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Politik

"EU-Hilfe für Energiesektor intensivieren"

Danilo Bilek
28. Oktober 2022

Russland zerstört zunehmend die ukrainische Energieversorgung. Wie wirkt sich das auf die Sicherheit der Ukraine und der EU aus? Was kann der Westen tun? Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut im DW-Gespräch.

Angriff an Lviv Ukraine
Angriff auf die Infrastruktur: Russische Bomben treffen die ukrainische Stadt LwiwBild: Pavlo Palamarchuk/ZumaPress/picture alliance

Seit zwei Wochen bombardiert Russland massiv die Energieinfrastruktur der Ukraine. Die Angriffe bezeichnete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner jüngsten abendlichen Videobotschaft als beispiellos. "Russische Terroristen haben so schwierige Bedingungen für unsere Energiearbeiter geschaffen, dass niemand in Europa jemals zuvor so etwas gesehen oder erlebt hat", betonte er und fügte hinzu, dass in vielen Städten und Regionen Notabschaltungen erforderlich seien, um den Energieverbrauch zu begrenzen. Selenskyj zufolge wurden allein in der ersten Woche der Angriffe 30 Prozent der Kraftwerke zerstört. Die Behörden fordern die Menschen auf, sich mit Wasser einzudecken und Strom zu sparen.

Welche Gefahren gehen von den Zerstörungen der Energieinfrastruktur vor dem Winter aus? Was unternimmt die EU? Die DW sprach mit Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

DW: Herr Fischedick, was kommt auf die Ukraine angesichts der massiven russischen Raketenangriffe auf die Energieinfrastruktur zu?

Manfred Fischedick: Wir sehen hier eine neue Dimension der Kriegsführung. Russland setzt jetzt massiv auf einen zentralen Pfeiler der Wirtschaft der Ukraine, der auch ein zentraler Verbindungspfeiler in Richtung Westen ist. Wie wir gesehen haben, wurden in kurzer Zeit 30 Prozent der Infrastruktur in der Ukraine angegriffen. Das ist natürlich mit Blick auf den Winter eine katastrophale Situation. Es ist zu befürchten, dass weitere Angriffe folgen. Es zeigt aber auch, wie verletzlich Wirtschaftsstrukturen sind, gerade was die zentrale Energieversorgung betrifft.

Welche Teile der Energieversorgung sind besonders wichtig für das Funktionieren einer Gesellschaft oder eines Staates?

Das ist zunächst die Erzeugung, das heißt die Kraftwerke oder die Gas- beziehungsweise Ölförderanlagen, dann aber vor allen Dingen natürlich die Transportinfrastrukturen, weil sie am wenigsten geschützt werden können. Beispielsweise kommen die Gasverteilsysteme in Deutschland, also die Fernleitungen und die Verteilnetze, zusammen auf über 500.000 Kilometer. Ein solches Leitungssystem kann man gar nicht komplett schützen. Man kann natürlich versuchen, mit digitalen Methoden, mit Sensoren und vielen anderen Dingen, sich weniger verletzlich zu machen. Das zeigt eben, wie verletzlich Systeme heute sind - und gerade eben auch die Energieinfrastruktur.

Manfred Fischedick sieht Deutschland und die EU gegenüber der Ukraine in der PflichtBild: Clemens Bilan/EPA-EFE

Sie haben Deutschland erwähnt. Wie wirken sich Ausfälle bei der ukrainischen Energieerzeugung auf die Energiesicherheit der EU aus?

Bisher war es erstaunlicherweise tatsächlich möglich, dass die Ukraine auch Strom nach Westeuropa geliefert hat. Das ist natürlich im Moment nicht mehr möglich. Vieles hängt davon ab, wie schnell die Reparaturen vorangehen können. Die Ukraine ist durchaus optimistisch, dass sie viele der Anlagen wieder in Betrieb setzen kann. Aber wir sind im Moment in einer Situation, wo die Stromversorgung insgesamt sehr, sehr kritisch aufgestellt ist und jeder Baustein, eben auch ein Import aus der Ukraine, hilft natürlich, die Versorgungssicherheit abzusichern. Insofern hat auch Europa ein Interesse daran, dass die Strukturen sehr, sehr schnell wieder aufgebaut werden. Unabhängig davon ist es für die Menschen in der Ukraine natürlich unglaublich wichtig, mit dem bevorstehenden Winter ausreichend Energie zur Verfügung zu haben.

