außerparlamentarisch agierende Bewegung, mit Gewaltakten zu diskreditieren." 

Verfassungsschutzbombe im Jüdischen Gemeindezentrum

Eins darf bei der Beschäftigung mit der RAF nicht vergessen werden: Sie war zwar die bekannteste, aber nicht die einzige linksterroristische Gruppierung. Da gab es unter anderen auch die "Revolutionären Zellen"; es gab die nach dem Tag der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg durch einen Polizeibeamten 1967 benannte "Bewegung 2. Juni"; und es gab auch die "Tupamaros West-Berlin".

Tatsächlich waren es die Tupamaros West-Berlin, mit denen der Terror in Deutschland eigentlich begann, erinnert sich der Historiker Michael Sontheimer: Mit einem - glücklicherweise durch Zufall gescheiterten - Bombenanschlag auf das mit 250 Menschen voll besetzte Jüdische Gemeindezentrum in Berlin, ausgerechnet am 31. Jahrestag der Reichspogromnacht, am 9. November 1969. Und wieder involviert: der Verfassungsschutz.

Sontheimer, der sich 2018 in dem Buch "Berlin - Stadt der Revolte" mit der Protestbewegung der späten 1960er Jahre auseinandergesetzt hat, sagte nach der Buchveröffentlichung der DW: "Das muss man sich mal vorstellen: Mit einer Bombe vom Verfassungsschutz, die dieser Peter Urbach besorgt hatte, wurde eine jüdische Einrichtung in Berlin angegriffen! Das ist der Start des Terrorismus in West-Deutschland, in West-Berlin."

Mitte Februar 2024: Fahndung im Wuppertaler HauptbahnhofBild: Gianni Gattus/Blaulicht Solingen/dpa/picture alliance

Jahrzehnte nach der blutigen Hoch-Phase des RAF-Terrors werden die Ermittler nun bei der Vernehmung Klettes und der Analyse ihrer Wohnung auch nach Erkenntnissen zu dieser Zeit suchen. Wie ernst die Sicherheitskräfte die Bedrohung durch die "RAF-Rentner" nach wie vor nehmen, zeigte sich Mitte Februar im Hauptbahnhof von Wuppertal. Dort hatte ein Passagier eines Regionalzugs die Polizei alarmiert, weil er meinte, im Zug den gesuchten Terroristen Staub entdeckt zu haben. Ein falscher Verdacht, wie sich Stunden später herausstellte. Aber vor der Festsetzung des Verdächtigen zogen die Fahnder rund um den Bahnhof hunderte Einsatzkräfte der Polizei und schweres Gerät zusammen.

Staub und Garweg sind nach wie vor in Freiheit - auf der Flucht oder incognito in einer unauffälligen Existenz. Auch Daniela Klette lebte mit einem italienischen Pass und einer falschen Identität. Die Fahnder identifizierten sie wohl durch Fingerabdrücke. Und fanden, wie es heißt, Munition in ihrer Wohnung.   

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen