Wieder einmal haben die Teilchenphysiker am CERN einen bisher unbekannten Materiezustand ausfindig gemacht. Er besteht aus vier Charm-Quarks und ist wahrscheinlich der erste einer neuen Teilchenklasse.
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Am Teilchendetektor LHCb des großen Beschleunigerringes Large Hadron Collider (LHC) ist es Teilchenphysikern der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) gelungen, ein Tetraquark aus vier gleichen Quarks nachzuweisen. Das ist ein Teilchen, welches aus zwei sogenannten Charm-Quarks und zwei Anti-Charm-Quarks besteht.
Die Entdeckung haben die Forscher in einer Fachtagung präsentiert und am 1. Juli in einem nicht begutachteten Preprint auf arXiv veröffentlicht.
Quarks sind neben den Leptonen und Bosonen die kleinsten bekannten Elementarteilchen. Zu wissen, wie sich Quarks miteinander verbinden, ist Teil eines riesigen Puzzlespiels zur Lösung der großen Rätsel der Physik.
Dazu gehört etwa die Frage, was dunkle Materie ist und wie wir uns physikalische Beobachtungen erklären können, die nicht ins Standardmodell der Physik zu passen scheinen. Oder vielleicht findet sich sogar eine Weltformel der Physik.
Tetra- und Pentaquarks sind nicht völlig neu
Bis vor einigen Jahren war bekannt, dass sich Quarks typischerweise in Zweier- oder Dreiergruppen zu Hadronen verbinden. Bereits seit Jahrzehnten hatten Physiker in Modellen errechnet, dass es auch Teilchen mit vier oder fünf Quarks geben muss.
Auf die ersten Tetraquarks waren japanische und chinesische Forscher 2013 gestoßen. Am CERN konnten diese dann ein Jahr später auch gezeigt werden. Diese Tetraquarks bestanden aber aus anderen Quarks, als das jetzt gefundene Teilchen.
"Teilchen, die aus vier Quarks bestehen, sind schon exotisch. Das, was wir jetzt entdeckt haben, ist das erste, das aus vier schweren Quarks derselben Art besteht", erklärt Giovanni Passaleva, ein ehemaliger Sprecher des LHCb Projektes. "Bisher hatte das LHCb und andere Experimente nur Tetraquarks mit höchstens zwei schweren Quarks nachweisen können – und keine mit mehr als zwei Quarks desselben Typs."
2017 war es den LHCb-Teilchenphysikern übrigens gelungen, auch ein Pentaquark zu finden. Das ist ein Teilchen aus vier Quarks und einem Anti-Quark.
Pentaquarks und Tetraquarks können den Physikern helfen, eine der vier Grundkräfte der Physik besser zu verstehen: Die starke Kernkraft, die die Atome in sich zusammenhält.
Sie bindet Protonen, Neutronen und Atomkerne, aus denen die uns bekannte Materie besteht.
Die Entdeckung des Teilchens könne helfen, Modelle zu entwickeln, um "die Natur ordinärer Masseteilchen wie Protonen oder Neutronen zu erklären", fügte Passalevas Nachfolger Chris Parkes hinzu.
Riesiges Crash-Test Center für winzigste Teilchen
Die Forscher entdecken die neuartigen Teilchen – etwa auch das als Gottesteilchen bekannt gewordene Higgs-Boson , indem sie in einem riesigen ringförmigen Beschleuniger Teilchen mit annähernd Lichtgeschwindigkeit in einem starken Magnetfeld aufeinanderprallen lassen. Dabei zerfallen diese in ihre Einzelteile.
Mit gigantischen Detektoren – ähnlich den Photosensoren einer Digitalkamera – zeichnen die Physiker dann auf, in welche Richtung und wie weit die Fragmente der Atome auseinanderfliegen. Aus diesen Daten können sie die Eigenschaften der Elementarteilchen rekonstruieren.
Am LHC des CERN wurde zuerst ein Urknall simuliert, später das Higgs-Teilchen nachgewiesen: An dem Teilchenbeschleuniger prallen Ionen mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Kleinste Elementarteilchen entstehen.
