'Zivis' in Russland
18. November 2009Sieben Uhr morgens: Dienstbeginn für Andrej Nasyrov. Er arbeitet im Kinderkrankenhaus von Perm, einer russischen Stadt am Ural. Andrej sieht zwar aus wie ein normaler Pfleger, doch er ist ein russischer Alternatiwschik. So werden in Russland die wenigen jungen Männer genannt, die als Zivildienstleistende arbeiten.
Länger arbeiten und weniger verdienen
Der 21-jährige Andrej hat den Dienst an der Waffe verweigert. Er sei gläubig und Gott verbiete, andere Menschen zu töten, sagt er. "Als ich darüber nachgedacht habe, in welche Richtung mein Leben gehen soll und ich vor der Entscheidung stand: Armee oder Zivildienst - da war für mich klar, dass ich das hier machen will."
Diese Entscheidung hat Konsequenzen: Ein Zivildienstleistender muss 21 Monate lang arbeiten - der Armeedienst dagegen dauert nur zwölf Monate. Auch die Bezahlung ist alles andere als gut: "Ich bekomme so um die 200 Euro pro Monat. Das geht dann komplett für Essen und Kleidung drauf. Bei der Armee hast du diese Ausgaben nicht, die werden ja voll versorgt, aber was soll's", sagt Andrej. Bereut hat er seine Entscheidung noch nicht.
Weit weg von der Heimatstadt
Zivildienstleistende in Russland sollen außerdem nicht in ihrer Heimat arbeiten. Es gilt ein so genanntes exterritoriales Prinzip: Ruslan Pschenko beispielsweise arbeitet als Zivildienstleistender bei der Moskauer Post - über 1000 Kilometer von seiner Heimatstadt entfernt. "Man schickte uns in ein Wohnheim und die Zustände dort waren nicht vereinbar mit dem, was uns per Gesetz zusteht. Acht bis zehn Leute schliefen in einem Zimmer, das zwölf Quadratmeter groß ist", sagt Ruslan. Per Gesetz stünden jedem Zivi aber sechs Quadratmeter zu und in einem Zimmer dürften höchstens drei Personen untergebracht sein.
Zuständig für die Organisation des Zivildienstes ist die russische Agentur für Arbeit und Beschäftigung. Der heimatfremde Einsatz der Zivis sei sinnvoll, sagt der Leiter der Abteilung für Zivildienst, Boris Demjankov. Im Süden Russlands beispielsweise gebe es für sie nur wenige Möglichkeiten zu arbeiten. Darum würden sie in andere Regionen geschickt, wo es Arbeit und Unterkünfte gebe. "Außerdem bemühen wir uns, für Verheiratete und Väter mit Kindern Einsatzmöglichkeiten in ihrem Heimatort zu finden. Das verbietet das Gesetz nicht."
Was ist ein echter Mann?
Wer Zivildienstleistender ist, muss auch mit dem Spott der anderen Russen zurecht kommen. Im Land herrscht ein ungebrochener Männlichkeitskult, der nur schwer mit einem sozialen Ersatzdienst in Krankenhäusern oder Altenheimen vereinbar ist. Doch Ruslan Pschenko weiß, wie er damit umgeht: "Der Zivildienst verändert einen auf jeden Fall zum Positiven. Darum sage ich immer, wenn ich von Kollegen blöd angeredet werde: Mag ja sein, dass die Armee erst einen Mann aus dir macht, aber zum echten Mann wirst du nur durch den Zivildienst."
Autor: Christoph Kersting
Redaktion: Julia Kuckelkorn