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Politik

Extinction Rebellion: Was darf Protest?

6. Oktober 2019

Verkehrsblockaden, Nackte im Parlament, ein eingefärbter Fluss: Die Bewegung Extinction Rebellion protestiert unkonventionell für Klimaschutz. In der kommenden Woche will sie Städte weltweit lahmlegen.

Limmat-Aktion der Züricher Ortsgruppe von Extinction Rebellion (bit.ly)
Bild: xr-zuerich.ch

Was am Montag auf Berlin zukommt, hat London bereits erlebt. Im April legten Aktivisten von "Extinction Rebellion" den Verkehr in der Großstadt lahm. 55 Buslinien stellten den Betrieb ein, über 700 radikale Klimaschützer wurden festgenommen. Dieser zivile Ungehorsam soll nun auch Berlin und andere Städte der Welt erreichen. Geplant ist, dass am Montag in Berlin die "Arche Rebella" am Spreeufer anlegt, ein pinkfarbenes Schiff. Auf dem Potsdamer Platz soll laut den Veranstaltern "die Vision einer autofreien Stadt" gelebt werden, mit Performances und Workshops. Schon seit Tagen bringt die Gruppe ihren Anhängern in sogenannten Aktionstrainings bei, wie ziviler Ungehorsam am besten funktioniert.

Die Organisation "Extinction Rebellion" ist gerade einmal ein Jahr alt und hat schon mit zahlreichen ungewöhnlichen Aktionen auf die aus ihrer Sicht tödlichen Folgen des Klimawandels aufmerksam gemacht. 2018 in Großbritannien gegründet, ist Extinction Rebellion (dt.: Rebellion gegen das Aussterben) schnell zu einer internationalen Bewegung angewachsen und laut eigenen Angaben inzwischen in rund 70 Ländern vertreten.

Diese beiden Teilnehmer des "Die-ins" in der Limmat sind bei vollem BewusstseinBild: xr-zuerich.ch

Erst vor wenigen Wochen irritierte die Gruppe die Züricher Bevölkerung. Sie färbten die Limmat, den Fluss der Stadt giftgrün ein. Einige Aktivisten trieben scheinbar leblos im grünen Wasser. Die Klimaschützer hatten den harmlosen Farbstoff Uranin ins Wasser gekippt und eines ihrer "Die-Ins" veranstaltet: Die Protestform unterscheidet sich vom "Sit-in", da die Teilnehmenden nicht in Sitzstreik treten, sondern sich auf ein Zeichen zeitgleich tot stellen.

Grenzen gezielt überschreiten

"Wir sehen, dass jahrzehntelanges Demonstrieren und Petitionen-Unterschreiben viel zu wenig gebracht hat", sagt Annemarie Botzki von Extinction Rebellion Deutschland. "Deswegen sind viele von uns bereit, einen Schritt weiter zu gehen, in den zivilen Ungehorsam zu treten und Städte zu blockieren, um auf diese Klimakatastrophe aufmerksam zu machen." Die Aktionen sind nicht immer ungefährlich, vor allem aber sind viele nicht komplett legal: Extinction Rebellion legt es darauf an, manchmal gezielt die Grenzen des Gesetzes zu übertreten.

Nur Gewalt lehnt Extinction Rebellion kategorisch ab: "Wir nutzen gewaltfreie Strategien und Methoden als effektivstes Mittel, um Veränderungen herbeizuführen", lautet eines der zehn Prinzipien der Organisation.

Annemarie Botzki von Extinction Rebellion DeutschlandBild: Annemarie Botzki

Keine Gewalt!

"Gewaltloser Protest zeigt sozusagen eine Form von Unschuld, obwohl man gegen Recht und Gesetz verstößt. Man entlarvt damit den Staat oder die Polizei, wenn sie hart dagegen vorgehen", sagt Tobias Eule, Professor der Rechtssoziologie in Bern und am Hamburger Institut für Sozialforschung. "Das ist ein ganz klassisches strategisches Mittel, um eine bestimmte Diskussion auszulösen." Das Narrativ vom gewalttätigen Staat, der seinen Bürgern Schaden zufügt, passt zu den drei Forderungen von Extinction Rebellion: Die nationalen Regierungen werden aufgefordert, die Bedrohung durch den Klimawandel offenzulegen, Handlungen für ein Netto-Null an Treibhausgasemissionen bis 2025 einzuleiten und eine Bürgerversammlung über Maßnahmen für Klimagerechtigkeit entscheiden zu lassen. Konkretere politische Forderungen gibt es nicht.