Bild: DW/F.Schmidt
Mini-Urknall
Am 30. März 2010 führten Teilchenphysiker am Teilchenbeschleuniger (LHC) der Europäischen Organisation für Kernforschung einen Mini-Urknall vor. Gegner des Experiments hatten versucht, das gerichtlich noch zu verhindern, weil sie einen Weltuntergang fürchteten. Der kam dann aber nicht. Anstelle dessen gab es viele weitere spannende Entdeckungen.
2013 wurde dann das Higgs-Teilchen nachgewiesen: Im ATLAS-Detektor - einer riesengroßen Digitalkamera. Sie kann die kleinsten Bausteine des Universums fotografieren: Einzelteile der Atomkerne. Das Wandgemälde zeigt, wie groß ATLAS ist. Aber nur fast - denn das Original liegt gut 90 Meter tiefer und ist noch etwas größer.
Bild: DW/F.Schmidt
Helmpflicht für Teilchen-Fotografen
Vier Detektor-Kameras liegen entlang des Large Hadron Colliders (LHC), also des CERN-Teilchenbeschleunigers. Sie heißen ALICE, ATLAS, CMS und LHCb. Wer sie sehen will, muss tief hinunter in den Fels der Schweizer und französischen Alpen. Dort unten herrscht Helmpflicht, denn überall sind Rohre und Leitungen. Leicht kann man sich den Kopf stoßen, oder es fällt ein Werkzeug von oben herab.
Bild: DW/F.Schmidt
Bilder aus der Welt des Urknalls
So sehen die Bilder aus, die die Detektoren schießen. Beim Zusammenprall von Protonen, wie hier am CMS Detektor, oder Blei-Ionen, die mit Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen, werden die kleinsten der Elementarteilchen freigesetzt - zum Beispiel das jüngst gefundene Higgs-Boson. Es sind Teilchen, aus denen unser Universum in der ersten Billionstel Sekunde nach dem Urknall bestand.
Bild: 2011 CERN
Eisenbahn für Lichtgeschwindigkeiten
In diesem Rohr werden Blei-Ionen und Wasserstoff-Protonen beschleunigt. Sie fliegen durch eine Vakuumröhre mit der Energie eines Schnellzuges. Elektromagneten halten sie in ihrer Bahn. Das Rohr hat einen Umfang von 27 Kilometern. Es liegt unter der Schweiz und Frankreich. Zugänge zu dem Röhrensystem gibt es bei den vier großen Detektoren. Dort finden auch die Teilchenkollisionen statt.
Bild: DW/F.Schmidt
Nicht eins, sondern zwei Rohre
Unter der blauen Ummantelung verbergen sich zwei Rohre, denn die Teilchenströme sollen ja gegeneinander laufen. Obwohl die Protonen und Ionen aus Sicht der Außenstehenden jeweils mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu fliegen, treffen sie nicht mit doppelter Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Aus Sicht eines fliegenden Teilchens, nähert sich das andere nur mit einfacher Lichtgeschwindigkeit.
Bild: DW/F.Schmidt
Eiskühlung für Supraleiter
Die Elektromagnete, die den Teilchenstrahl auf Kurs halten, bestehen aus supraleitenden Spulen. Die Kabel werden auf -271,3 Grad Celsius heruntergekühlt, dann haben sie keinen elektrischen Widerstand mehr. Dazu braucht der Teilchenbeschleuniger viel flüssiges Helium, das hier durch die Rohre fließt. Das CERN betreibt damit den größten Kühlschrank der Welt.
Bild: DW/F.Schmidt
Magneten mit höchster Präzision
Der LHC ist kein präziser Kreis, sondern besteht aus geraden Strecken, unterbrochen von Krümmungen, an denen solche Magneten den Strahl umlenken. Die Elektromagneten sind extrem präzise: Kurz vor der Kollision fokussieren sie den Strahl so genau, dass zwei Protonen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit exakt treffen. Der Zusammenprall findet dann genau in der Mitte des Detektors statt.
