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Politik

Experten fordern bedingungslose Hilfe für Iran

20. März 2020

Angesichts der Corona-Pandemie benötigt der Iran dringend medizinische Infrastruktur. Doch die fehlt, vor allem aufgrund der US-Sanktionen. Experten und Politiker fordern ihre Suspendierung.

Coronavirus In Iran
Schutzmaßnahmen im IranBild: picture-alliance/AP Photo/V. Salemi

Noch sind es nur Berechnungen, die Wissenschaftler der iranischen Scharif-Universität für Technologien im Hinblick auf das Coronavirus angestellt haben. Doch sie fallen auch im günstigsten Fall düster aus: Stünden die Risikogebiete des Landes unter Quarantäne, folgte die Bevölkerung diszipliniert den Anweisungen der Behörden und träte kein Mangel bei der medizinischen Versorgung auf, würde das Land in der kommenden Woche den Höhepunkt der Pandemie erreichen - mit etwa 12.000 Todesopfern.

Die weniger günstigen - und als realistischer geltenden - Berechnungen kommen zu ganz anderen Ergebnissen: Demnach erreichte das Land erst Ende Mai den Höhepunkt der Epidemie. Die Zahl der Todesopfer stiege auf 3,5 Millionen.

Derzeit (Stand 19.3.) meldet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 17.361 Infizierte im Iran. Todesfälle listet sie angesichts wenig verlässlicher Daten nicht auf. Die iranischen Behörden meldeten bis Mittwoch (18.3.) 1135 Tote. WHO-Notfalldirektor Rick Brennan, der den Iran kürzlich besuchte, geht allerdings von einer fünfmal höheren Zahl aus, also von über 5000 Toten.

Präsident Ruhani bei einer VideokonferenzBild: Imago-Images/ZUMA Wire/Iranian Presidency

Sanktionen verschlimmern die Lage

Es gibt viele Gründe für die hohen Zahlen: Die lange Zeit nicht erkannte oder unterschätzte Gefahr, wie sie sich etwa in den bis Mitte Februar durchgeführten Flügen der Gesellschaft Mahan-Air nach und aus China zeigte. Die Unwilligkeit eines Teiles insbesondere der religiös motivierten Bevölkerung, die von Wallfahrten und dem Besuch schiitischer Heiligtümer nicht lassen will. Aber auch der Mangel an medizinischem Gerät, das der Iran aufgrund der Sanktionen kaum mehr importieren kann.

"Zwar sind humanitäre Importe von den Sanktionen der US-Regierung ausgenommen, aber diese Ausnahmen erweisen sich in der Praxis als wirkungslos", heißt es in einer Studie der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Amerikanische und europäische Unternehmen und Banken befürchteten Sanktionen und rechtliche Schritte auch dann, wenn sie eigentlich nicht von den Sanktionen betroffene humanitäre Güter exportierten und finanzierten, so HRW. "Dadurch verliert die iranische Bevölkerung Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten und ihr Recht auf Gesundheit wird beeinträchtigt." 

(Archiv) Protestaktion im Iran gegen die USABild: Getty Images/AFP/A. Kenare

USA und Iran müssen sich bewegen

Diese medizinisch unterversorgte Gesellschaft kämpft nun mit dem Virus. Darum, meint Adnan Tabatabai, Politologe und Geschäftsführer des Bonner Think Tanks "Carpo", sei es dringend geboten, die Sanktionen aufzuheben. "Der Kollateralschaden dieser Sanktionen ist immens", so Tabatabai gegenüber der DW. "Der Gesundheitssektor Irans hat seit vielen Jahren damit zu kämpfen, dass wichtige Medikamente, aber auch medizinisches Equipment nicht in das Land importiert werden können." Zu bedenken sei außerdem, dass die unilateralen Sanktionen der USA gegen Iran zu einem erheblichen Teil jedweder rechtlichen Grundlage entbehrten. Sie seien schlicht ein eigenmächtig verwendetes politisches Mittel. "Das ist in Zeiten einer Pandemie aus meiner Sicht unverantwortlich."