Historisch berufen sich Extinction Rebellion ganz bewusst auf große Vorbilder, von Mahatma Gandhi bis Rosa Parks: "Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung hat genauso angefangen", sagt Tobias Eule im Gespräch mit der DW. Im Kampf gegen die rassistischen "Jim-Crow"-Gesetze seien sogar Organisationen gegründet worden, die den Verhafteten die Prozesskosten finanzierten.

Die brasilianische Botschaft in London bekam im August die Wut von Extinction Rebellion ab - und viel rote FarbeBild: Reuters/P. Nicholls

Die Mitstreiter von Extinction Rebellion verzichten auf den Schutz der Anonymität, und viele sind sogar bereit, sich bei Aktionen in Gewahrsam nehmen zu lassen. Wie groß dieser Anteil ist, sei unmöglich einzuschätzen, sagt Aktivistin Botzki im Gespräch: "Eine Mutter, die zwei Kinder zu Hause hat, kann sich nicht festnehmen lassen. Uns ist bewusst, dass das nicht jede und jeder tun kann."

Rote Linien

Welche Aktionen sind für Extinction Rebellion noch okay, und wo ist eine rote Linie überschritten? Das ist oft gar nicht so leicht zu beantworten, sagt Botzki. Man wolle möglichst wenige Menschen vor den Kopf stoßen, indem man einzelne zu sehr stört oder dadurch, dass Aktionen als Gewalt interpretiert werden könnten.

Eine zentrale Forderung an die Regierungen: das Ausmaß der Zerstörung durch den Klimawandel benennenBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Roger Hallam, Initiator der Aktion "Heathrow Pause", bei der Drohnen illegal in der Sperrzone des Londoner Flughafens auf Kopfhöhe aufsteigen - die Aktion ist explizit keine Aktion von Extinction Rebellion -, hat sich als Doktorand am Londoner King's College mit zivilem Ungehorsam beschäftigt und das Ziel für Extinction Rebellion aus Erkenntnissen der Protestforschung abgeleitet: Er will, dass 3,5 Prozent der Bevölkerung die Bewegung unterstützen - das steigere die Erfolgsaussichten enorm. Das sei recht hoch angesetzt und diene wohl auch zur internen Mobilisierung, schätzt Tobias Eule: "In der Regel sind Protestbewegungen erfolgreich, wenn sie wichtige öffentliche Zeichen strategisch setzen und dann über Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzgebungsverfahren Veränderungen erwirken."

Roger Hallam ist Bio-Landwirt und Vordenker von Extinction RebellionBild: Imago Images/ZUMA Press/A. Pantoja

In Deutschland blockierten einige Aktivisten im September den Verkehr am Rande der Internationale Automobilausstellung in Frankfurt. In Berlin sollen die Protestaktionen nun nicht nur am Montag, sondern auch im Laufe der gesamten kommenden Woche stattfinden. Ein Schwerpunkt liegt auf der Marschallbrücke. Dort planen die Aktivisten zunächst als normale Touristen und nicht als große Gruppe aufzutreten. Die Blockade soll erst auf ein Kommando hin beginnen. Den Teilnehmern wird ein Aktionstraining vorab empfohlen, damit sie sich "sicher fühlen" und "Spaß haben".

Alle kämpfen gemeinsam

Für Aktionen, die über das Maß des Legalen hinausgehen, wird Extinction Rebellion durchaus kritisiert. Dabei lässt sich jedoch kaum auseinanderhalten, ob diese Kritik wirklich den Maßnahmen der Bewegung gilt oder ihren Zielen. Auch Fridays For Future bekämen massive Kritik wegen ihres Streiks während der Schulzeit, erinnert Tobias Eule: "Gerade in der heutigen Zeit, wo die Erregungsfähigkeit im öffentlichen Raum sehr hoch ist, muss man relativ wenig tun, um eine Gegenreaktion zu erzeugen."

Unter den Klimaschutzorganisationen ist man sich über das grundsätzliche Ziel sowieso einig, auch wenn sich manche Herangehensweisen unterscheiden: Zum globalen Klimastreik am 20. September riefen Dutzende von ihnen gemeinsam auf - vom etablierten Schwergewicht Greenpeace bis zum aufstrebenden Neuling Extinction Rebellion. Und der nächste Termin steht schon fest: Am 29. November soll es wieder gemeinsam auf die Straße gehen.

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