Bild: DW/F.Schmidt
Alles musste durch dieses Loch
Die Detektoren sind so groß ist wie mehrstöckige Wohnhäuser. Aber sie mussten alle in vielen Einzelteilen in den Berg eingebracht werden, zum Beispiel durch diesen engen Schacht. Darunter liegt eine gigantische Kaverne, eine Grotte. Darin, wurde ALICE zusammengebaut - ähnlich wie ein Buddelschiff in einer Glasflasche.
Bild: DW/F.Schmidt
Digitalkamera mit 8000 Bildern pro Sekunde
Der ALICE-Detektor in geöffnetem Wartungs-Zustand: Im Betrieb treffen in seinem Zentrum die Ionenstrahlen aufeinander. Die dabei entstehenden Teilchen fliegen in verschiedene Richtungen durch mehrere Schichten von Silizium-Chips - ähnlich den Sensoren von Digitalkameras. Die Chips und andere Detektoren zeichnen die Wege der Teilchen auf. Pro Sekunde entstehen 1,25 Gigabyte an digitalen Daten.
Bild: DW/F. Schmidt
Elektromagnet macht Teilchen erkennbar
Dieser blaue Klotz ist ein riesiger Elektromagnet, ein wichtiger Teil des ALICE-Detektors. Das von ihm erzeugte Feld macht es überhaupt erst möglich, die bei der Kollision entstehenden Teilchen zu identifizieren. Je nachdem, in welche Richtung sie fliegen, können die Forscher zum Beispiel erkennen, ob sie positiv oder negativ geladen oder neutral sind.
Bild: DW/F.Schmidt
Flügel zum Einfang von Myonen
Der Atlas-Detektor hat ganz spezielle Messgeräte: Sogenannte Myon-Spektrometer. Wie große Flügel liegen sie außerhalb des Detektor-Kerns. Damit läßt sich ein schwerer Verwandter des Elektrons einfangen: Das Myon. Es ist schwer zu finden, weil es nur zwei Millionstel einer Sekunde besteht.
Bild: DW/F.Schmidt
Beobachtung aus sicherer Entfernung
Alle Detektoren haben solche Kontrollräume, wie hier ATLAS. Wenn der Teilchenbescheluniger im Betrieb ist, darf sich niemand in den unterirdischen Anlagen aufhalten. Ein außer Kontrolle geratener Protonenstrahl könnte 500 Kg Kupfer schmelzen. Durch austretendes Helium drohen Erfrierungen und Erstickungen. Außerdem kann der Teilchenstrahl Radioaktivität erzeugen.
Bild: DW/F. Schmidt
Wohin mit den vielen Bildern?
40 Millionen Mal pro Sekunde liefern die vier Detektoren Daten. Da nicht alle Kollisionen für die Wissenschaftler interessant sind, wird ausgefiltert: Am Ende bleiben gut 100 interessante Teilchenkollisionen pro Sekunde übrig. Das sind immer noch 700 Megabyte pro Sekunde - der Inhalt einer handelsüblichen CD. Alle Daten landen zunächst hier, im Rechenzentrum des CERN.
Bild: DW/F.Schmidt
Ein weltweites Computernetzwerk
Pro Jahr produziert das CERN so viele Daten, dass ein CD-Stapel von 20 Kilometern Höhe entstünde. Solche Band-Archive können zwar viele Daten aufnehmen, aber das reicht immer noch nicht aus. Die Daten werden deshalb weltweit verteilt: Über 200 Universitäten und Forschungseinrichtungen haben sich mit ihren Rechenzentren zu einem weltweiten CERN-Computernetzwerk zusammengeschlossen.
Bild: DW/F.Schmidt
Daten für die Menschheit
Teilchenphysiker aus der ganzen Welt haben Zugang zu den CERN-Daten. Das CERN versteht sich als Dienstleister für Universitäten und Institute, die Grundlagenforschung betreiben - als Gemeinschaftsprojekt für die ganze Menschheit.