Der Direktor des Berliner Think Tanks "Stiftung Wissenschaft und Politik", Volker Perthes, sieht die Sanktionen gegen den Iran grundsätzlich kritisch. Vieles, nicht nur die gegenwärtige Pandemie, spreche dafür, sie zurückzufahren oder aufzuheben, erklärte Perthes gegenüber der DW. Es gebe grundsätzlich keine überzeugende Rechtfertigung dafür, den nach internationalem Recht legalen Handel mit Iran durch direkte Sanktionen und Sanktionsdrohungen gegen Dritte zu unterbinden. "Im Zeichen der Corona-Krise gilt das erst recht. Das Mindeste, was auch die EU und ihre Mitgliedstaaten derzeit von den USA erwarten können, ist, dass Washington einen möglichen IWF-Kredit für Iran nicht blockiert und auch andere internationale Hilfsmaßnahmen – finanzielle Unterstützung oder Warenlieferungen – nicht unterminiert."   

Es komme auf schnelles Handeln an, sagt der Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90 / Die Grünen, Omid Nouripour. Beide Seiten sollten der Ernsthaftigkeit der Lage gerecht werden. "Das heißt, die US-Sanktionen müssen weg, und die im Iran inhaftierten US-Bürger müssen freigelassen werden. So lange beide Seiten auf den guten Willen des anderen warten, werden Menschen gefährdet."

Omid Nouripour: Es komme auf schnelles Handeln anBild: Imago Images/C. Spicker

Sanktionen an Bedingungen knüpfen?

Grundsätzlich gebe es viele Bedingungen, die man Teheran stellen müsste, sagt Nouripour. Dazu zählten etwa Freiheit für politische Gefangene, das Ende der militärischen Aggression in der Region oder der Bedrohung Israels. Allerdings: "Bei dieser Pandemie geht es um eine schnelle Reaktion. Das Gesundheitssystem im Iran kollabiert wegen Korruption und Missmanagement, aber auch ein Stück weit wegen des amerikanischen Drucks."

Angesichts der derzeitigen Not wäre es unangemessen, die Aufhebung von Sanktionen mit Bedingungen zu verknüpfen, sagt auch Adnan Tabatabai. "Derzeit zählt wirklich jede Minute. Ein zähes politisches Ringen um Vorbedingungen kostet schlicht und ergreifend Menschenleben." Außerdem übersehe man, dass eine Verschlimmerung der Situation im Iran nicht auf diesen selbst beschränkt bliebe. "Wir wissen ja, dass sich das Corona-Virus ohne Rücksicht auf Grenzen und Einreisebestimmungen verbreitet." 

Humanitäre Maßnahmen sollten nicht an politische Forderungen geknüpft werden, so richtig diese im Einzelfall auch seien, sagt auch Volker Perthes. Gefordert seien nun die USA - auch in ihrem politisch-zivilisatorischen Selbstverständnis: "Die Vereinigten Staaten müssen selbst entscheiden, inwiefern sie sich weiter als moralische Großmacht verstehen und was das verlangt."

Iraner unterwegs zu Nouruz-Feierlichkeiten am Freitag (20.03.2020)Bild: frei

Politische Zugeständnisse nicht zu erwarten

Im Iran steht eine womöglich sehr hohe Zahl von Menschenleben auf dem Spiel. Ob sich die Regierung für schnelle Hilfe erkenntlich zeigen würde, sollte diese erfolgen? Adnan Tabatabai ist skeptisch. Die politische Elite Irans werde nie Hilfe von außen mit innenpolitischen Zugeständnissen verknüpfen. "Jeder Ansatz in diese Richtung ist aus meiner Sicht zum Scheitern verurteilt."

Zu einer anderen Einschätzung kommt Volker Perthes. Er könne nicht sagen, ob die iranische Regierung angesichts der Krise Zugeständnisse machen werde oder nicht. Er könne sich aber vorstellen, dass sie dazu bereit sei. "Die Frage ist aber eher, ob sie solche Entscheidungen überhaupt noch treffen kann. Denn sowohl die Sanktionen wie die Krise schwächen die Regierung und stärken ihre innenpolitischen Gegner, die sich weniger am Wohlergehen des Landes und seiner Bevölkerung als an harten ideologischen Positionen orientieren."

Auf jeden Fall sollte man die akute Hilfe für die notleidende iranische Bevölkerung nicht vom Kurs der Regierung abhängig machen, so die Meinung von Omir Nouripour: "Wenn wir erst warten, bis lupenreine Demokraten im Iran regieren, dann werden wir zusehen, wie Millionen Menschen in der Pandemie zu Schaden kommen. Das wäre inhuman und würde der globalen Eindämmung des Virus einen Bärendienst erweisen."

 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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