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Politik

Expertenrat: Deutschlands Klimaziele in Gefahr

4. November 2022

Kurz vor der nächsten internationalen Klimakonferenz stellen Fachleute der Bundesregierung kein gutes Zeugnis aus. Die Experten schlagen einen Kurswechsel vor, um die Klimaziele für das Jahr 2030 zu erreichen.

Windräder vor dem RWE Kraftwerk Neurath am Tagebau Garzweiler
Der Ausbau erneuerbarer Energien müsse forciert werden, fordert der Expertenrat Bild: Rupert Oberhäuser/dpa/picture alliance

"Im Moment sieht es nicht so aus, als könnten wir die Ziele erreichen", sagte die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf in Berlin bei der Vorstellung eines Gutachtens zum Stand der deutschen Klimapolitik. "Mit einem 'Weiter so' werden wir die Klimaziele für das Jahr 2030 definitiv nicht erreichen", warnte Knopf. Die Bundesrepublik will ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 65 Prozent senken im Vergleich zum Jahr 1990.

Gutachten im Rhythmus von zwei Jahren

Kurz vor dem Beginn der nächsten Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el Scheich übergab der Expertenrat für Klimafragen seinen Bericht zum Stand der deutschen Klimapolitik an Regierung und Bundesrat. Das unabhängige Gremium aus fünf Sachverständigen veröffentlichte dieses im Klimaschutzgesetz festgeschriebene sogenannte Zweijahresgutachten erstmals, weitere Gutachten folgen dann im Rhythmus von zwei Jahren.

Die stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats, Brigitte Knopf, will kein "Weiter so" mehrBild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

"Die bisherigen Raten bei der Emissionsreduktion reichen bei weitem nicht aus, um die Klimaschutzziele für 2030 zu erreichen - weder in der Summe noch in den einzelnen Sektoren", erklärte Ratsmitglied Thomas Heimer. "Die jährlich erzielte Minderungsmenge müsste sich im Vergleich zur historischen Entwicklung der letzten zehn Jahre mehr als verdoppeln." Im Industriesektor sei etwa eine zehnfache und bei Verkehr sogar eine 14-fache Erhöhung der durchschnittlichen Minderungsmenge pro Jahr notwendig. 

Ausstoß klimaschädlicher Gase ist um 27 Prozent gesunken

Zwischen 2000 und 2021 sei der Ausstoß klimaschädlicher Gase in Deutschland zwar temperaturbereinigt um rund 27 Prozent gesunken, konstatierte das Gremium. Die Hälfte dieser Minderung gehe auf das Konto der Energiewirtschaft. Es habe auch durchaus Entwicklungen hin zu einem sparsameren Einsatz von Energie gegeben.

Hans-Martin Henning, der Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen (ERK)Bild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Allerdings würden diesen ein stärkerer Verbrauch und Konsum entgegenwirken. "Effizienzgewinne wurden also beispielsweise durch das allgemeine Wirtschaftswachstum, größere Wohnfläche oder gestiegene Transportleistungen konterkariert", erläuterte der Vorsitzende Hans-Martin Henning. So sei der Bestand an Fahrzeugen ständig gestiegen. "Das wirkt natürlich kontraproduktiv." Wenn sich jemand ein Elektroauto mit besserer Umweltbilanz als Zweitwagen anschaffe und sein altes Auto daneben weiter nutze, sei "überhaupt nichts gewonnen".

Harte Grenzen für noch zulässige Emissionen gefordert

Nötig sei nun ein forcierter Ausbau erneuerbarer Energien. Bei Solaranlagen und Windparks auf See werde es schwierig, die Ziele zu schaffen, sagte Knopf, während es bei Windparks an Land besser aussehe. Geräte wie Heizungen, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten, müssten ausgetauscht werden. Gleichzeitig sollten auch die Menschen ihr Verhalten ändern, mahnt der Expertenrat.

Die Fachleute meldeten aber Zweifel daran an, dass ein Nachsteuern am bisherigen Kurs ausreichen werde. Eine Möglichkeit seien etwa harte Grenzen für noch zulässige Emissionen. Für die dann noch erlaubten Mengen könnte ein Handelssystem aufgebaut werden. Für die Politik gehe es dann darum, den noch möglichen Verbrauch so zu organisieren, dass Wirtschaft und Gesellschaft damit zurecht kämen.

Umweltorganisationen sehen sich bestärkt

Umweltorganisationen sehen sich durch das Gutachten in ihrer Kritik an der Bundesregierung bestärkt. "Bei der COP27, die am Sonntag beginnt, wird Bundeskanzler Scholz den anderen Ländern erklären müssen, warum Deutschland nicht entschiedener gegen die Klimakrise vorgeht", erklärte die Vorständin der Klima-Allianz Deutschland, Christiane Averbeck, mit Blick auf die Weltklimakonferenz, die sogenannte COP.

Der Bestand an Fahrzeugen in Deutschland sei ständig gestiegen, sagt der ExpertenratBild: Christoph Hardt/Geisler-Fotopres/picture alliance

Anreize allein reichten nicht für den klimafreundlichen Umbau, unterstrich Tobias Austrup von Greenpeace. Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien sei wichtig: "Öl- und Gasheizungen müssen früher aus den Kellern, Diesel und Benziner schneller von den Straßen verschwinden."

Die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, Kerstin Andreae, erklärte, der nötige Zubau an erneuerbaren Energien sei machbar. Erste Weichen habe die Bundesregierung auch bereits gestellt, mehr sei aber nötig. "Um den Turbo zu zünden, brauchen wir dringend mehr Flächen für Erneuerbare, schlankere Verfahren und ein klares Bekenntnis zum Ausbau der regenerativen Energien auf allen staatlichen Ebenen." Auch das bisher noch in der Regierungsabstimmung befindliche Klimaschutzsofortprogramm müsse endlich kommen.

nob/sti (dpa, afp)

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