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Politik

Pflichtbesuche in KZ-Gedenkstätten?

10. Januar 2018

Angesichts eines wachsenden Antisemitismus debattieren Experten über einen Pflicht-Besuch von jungen Geflüchteten in einer KZ-Gedenkstätte. Bedenken überwiegen.

Konzentrationslager Ravensbrück
Bild: picture-alliance/dpa/B. Settnik

Matthias Heyl hat Bedenken. Man dürfe nicht erwarten, "dass so eine Gedenkstätte eine Gedenkstätten-pädagogische Marienerscheinung schaffen kann" und "in zweieinhalb Stunden gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und ähnliches" helfe. Der promovierte Historiker Heyl leitet die pädagogischen Dienste der Brandenburgischen Gedenkstätten. Er hat langjährige Erfahrung mit Besuchergruppen in Ravensbrück und an weiteren Orten. Und er warnt im Gespräch mit der Deutschen Welle davor, Besuche an Stätten der nationalsozialistischen Gräueltaten einfach zu verordnen.

Die Debatte um verpflichtende Besuche in einer KZ-Gedenkstätte hatte die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) angestoßen. Sie nannte es am Wochenende in einem Interview "sinnvoll, wenn jeder, der in diesem Land lebt, verpflichtet würde, mindestens einmal in seinem Leben eine KZ-Gedenkstätte besucht zu haben". Das gelte auch für Zuwanderer. Deshalb sollten solche Besuche Bestandteil von Integrationskursen werden.

Hintergrund ist eine Häufung von antisemitischen Vorfällen, die zum Teil, aber nicht nur mit Flüchtlingen in Verbindung gebracht werden. So gab es dramatische Schilderungen von Übergriffen auf jüdische Schüler, die zum Teil sogar dazu führten, dass die Heranwachsenden ihre Schule verließen. Das American Jewish Committee (AJC) hatte in einer größeren Studie das Thema deutlich gemacht.

Von der deutschen Geschichte lernen

Josef Schuster - Präsident des Zentralrates der JudenBild: Getty Images/AFP/D. Roland

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, unterstützt die Forderungen nach einem verpflichtenden Besuch von KZ-Gedenkstätten für Jugendliche. Bei einer entsprechenden Vorbereitung sollten alle Schüler höherer Schulklassen eine KZ-Gedenkstätte besuchen. Dies gelte auch für Migranten, die nach Deutschland kämen, sagte Schuster im Deutschlandfunk. Wer selber Flucht und Vertreibung erlebt habe, könne nachvollziehen, wohin Verfolgung und Hass führten.

Doch genau das ist ein Punkt, der bei Matthias Heyl für Bedenken sorgt. Er spricht gegenüber der Deutschen Welle vom Risiko "einer Retraumatisierung für manche, die aus schrecklichen Erfahrungen mit Krieg und Verfolgung hierher kommen". Da sei es nicht das Günstigste, gleich zu Anfang dann eine KZ-Gedenkstätte aufzusuchen. Seine Mitarbeiter, sagt er, haben solche Situationen in früheren Jahren einige Male erlebt, als Heranwachsende, deren Familien nach dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen waren, ein ehemaliges Lager besuchten - und bei denen Bilder des eigenen Leids traumatisch aufkamen. Er selbst habe mehrfach erlebt, dass Besuche von Gruppen Jugendlicher nicht gut vorbereitet gewesen seien. Es reiche eben nicht, einfach zu sagen: "Die wollen hier leben - dann sollen sie sich auch mit unserer schlimmen Geschichte auseinandersetzen." Das sei "so richtig wie falsch".

"Ein ganz ungünstiges Setting"

Nicht gegeneinander ausspielen: Juden und Muslime Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Wie Heyl äußern sich in diesen Tagen verschiedene Verantwortliche von Gedenkstätten in Deutschland. Mal verweisen sie auf Erfahrungen aus der DDR-Zeit, als es verpflichtende Besuche in KZ-Gedenkstätten gab. Mal äußern sie die Befürchtung, dass auf Gedenkstätten abgeladen werde, was Integrationskurse und Schulen erst mal leisten müssten: die umfassende Vermittlung und historische Einordnung des Geschehenen. Das könne man nicht auf die Gedenkstätte und auf zweieinhalb Stunden vor Ort abschieben. Bei mancher Anfrage, sagt er, schimmere "sehr schnell durch", dass es darum gehe, "antiisraelische und antisemitische Einstellungen der Flüchtlinge durch den Besuch einer solchen Gedenkstätte" auszuräumen. "Und das ist ein ganz ungünstiges Setting."

Mag sein, dass es auch zu grundsätzlicheren Überlegungen für den schulischen Bereich kommt. Der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK), Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke), sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), er schließe eine Erörterung des Themas in der KMK nicht aus. Dort könnte auch debattiert werden, warum - entgegen den Gepflogenheiten in anderen Fächern - das Prinzip der Freiwilligkeit Priorität haben sollte. Holter selbst favorisiert diese Freiwilligkeit, weil ein "Du musst" da nicht funktioniere. Es wäre besser, Anreize zu setzen, damit Jugendliche das Thema für sich entdeckten und sich damit auseinandersetzten.