Bringen diese Ausfälle der ukrainischen Energieerzeugung die EU jetzt in Gefahr?

Kurzfristig sicherlich nicht. Wir haben im Moment genügend Kapazitäten, aber wir haben es durchaus mit einem fragilen System zu tun. Wir haben eine ganze Reihe von Risikofaktoren. In Frankreich, wo derzeit die Hälfte der Kernkraftwerke stillliegt, haben wir jetzt zusätzlich einen Streik, der dazu führen wird, dass Atomkraftwerke, die eigentlich wieder in Betrieb gesetzt werden sollten, erst mehrere Wochen später in Betrieb gehen werden. Wir wissen nicht, wie kalt der Winter werden wird. Ein kalter Winter bedeutet mehr Strombedarf nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch in Ländern, die stark mit Strom heizen, wie Frankreich. Es gibt eine ganze Reihe von Risikofaktoren und deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung und die EU jetzt versuchen, über Ersatzmaßnahmen möglichst viele Kapazitäten wieder ans Netz zu bringen, sodass man für Versorgungsengpässe gut vorbereitet ist.

Die Ukraine hat bis zu den massiven russischen Angriffen Strom in die EU exportiert. Wie könnte die EU jetzt der Ukraine helfen?

Sie tut es ja schon, indem sie insbesondere Komponenten liefert, um die Infrastruktur wieder aufzubauen. Sie beteiligt sich sozusagen an den Reparaturarbeiten sowohl mit wirtschaftlicher Hilfe, aber natürlich auch mit den Technologien, die man braucht, um diese Anlagen wieder aufzubauen. Es gibt eine ganze Reihe von Hilfsmaßnahmen, die jetzt schon greifen, aber die natürlich mit der Dimension, die wir jetzt haben, nochmal intensiviert werden müssen.

Halten Sie einen Export von Energie in die Ukraine für möglich?

Ja, zeitweise durchaus schon, denn wir haben seit einiger Zeit eine Verbindung zwischen dem ukrainischen und dem europäischen Energiesystem. Das kann in beide Richtungen wirken. So, wie wir auch Gas aus der Ukraine bekommen, kann natürlich auch in die Gegenrichtung Gas geliefert werden und Strom genauso. Aufgrund der angespannten Situation, die wir insgesamt in Europa haben, muss man bei der Stromversorgung einiges dransetzen, dass das ukrainische System möglichst stabil bleibt und nicht zusätzlich Unterstützung braucht. Deswegen ist es wichtig, bei Reparaturmaßnahmen zu helfen, aber auch zu helfen, dass weitere Angriffe abzuwehren.

Hätte denn die EU genug Strom für den eigenen Bedarf, wenn sie noch welchen in die Ukraine exportieren würde?

Im Moment haben wir eine Situation, wo wir zuversichtlich sein können. Wenn aber viele Risikofaktoren zusammenkommen, also zum Beispiel die französischen Kernkraftwerke sehr, sehr spät oder gar nicht ans Netz gehen, weil sie wegen aufgetretenen Rissen zu risikobehaftet sind, oder wenn es einen sehr kalten Winter gibt, dann haben wir natürlich eine kritische Situation, wo wir dann froh sein können, wenn wir nicht allzu viel Strom zum Beispiel in die Ukraine liefern müssten. Insofern kommt wirklich vieles darauf an, die Systeme in der Ukraine möglichst schnell wieder aufzubauen, so dass eine Eigenversorgung möglich ist. Das hängt sehr stark davon ab, wie die Angriffe Russlands weitergehen und wie man sie abwehren kann. Man muss an beiden Seiten arbeiten und möglichst mit Technologien und Flugabwehr dafür sorgen, dass die Infrastruktur nicht weiter beschädigt wird.

Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick ist Energie- und Klimaforscher. Er ist Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und außerplanmäßiger Professor an der Schumpeter School of Business and Economics der Bergischen Universität Wuppertal. 

Das Gespräch führte Danilo Bilek.

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